Asset Management

Der Prof mit den fünf Visitenkarten

Rüdiger von Nitzsch lehrt Portfolio-Theorie und setzt sie als Unternehmer um

Der Prof mit den fünf Visitenkarten

Von Antje Kullrich, Düsseldorf Vom berühmt-berüchtigten Elfenbeinturm ist der Universitätsprofessor Rüdiger von Nitzsch schon vor vielen Jahren herabgestiegen. Zwar hält er an der RWTH Aachen nach wie vor Basisvorlesungen für künftige Diplom-Kaufleute oder doziert an der Kinderuni über Taschengeld, doch zieht es ihn stark in die Finanzbranche, in die Praxis gewissermaßen. Als Profession könnte der Lehrstuhlinhaber auch Fonds-Berater, Aufsichtsratsvorsitzender oder Unternehmer angeben – fünf verschiedene Visitenkarten hat er in der Regel dabei. An der Uni beschäftigt er sich mit Portfolio-Theorie, Entscheidungslehre und Finanzdienstleistungen. Draußen versucht er, wissenschaftliche Erkenntnisse vor allem für das Privatkundengeschäft der Finanzdienstleister zu nutzen. “Ich stehe für Praxisorientierung und interessiere mich weniger für rein theoretische Forschungsarbeiten”, beschreibt sich von Nitzsch selbst.Nach seiner Beobachtung werden zu wenige wissenschaftliche Erkenntnisse tatsächlich angewandt. Als Beispiel nennt er die Markowitz-Portfoliooptimierung, die vor mehr als 50 Jahren entwickelt wurde, aber bis vor wenigen Jahren zumindest im Privatkundengeschäft der Banken praktisch nicht genutzt wurde. Dass sich das ein wenig ändert, dafür hat von Nitzsch selbst gesorgt. 1999 gründete er mit Partnern die Aixigo AG – ein IT-Unternehmen, das Beratungssoftware für vermögende Bankkunden, aber auch das breite Massengeschäft der Kreditinstitute herstellt. Auch die Private-Equity-Tochter der Sparkasse Aachen, die S-UBG, stieg als Investor mit ein. Im New-Economy-Rausch sollte Aixigo gar an die Börse. Das hat zwar nicht geklappt, das Unternehmen jedoch gibt es noch heute. Mit 6 Mill. Euro nimmt sich der Umsatz allerdings recht bescheiden aus. Ein Börsengang, so gibt von Nitzsch die Hoffnung nicht auf, sei immer noch ein Langfristziel.An der Uni selbst hat er das Forschungsinstitut für Asset Management (Fifam) gegründet, das sich mit Unternehmensanalysen und -bewertungen beschäftigt. “Wir berechnen die in den Kursen eingepreiste Prämie, die Anleger aktuell als Entschädigung für das wahrgenommene Risiko fordern”, beschreibt von Nitzsch den Ansatz, der sich von den Fair-Value-Berechnungen von Bankanalysten unterscheidet.Aus den Reihen des Fifam entstand 1996 als Spin-off die Camaraix GmbH, die Research zu den Kapitalmärkten bietet. Von Nitzsch agiert hier als Berater. So hat die Commerzbank nach Ideen von Fifam und Camaraix ein Insider-Index-Zertifikat auf den Markt gebracht. Es werden die Aktien gekauft, die die höchsten Kaufvolumina bei meldepflichtigen Insidergeschäften aufweisen.Vor kurzem ist von Nitzsch als unabhängiges Mitglied in den Aufsichtsrat der Kapitalanlagegesellschaft Generali Investments Deutschland gewählt worden. Auch hier zeigt sich, dass der umtriebige Wissenschaftler vor allem in der Region Aachen gut vernetzt ist. Der Versicherer AMB Generali, zu dessen Konzernkreis die Generali Investments zählt, hat seinen Hauptsitz (noch) in Aachen. Hedgefonds in PlanungDas aktuelle Projekt des Professors ist ein Hedgefonds, der die am Lehrstuhl erarbeiteten Erkenntnisse umsetzt. Hier kooperiert von Nitzsch mit der schweizerischen Asset-Management-Gesellschaft Patrimonium. Im vierten Quartal dieses Jahres soll der auf den Cayman-Inseln angesiedelte Fonds auf den Markt kommen. Als Total-Return-Fonds zielt er auf europäische Aktien. Die Fondsmanager sollen mit quantitativer Analyse Fehlbewertungen am Markt erkennen und dabei hohe Risikoprämien kaufen und niedrige verkaufen, erläutert von Nitzsch. Zielgruppe sind sehr vermögende Schweizer, zu denen der Patrimonium-CEO und langjährige Investor Christoph Syz beste Kontakte unterhält. Die Ziele sind ehrgeizig: Etwa 1 Mrd. Euro will von Nitzsch einwerben – das ist so viel, wie Patrimonium insgesamt in Immobilien und Mittelstandsfinanzierung verwaltet.Von Nitzsch gefällt seine Rolle als Finanzmarktkenner mit Distanz, der ab und an selbst in das Geschehen eingreift, aber sich immer wieder an die Uni zurückziehen kann. Seine Studenten profitieren davon – auch wenn es mit der Zeit des Professors manchmal ein bisschen knapp sein dürfte: In den Vorlesungen – in diesem Semester doziert er über Finanzdienstleister – steht am Anfang Aktuelles auf der Agenda. Zwanzig Minuten diskutiert er mit seinen Studenten Zeitungsartikel über neueste Entwicklungen. Das mache allen Spaß, sagt der Prof. Traum vom StraßenmusikerFondsmanager oder Vorstandsmitglied eines börsennotierten Unternehmens will der 48-Jährige nicht werden. Nach einem kurzen Ausflug zur Deutschen Bank zu Beginn seiner Karriere ist er schnell wieder an die Uni zurückgekehrt. Von Nitzsch hat in Aachen Informatik studiert und nach einem wirtschaftswissenschaftlichen Zusatzstudium plus Promotion sich an der Uni Köln habilitiert. Seit 1996 lehrt er in Aachen.Wenn ihm die Wissenschaft der Finanzmärkte eines Tages zu eingleisig, nüchtern oder stressig werden sollte, schwebt ihm im Übrigen etwas ganz anderes vor: “Ich würde gerne Straßenmusiker werden.” Beim ersten Selbstversuch vor der berühmten Kathedrale Notre-Dame in Paris vor einiger Zeit im Urlaub gelang dem Saxophon spielenden Prof jedoch lediglich ein bescheidener Erfolg: Nur 1,50 Euro kamen in der Touristenmetropole in einer halben Stunde zusammen.