PORTFOLIO - IM INTERVIEW: ULRICH FREIESLEBEN

"Der Markt befindet sich in einem längerfristigen, stabilen Aufwärtstrend"

Der Diamantenhändler über die Nachfrage aus asiatischen Ländern, die Angebotssituation der Minen und den Einfluss der Schuldenkrise auf die edelsten Steine

"Der Markt befindet sich in einem längerfristigen, stabilen Aufwärtstrend"

Der Diamantenmarkt befindet sich in einem langfristigen Aufwärtstrend. Im Interview der Börsen-Zeitung geht der Diamantenhändler Ulrich Freiesleben auf die Einflussfaktoren und die Aussichten des Marktes ein.- Herr Freiesleben, wie beurteilen Sie die gegenwärtige Verfassung des weltweiten Diamantmarktes?Der Markt befindet sich sowohl im Segment der Rohdiamanten als auch im Bereich der geschliffenen Steine in einem längerfristigen, stabilen Aufwärtstrend. Ohne Frage haben die Preise in beiden Segmenten und in allen Kategorien der geschliffenen Steine schon sehr stark zugelegt. Preiszuwächse von im Schnitt 30 bis 35 % im ersten Halbjahr sprechen schließlich eine klare Sprache. In den vergangenen Wochen sind die Preise allerdings leicht gefallen. Die Verwerfungen an den Finanzmärkten infolge der Schuldenkrise in den USA und in der Eurozone zeigen hier Einfluss. Mit Preisrückgängen im niedrigen einstelligen Prozentbereich ist dieser aber überschaubar. Viele im Markt sind der Auffassung, dass diese Verunsicherung und damit die Preisrückgänge nur temporär sind. Das Sicherheitsdenken sollte dadurch nur wieder verstärkt werden und zu Preissteigerungen führen.- Gibt es Unterschiede bei der Preisentwicklung von Rohdiamanten und geschliffenen Steinen?Ja, hier gibt es eine sehr große Auffälligkeit. Für große Verwunderung sorgt bei vielen Außenstehenden, dass seit einem guten Jahr die Preise für Rohdiamanten über den Werten von geschliffenen Steinen liegen. In der Branche selbst wird das aber nicht mehr mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtet. Es ist eher zum “business as usual” geworden. In der Branche wird davon ausgegangen, dass der langfristige Aufwärtstrend anhalten wird. Ich bin ebenfalls sehr optimistisch, möchte mich aber von den extrem euphorischen Gemütern, die man in jedem aufstrebenden Markt finden kann, abgrenzen.- Was spricht für weiteres Aufwärtspotenzial?Viele Faktoren und vor allem deutlich mehr Aspekte, als im Gegenzug für fallende Preise sprechen. Auf der Nachfrageseite sind die Schmuckindustrie und der entsprechende Facheinzelhandel als treibende Faktoren zu sehen. Dies ist zudem regional einzuteilen. Die USA sind traditionsgemäß immer noch der größte Nachfrager im Bereich von Diamantschmuck. Ihr Weltmarktanteil in diesem Bereich liegt bei etwa 50 %. An zweiter Stelle folgt Japan. Zudem können wir eine immer weiter steigende Nachfrage in China und auch in Indien beobachten.- Sind das kurzfristige Faktoren, die den Markt beeinflussen, oder gilt das auch für einen mehrjährigen Zeitraum?In den robust wachsenden Volkswirtschaften China und Indien entstehen neue Mittel- und Oberschichten. Dieser Prozess lässt sich in vielen Schwellenländern beobachten. Diese Mittel- und Oberschichten sind kulturell bedingt sehr schmuckaffin. Tradition und Umgang mit Schmuck haben in diesen Ländern eine ganz andere Ausprägung als etwa bei uns in Deutschland. Und die Nachfrage dieser neu entstehenden Mittel- und Oberschichten beflügelt auch die Nachfrage nach Diamanten bzw. Diamantschmuck. Experten erwarten, dass China und Indien in etwa zehn Jahren das Nachfragevolumen der USA erreicht haben werden. Vom US-Markt, der rund die Hälfte der Nachfrage auf sich vereint, werden keine deutlichen Impulse nach oben mehr erwartet. Nach der Erholung von der Finanzkrise können wir von einer Stabilisierung auf einem recht guten Niveau ausgehen.- Wie ist es um die Nachfrage in Europa bestellt?Der europäische Markt wird sich in Zukunft nur knapp behaupten können. Der Umgang mit Diamanten ist traditionsgemäß und kulturell in Europa ein vollkommen anderer als etwa in asiatischen Ländern. Die zu erwartende leicht rückläufige Nachfrage in Europa wird aber überkompensiert werden durch die starken Nachfrageanstiege aus den Ländern des Mittleren und Fernen Ostens und den robusten US-Markt. Der Anteil Europas am weltweiten Diamantenmarkt liegt sowohl bei den Rohdiamanten als auch bei den geschliffenen Steinen im mittleren einstelligen Prozentbereich.- Wie sieht es speziell in Deutschland aus?Deutschland führt diesbezüglich ein Schattendasein. Diamanten gehören für viele Deutsche immer noch in die Ecke von Prahlerei, Prunk und Protz und werden als etwas für Neureiche abgestempelt. Das ist auch nur sehr schwer aus den Köpfen herauszubekommen.- Wie wirken sich politische Unruhen in vielen Ländern und damit geopolitische Risiken aus?Hier wirken zwei Kräfte. Politische Unwägbarkeiten in vielen Ländern, vor allem in Schwellen-, aber auch Entwicklungsländern, können dazu führen, dass diese nationalen Märkte als Nachfrager wegfallen. Das ist verständlicherweise auch davon abhängig, inwieweit sich Demokratiebestrebungen in den Ländern mit politischen Umsturzbewegungen durchsetzen. Dies ist ein Prozess, der nur sehr schwer prognostizierbar ist. Es ist allerdings auch zu konstatieren, dass diese politischen Unruhen zu einer verstärkten Nachfrage nach Diamanten als Investment geführt haben. Viele Menschen kaufen angesichts geopolitischer Risiken und der damit verbundenen Zukunftsunsicherheit Diamanten als Hedge gegen eine unsichere Zukunft. Das lässt sich, wenn auch nicht so stark ausgeprägt wie in manch anderen Ländern – etwa den USA -, auch in Europa feststellen.- Können Sie ebenfalls eine verstärkte Sachwerteorientierung im Diamantenmarkt feststellen?Ohne Frage hat die Sachwerteorientierung vieler Bürger zugenommen. Diamanten profitieren davon ebenfalls, und zwar in der Form der Investment-Diamanten sowohl in Rohwarenform als auch als geschliffene Diamanten. Der Vorteil liegt für viele Interessenten auf der Hand: 10 Kilo Gold haben in etwa den gleichen Wert wie ein Vierkaräter. Allerdings wiegt der eben nur 0,8 Gramm. In Bezug auf Aufbewahrung und Transport ein erheblicher Vorteil für den Diamanten. Diamanten haben sich über Jahrzehnte nicht nur als wertbeständig erwiesen, sondern auch als gutes Investment und als Krisenwährung bewährt.- Sind am Markt spekulative Verknappungen ein Thema?Angesichts von Schuldenkrisen dies- und jenseits des Atlantiks, geopolitischen Unsicherheiten, einer damit einhergehenden Sachwerteorientierung und der verstärkten Nachfrage nach Investment-Diamanten gibt es im Handel in stark favorisierten Kategorien von Steinen, d. h. bestimmten Karateinheiten, Schliffformen, Reinheits- und Farbgraden, phasenweise auch spekulative Verknappungen in Form von Hortungen. Inflationäre Tendenzen oder erwarteter Inflationsdruck wirken in die gleiche Richtung. Das gehört zum Markt des knappen Gutes Diamant dazu und war auch schon in früheren Marktphasen zu beobachten. Das galt insbesondere für die Phasen sehr hoher Inflation, in denen die Nachfrage nach Diamanten nochmals anzog.- Kann die Angebotsseite mit der Nachfrage noch Schritt halten?Genau danach sieht es nicht aus. Die aktuelle Produktionshöhe der Minen kann derzeit nicht die Nachfrage befriedigen. Momentan können die großen Player in der Diamantproduktion offenbar auch nur mit sehr geringen Produktionsausweitungen auf diese ansteigende Nachfrage reagieren. Denn viele Minen arbeiten längst am Kapazitätslimit. Zudem muss man konstatieren, dass nicht jedes Halbjahr eine neue Mine mit volumenmäßig großen Vorkommen gefunden wird. Minengesellschaften scheuen zudem die hohen Kosten für neue Explorationen. Und diese Zurückhaltung wird verständlicherweise umso größer, je besser sie mit anderen Rohstoffen aus ihrem unternehmenseigenen Angebot Erträge erwirtschaften können. BHP Billiton oder Rio Tinto sind ja bekanntermaßen nicht nur im Diamantensegment tätig.- Wenn Minen den Bedarf auf kurze Sicht nicht decken können, wie sieht es denn auf mittlere Sicht aus, sofern neue Minen entdeckt und die Diamanten letztlich auch gefördert werden?Ein derartiger Explorationsprozess ist nicht in wenigen Monaten abgeschlossen. Hier haben wir es von der Entdeckung bis zur Förderung mit einem Zeitraum von fünf bis zehn Jahren zu tun, bevor die Steine auf den Markt gelangen. So lange dauert der Entwicklungsprozess der Produktion. Mit Blick auf das kräftige Wachstum in den Schwellenländern und den sich dort etablierenden Konsumentenschichten bzw. -märkten ist davon auszugehen, dass dieses zusätzliche Angebot absorbiert wird. Momentan sprechen wir bekanntlich von Angebotsengpässen und mangelnder Befriedigung der Nachfrage, eine Situation, die nicht in ein bis zwei Jahren ausgestanden sein wird. Vieles spricht dafür, dass sich dieser Druck noch erhöht. Zusätzliches Angebot sollte kaum zu einem drastischen Preisverfall führen. Es sei denn, es wird eine Mine mit exorbitant hohen Vorkommen gefunden.- Welche Risiken sehen Sie denn für den Markt?Die Staatsschuldenkrisen und geopolitischen Risiken sind auf lange Sicht ein zweischneidiges Schwert. Sie führen aufgrund der verstärkten Verunsicherung von Menschen zu einem Hedge-Denken und damit zu einer Nachfrage nach Investment-Diamanten, was die Preise antreibt. Welche Konsequenzen die Politik aus den Schuldenkrisen ziehen wird, ob und wenn ja, welche Lösung gefunden wird, ist unklar. Natürlich lassen sich Szenarien ableiten, die zu einer verstärkten Belastung der Bürger und damit zu Wohlstandsverlusten führen. Das wäre zweifelsohne auch am Diamantenmarkt zu spüren. Entsprechendes gilt für die politischen Umwälzungen in diversen Ländern des Nahen Ostens. Hier können Märkte wegbrechen, wenn die Bestrebungen nach Demokratie und marktwirtschaftlichen Systemen keinen Erfolg haben sollten.- Welche Prognose haben Sie für den Diamantenmarkt im Schnitt noch für dieses Jahr?Sollte sich die jüngsten Verwerfungen tatsächlich als kurzfristige Belastung erweisen, erwarte ich für dieses Jahr weitere Preissteigerungen. 15 % könnten es im Schnitt noch werden. Auch für 2012 bin ich optimistisch.—-Das Interview führte Kai Johannsen.