Recht und Kapitalmarkt

Der Rechtsverlust für Aktionäre im Kapitalmarktrecht

"Acting in Concert" und die Frage nach dem Verbotsirrtum - Für jeden Beteiligten ist eine getrennte Prüfung erforderlich

Der Rechtsverlust für Aktionäre im Kapitalmarktrecht

Von Peter O. Mülbert und Uwe H. Schneider *)Die Vorgänge bei der Deutsche Börse AG, aber auch bei IWKA und anderen zeigen anschaulich die Problematik des “Acting in Concert”. Probleme bereitet zum einen der rechtliche Gehalt dieses Begriffs, den die Oberlandesgerichte Frankfurt und München abweichend interpretieren, und zum anderen die Frage, ob und welche Aktionäre ihr Verhalten mit rechtlich relevanter Intensität abstimmen. Dabei betrifft die Unsicherheit darüber, wann ein abgestimmtes Verhalten von Aktionären vorliegt und ihre jeweiligen Stimmrechte wechselseitig zugerechnet werden, einen Kernpunkt des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG) und des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG). Größte ProblemeFür Vorstand und Aufsichtsrat der Zielgesellschaften resultieren gegebenenfalls größte Probleme. Auch nach einer Präzisierung des Rechtsbegriffs durch den Bundesgerichtshof werden die Organe vielfach weiterhin vor dem Problem stehen, dass ihr Handeln gefordert ist, obwohl das Vorliegen eines Acting in Concert in tatsächlicher Hinsicht unsicher erscheint. Doch der Reihe nach:Ob abgestimmtes Verhalten von Aktionären vorliegt und ihre Stimmrechte wechselseitig zuzurechnen sind, ist übernahmerechtlich bedeutsam für die Frage, ob mehrere gemeinsam handelnde Aktienerwerber die Kontrollschwelle des § 29 Abs. 2 WpÜG überschritten haben und diese Tatsache unverzüglich, spätestens innerhalb von sieben Tagen, veröffentlichen und innerhalb weiterer vier Wochen ein Pflichtangebot abgeben müssen. Schon im Vorfeld kann sich die Frage stellen, ob gemeinsam handelnde Aktionäre einen Anteil von 5, 10, 25, 50 oder 75 % der Stimmrechte an einer börsennotierten Gesellschaft erworben und diesen Vorgang der Gesellschaft sowie der BaFin unverzüglich, spätestens innerhalb von sieben Tagen, mitzuteilen haben (§ 21 WpHG).Verletzungen der Pflicht zur Meldung einer Stimmrechtsbeteiligung und zur Abgabe eines Pflichtangebots haben einen kapitalmarktrechtlichen Rechtsverlust zur Folge. Nach § 28 WpHG und § 59 WpÜG verlieren der pflichtvergessene Aktionär und die mit ihm gemeinsam handelnden Personen sowie deren Tochterunternehmen alle Mitgliedschaftsrechte aus der Aktie für den Zeitraum, in dem die Meldepflicht oder die Angebotspflicht nicht erfüllt wird. Dies wird als “schärfste Sanktion” aus wirtschaftlicher Sicht bezeichnet. Doch das nur bedingt richtig.Das Stimmrecht hat allein auf der Hauptversammlung (HV) Bedeutung, und die findet, wenn es nicht zu einer ao. HV kommt, nur einmal im Jahr statt. Das Dividendenbezugsrecht beruht auf dem Beschluss der Hauptversammlung über die Gewinnverwendung, so dass sich der Rechtsverlust zwischen zwei Hauptversammlungen insoweit nicht auswirkt. Verloren sind ferner die Bezugsrechte bei einer Kapitalerhöhung gegen Einlagen sowie der Anspruch auf Teilhabe am Liquidationserlös. Rückabwicklung drohtAnerkennt man auch ein aus der Mitgliedschaft fließendes Recht dahin, dass die Gesellschaft einen Aktionär im Rahmen eines Rückkaufprogramms verhältnismäßig berücksichtigt und mit ihm einen Kaufvertrag über die entsprechende Zahl von Aktien abschließt – wie dies gewichtige Stimmen neuerdings aus der Regelung des § 71 Abs. 1 Nr. 8 AktG über den Rückerwerb kraft Hauptversammlungsbeschluss ableiten -, geht dieses Andienungsrecht ebenfalls verloren. Ein gleichwohl getätigter Rückerwerb unterläge der Rückabwicklung nach Bereicherungsrecht, wobei schon der Kaufvertrag selbst rückgängig wäre.Besondere – und bislang noch überhaupt nicht bedachte Probleme – bereitet dabei der Aktienrückkauf über die Börse. Bei dieser Gestaltung wäre wegen der Anonymität des Börsenhandels nicht ausgeschlossen, dass die Gesellschaft auch Aktien des vom Rechtsverlust betroffenen Aktionärs erwirbt und die Sanktion damit unterläuft. Zwar wird in der Entscheidung des Vorstands für den börsengebundenen Rückerwerb ein partieller Ausschluss des mitgliedschaftlichen Andienungsrechts gesehen. Doch verbleibe dem Aktionär immerhin ein mitgliedschaftlicher Anspruch auf Wahl eines Rückerwerbsverfahrens, das ihm die Chance auf den “Zuschlag” belasse – und auch dieses auf formale Gleichbehandlung gerichtete Recht unterliegt dem Rechtsverlust nach § 28 WpHG und § 59 WpÜG. Über die BörseDas alles läuft auf die Frage hinaus, ob diesen Sanktionen im Falle eines Aktienrückkaufprogramms die Wirkung genommen werden darf, indem der Vorstand einen Rückerwerb über die Börse beschließt, bzw. ob dieser nicht sicherstellen muss, dass der Aktienrückerwerb unmittelbar über die Aktionäre darzustellen ist. Sollte sich herausstellen, dass bei der Deutschen Börse oder bei IWKA Acting in Concert vorlag, wären die Beschlüsse der Hauptversammlung anfechtbar gewesen. Dieses Problem hätte sich durch Zeitablauf freilich erledigt. Es wären jedoch auch Dividenden bezogen worden, obwohl die Meldepflichten verletzt und das Pflichtangebot unterlassen worden wäre. Insoweit gibt es aber eine Einschränkung. Der Rechtsverlust tritt nicht ein, wenn die Mitteilung bzw. das Angebot nicht vorsätzlich unterlassen wurden und nachgeholt worden sind. Da der Sachverhalt den Beteiligten in der Regel bekannt sein dürfte, stellt sich allenfalls die Frage nach dem kapitalmarktrechtlichen Verbotsirrtum – und zwar zum Zeitpunkt der Vereinbarung.Das ist für jeden der Beteiligten getrennt zu prüfen. Auf Auskünfte von Investmentbanken über deutsches Kapitalmarktrecht darf sich der Anleger in solchen Fällen nicht verlassen. Der Verbotsirrtum ist vermeidbar, der Vorsatz bleibt bestehen, die Dividenden sind verloren. Folglich besteht die Pflicht des Vorstands, bei Auszahlung der Dividende das Bezugsrecht zu prüfen, gegebenenfalls nicht auszuzahlen und – wenn sich der Verlust des Dividendenbezugsrechts herausstellt – die Dividenden von den pflichtvergessenen Anlegern wieder einzusammeln. Sonst droht dem Vorstand die Organhaftung. Nur wer diese Zusammenhänge erkennt, versteht den kapitalmarktrechtlichen Sanktionsmechanismus. Ob darüber hinaus strafrechtliche Sanktionen drohen, insbesondere der in vielfachen gesellschafts- und kapitalmarktrechtlichen Zusammenhängen (über)strapazierte § 266 StGB, soll nur erwähnt werden. In besonders unangenehme Lage gerät der Aufsichtsratschef als Vorsitzender der HV; denn er hat vor der Beschlussfassung die Stimmberechtigung der Aktionäre zu prüfen. In der Praxis geschieht dies in der Regel nicht. Vielmehr übergeht der Vorsitzende das Problem im Bewusstsein, dass jede Entscheidung falsch sein kann. Schließt er die betreffenden Anleger von der Teilnahme an der HV und der Ausübung des Stimmrechts aus, riskiert er, dass diese die HV-Beschlüsse anfechten. Schließt er sie nicht aus, riskiert er, dass die anderen Aktionäre anfechten. Hier entsteht ein unerfreuliches Betätigungsfeld für räuberische Aktionäre. Aufsichtsratschef gefragtDas Problem erledigt sich jedenfalls nicht durch den schlichten Hinweis, die Kreditinstitute hätten die Stimmberechtigung der Aktionäre geprüft; denn im Vorfeld haben die eingeschalteten Institute nur gefragt, ob der Anleger legitimiert ist. Sie haben nicht untersucht, ob ihr Stimmrecht wegen Verletzung der Meldepflicht und der Pflicht zur Abgabe eines Pflichtangebots verloren ist. Hat der Aufsichtsratsvorsitzende irgendwelche Anhaltspunkte hierfür, so hat er in der HV die betreffenden Anleger zumindest zu befragen, ob ein Sachverhalt gegeben ist, aus dem ein Acting in Concert abzuleiten ist. Hinsichtlich der rechtlichen Bewertung darf sich der Aufsichtsratsvorsitzende nicht auf die Auskunft der Anleger verlassen, sondern muss selbst den Sachverhalt bewerten. Versäumt er dies, so handelt er pflichtwidrig und hat die Anfechtbarkeit der Beschlüsse zu verantworten. *) Prof. Dr. Peter O. Mülbert, Universität Mainz, ist Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität;Prof. Dr. Uwe H. Schneider, TU Darmstadt, ist Direktor des Instituts für deutsches und internationales Recht des Spar-, Giro- und Kreditwesens an der Johannes Gutenberg-Universität Mainz.