RECHT UND KAPITALMARKT

Der lange Leidensweg eines Steuerparagrafen

Das Bundesverfassungsgericht entscheidet über den Verlustuntergang bei Gesellschafterwechsel

Der lange Leidensweg eines Steuerparagrafen

Von Nina Kuntschik *)Es wird eng für das derzeitige Verlustverrechnungssystem im deutschen Steuerrecht: Mit Beschluss vom 4. April 2011 (Az: 2 K 33/10) hat das Finanzgericht (FG) Hamburg dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) die Frage vorgelegt, ob § 8c Körperschaftsteuergesetz (KStG) verfassungsgemäß ist. Diese Vorschrift bestimmt pauschal, dass bei einer Übertragung von mindestens 25 % der Anteile an einer Kapitalgesellschaft sowie in gleichgestellten Fällen die bei der Gesellschaft angelaufenen Verluste anteilig in gleicher Höhe untergehen. Werden mehr als 50 % der Anteile übertragen, gehen die Verlustvorträge sogar vollständig verloren.Seit ihrer Einführung diskutieren Experten die mögliche Verfassungswidrigkeit dieser Regelung. Nun äußern auch die Hamburger Finanzrichter erhebliche Zweifel: Dass die Gesellschaft ihre Verlustvorträge aufgrund einer Maßnahme auf Gesellschafterebene endgültig verliert, widerspricht nach ihrer Auffassung dem Gleichheitsgrundsatz und dem hieraus abgeleiteten Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit sowie dem Prinzip der Trennung zwischen der Kapitalgesellschaft und ihren Gesellschaftern.Der Vorlagebeschluss zu § 8c KStG ist der vorläufige Höhepunkt einer Entwicklung, wie sie nur wenige Steuervorschriften genommen haben. Zudem dürfte der Beschluss die längst überfällige Neuordnung des derzeitigen Verlustverrechnungssystems erheblich forcieren.Die Verrechnung von Verlusten mit sonst steuerpflichtigen Gewinnen ist aufgrund der damit verbundenen Senkung der Steuerlast von erheblicher wirtschaftlicher Bedeutung und wegen des Prinzips der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verfassungsrechtlich geboten. Wie so oft im Steuerrecht wurden jedoch die hiermit verbundenen Steuersenkungspotenziale vielfach erst mittels entsprechender Gestaltungsmodelle bewusst herbeigeführt.Daher wurden im Laufe der Jahre diverse Regelungen zur Beschränkung der Verlustverrechnung erlassen. Die zwei wohl prominentesten Beispiele sind die sogenannte Mantelkaufregelung und die seit 2004 geltende Mindestbesteuerung. Während die Mantelkaufregelung Missbräuche in Form eines Handels mit Beteiligungen an Verlustgesellschaften verhindern sollte, sieht die Regelung zur Mindestbesteuerung unter anderem eine generelle betragsmäßige Verrechnungsobergrenze mit der Konsequenz einer regulären Versteuerung nicht verrechenbarer Gewinne vor. Zahlreiche TückenBeide Regelungen wiesen allerdings zahlreiche Tücken auf. So war die Mantelkaufregelung in zahlreichen Einzelfragen umstritten. Die Mindestbesteuerung wiederum trug wesentlich dazu bei, dass die vor 2004 bestehenden gesamten Verlustvorträge der Steuerpflichtigen von rund 500 auf inzwischen mehr als 600 Mrd. Euro anwuchsen und für die Zukunft gigantische Steuerausfälle befürchten ließen.Mit der Unternehmenssteuerreform 2008 sollte daher alles anders werden. Der Gesetzgeber hob die Mantelkaufregelung auf und führte mit § 8c KStG stattdessen eine Vorschrift ein, die für den Fall der Übertragung einer relevanten Beteiligung an einer Kapitalgesellschaft generell und unabhängig von den dahinterstehenden Motiven einen entsprechenden Untergang der bis zu diesem Zeitpunkt noch nicht ausgeglichenen Verluste bestimmt.Mit dieser allgemeinen Regelung wollte sich der Gesetzgeber aus Vereinfachungsgründen von dem Missbrauchsgedanken lösen und gleichzeitig eine Gegenfinanzierungsmaßnahme für die mit dieser Reform ebenfalls vorgesehenen Steuererleichterungen installieren. Vor diesem Hintergrund blieb die Mindestbesteuerung unverändert. Die auf den ersten Blick vereinfachende Regelung des § 8c KStG fiel im Praxistest allerdings durch – und zwar eher als erwartet. Denn gerade in der Wirtschaftskrise erwies sich § 8c KStG als echtes Restrukturierungshindernis. Aufgrund der vorgesehenen Rechtsfolgen stellten sich Maßnahmen zur Rettung von verlustbringenden Gesellschaften oftmals als wirtschaftlich uninteressant dar. Gerade finanzschwachen Unternehmen wurde so ein Neustart erschwert. Zwar besserte der Gesetzgeber noch unter der großen Koalition mit der sogenannten Sanierungsklausel nach, um sanierungsbedürftigen Unternehmen Restrukturierungen ohne Auswirkungen auf die verrechenbaren Verluste zu ermöglichen.Der erhoffte Erfolg blieb – bislang zumindest – aus: Anfang dieses Jahres wurde die Sanierungsklausel von der EU-Kommission als europarechtlich unzulässige Beihilfe qualifiziert und findet derzeit keine Anwendung. Die Bundesregierung hat gegen die Kommissionsentscheidung zwar eine Nichtigkeitsklage beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) eingereicht. Dass sie sich damit durchsetzen kann, wird aber von Experten zumindest skeptisch betrachtet.Ebenfalls in der Kritik stehen die in der Zwischenzeit von der schwarz-gelben Koalition eingeführten zwei weiteren Ausnahmen zum Verlustuntergang. Sowohl das Konzernprivileg, welches unschädliche Anteilsübertragungen innerhalb eines Konzerns ermöglichen soll, als auch die sogenannte Stille-Reserven-Klausel, die einen Erhalt der verrechenbaren Verluste in Höhe der beim Unternehmen vorhandenen stillen Reserven vorsieht, bergen zahlreiche Einzelfragen und sind zum Teil nur wenig praxistauglich.Die Probleme mit den Ausnahmen wiegen schwer genug. Verfassungsrechtlich bedenklich ist jedoch vor allem die allgemein geltende Rechtsfolge des Verlustuntergangs und damit das Grundkonzept des § 8c KStG – und zwar insbesondere im Zusammenwirken mit der Mindestbesteuerung. Bereits der Bundesfinanzhof (BFH) hat in einem Beschluss vom 26. August 2010 ausgeführt, dass die Mindestbesteuerung bei endgültigem Ausschluss der Verlustverrechnung unter dem Gesichtspunkt der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit jedenfalls dann verfassungsrechtlichen Bedenken begegnen kann, wenn der Ausschluss nicht auf einer Missbrauchsvermeidungsvorschrift beruht. Dies wäre in der Konstellation des § 8c KStG der Fall. Zu einer Vorlage an das Bundesverfassungsgericht kam es in dem BFH-Verfahren nicht, da es sich um eine lediglich summarische Prüfung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes handelte.Jetzt hat das Finanzgericht Hamburg eine vergleichbare Vorlage vorgenommen. Die Entscheidung des BVerfG ist nicht nur grundsätzlich bedeutsam für die Frage der Zulässigkeit des bestehenden Verlustberücksichtigungskonzepts sowie des Ob – und gegebenenfalls des Wie – einer eventuellen Neuregelung. Für Unternehmen, die auf die Sanierungsklausel vertrauten und von der beihilferechtlichen Entscheidung der EU-Kommission betroffen sind, wird von besonderem Interesse sein, ob das Bundesverfassungsgericht § 8c KStG bei Feststellung einer Verfassungswidrigkeit mit Rückwirkung aufhebt oder den Gesetzgeber lediglich für die Zukunft zu einer Neuregelung auffordert. Dringende ÜberarbeitungEU-Kommission, EuGH, BFH und jetzt das BVerfG – selten hat eine Vorschrift so viele unterschiedliche Institutionen beschäftigt und den Gesetzgeber so intensiv gefordert wie § 8c KStG. Gleichzeitig hat spätestens die Wirtschaftskrise gezeigt, dass das derzeitige System der Verlustverrechnung und Sanierung von Unternehmen einer dringenden Überarbeitung bedarf. Verstärkt wird dieser Eindruck durch 20 weitere Verfahren, die derzeit beim BFH zum Themenkomplex Verlustverrechnungsbeschränkung anhängig sein sollen.Entsprechend der Ankündigung im schwarz-gelben Koalitionspapier beschäftigt sich seit Beginn des Jahres eine spezielle Arbeitsgruppe des Bundesfinanzministeriums mit möglichen Varianten einer Neuordnung. Dem Vernehmen nach wird unter anderem über eine Aufhebung der betragsmäßigen Verrechnungsobergrenze und einer damit verbundenen zeitlichen Befristung von Verlustvorträgen diskutiert. Zum Teil wird auch die Wiedereinführung einer Missbrauchsvorschrift angedacht. Bislang sind die Diskussionen ergebnisoffen verlaufen. Nun ist damit zu rechnen, dass vor einer endgültigen Entscheidung über eine Neukonzeption zunächst das Ergebnis des Bundesverfassungsgerichts abgewartet wird.—-*) Dr. Nina Kuntschik ist Rechtsanwältin und Junior-Partnerin bei Oppenhoff & Partner in Köln.