Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Thomas Mahlich

Der prozessuale Ausverkauf - Anlegerschutz durch Sammelklagen?

Doch das Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz wird "amerikanischen Irrsinn" kaum importieren - Prävention der Investoren ist erforderlich

Der prozessuale Ausverkauf - Anlegerschutz durch Sammelklagen?

– Herr Mahlich, im Rahmen ihrer Maßnahmen zur Verbesserung des Anlegerschutzes hat die Bundesregierung den Entwurf für ein Kapitalanleger-Musterverfahrensgesetz (KapMuG) vorgelegt. Bekommen wir amerikanische Verhältnisse mit hohen Streitwerten?Nicht einmal die Bundesregierung geht in ihrem Aktionismus zur vermeintlichen Verbesserung des Anlegerschutzes so weit, den amerikanischen Irrsinn zu importieren. Allein 2004 stieg die Zahl der Anleger-Sammelklagen in den USA um 17 % auf 212 mit einem Gesamtstreitwert von 70 Mrd. Dollar. Sammelklagen in den USA dienen auch nicht dem Anlegerschutz. Es profitieren ausschließlich die Klägeranwälte. Das Prinzip: Der Klägeranwalt arbeitet auf Basis eines Erfolgshonorars, d. h. der Anwalt finanziert den Prozess aus eigener Tasche und erhält am Ende ein Drittel dessen, was er durch Vergleich oder Urteil “erwirtschaftet”. Die Erfolgsformel: Hart und hoch einsteigen, viel Druck auf die Beklagten ausüben und schnellstmöglich vergleichen. Für den einzelnen Anleger bleibt nach Abzug von Anwaltshonorar und Verfahrenskosten meist nur ein Taschengeld übrig. – Wie kann sich dieses System in den USA halten?Sammelklagen sind dort gerade bei Produkthaftungs- und Aktionärsklagen ein echtes volkswirtschaftliches Problem. Es gibt keinen Schutz und kaum ein vernünftiges Korrektiv. Die hohen Streitwerte resultieren aus den “punitive damages”, einem Strafschadenersatz, mit dem der Beklagte für vermeintlich rechtswidriges Handeln bestraft werden soll. Der Supreme Court hat zwar versucht, den Strafschadenersatz in der Höhe auf das Neunfache des tatsächlich erlittenen Schadens zu begrenzen. In schweren Fällen soll diese Beschränkung aber nicht gelten. Jetzt gibt es den Class Action Fairness Act, der die Zuständigkeit für bestimmte Sammelklagen auf die Ebene der Bundesgerichte verlagert. Damit will man verhindern, dass Sammelklagen bei ganz bestimmten einzelstaatlichen Gerichten in Bezirken eingereicht werden, die für Klägerfreundlichkeit bekannt sind. – Was haben wir in Deutschland vom KapMuG zu erwarten?Jedenfalls keine Verbesserung des Anlegerschutzes und keine Sammelklagen im US-Stil. Das Gesetz soll in erster Linie Gerichte entlasten. Es gehört nicht viel Fantasie dazu, um zu erkennen, dass ein deutsches Landgericht bei einem Rechtsstreit wie dem Telekom-Verfahren mit 15 000 Klägern kollabiert. Nach dem Entwurf des KapMuG muss zwar immer noch jeder Kläger zunächst selbst klagen. Bei gleichgelagerten Sachverhalten kann ein Musterverfahren durchgeführt werden. Bis zu dessen Entscheidung werden gleichartige Rechtsstreite ausgesetzt. Das minimiert Verfahrenskosten. Ich wage zu bezweifeln, dass die erhoffte Entlastung wirklich eintritt. Sind die Musterverfahren erst einmal entschieden, werden auch die bis dahin ausgesetzten Prozesse fortgeführt. Ich glaube nicht, dass dann die Ergebnisse der Musterverfahren reibungslos übernommen werden. – Wird die Zahl von Aktionärsklagen zunehmen?Auf jeden Fall. Jetzt werden die einschlägigen “Anleger-Anwälte” erst recht alle Kräfte mobilisieren, um auch den letzten möglicherweise noch geschädigten Aktionär zur Klage zu überzeugen. – Wird dadurch auch der Anlegerschutz verbessert?Nein. Dazu müssen Sie in erster Linie den Anleger vor sich selber schützen. Viele Anleger haben ohne Vorkenntnisse oder fachkundige Beratung zur falschen Zeit die falschen Aktien gekauft und dabei leider auch viel Geld verloren. Das war keineswegs immer die Schuld betrügerischer Manager. Anlegerschutz heißt: Präventive Aufklärung vor Aktienkauf und nicht noch mehr Zivilprozesse, bei denen letztlich nur der Anwalt verdient.Thomas Mahlich ist Leiter der Zivil- und Prozessrechtsabteilung von Jones Day Deutschland. Die Fragen stellte Walther Becker.