Der Stresstest für Vermögensverwalter
Stresstests spielen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Kapitalmarktregulierung, insbesondere nachdem deutlich wurde, dass klassische Risikomodelle viele Finanzinstitute unzureichend auf die letzten Kapitalmarktkrisen vorbereitet hatten. Bekannt wurden Stresstests der breiten Öffentlichkeit, als für Banken europaweit Stresstests durchgeführt wurden, um die Eigenkapitalausstattung systemrelevanter Banken zu überprüfen. So fand insbesondere der Stresstest 2011 der Europäischen Bankaufsicht (EBA), an dem 91 Banken mitten in der Schuldenkrise teilnehmen mussten, eine große Beachtung. Ganz neu sind Stresstests freilich nicht. Bereits seit Ende 2002 müssen beispielsweise Versicherungen die Ergebnisse jährlicher Stresstests an die BaFin melden.Zu diskutieren ist, ob und in welcher Ausgestaltung Stresstests auch für Vermögensverwalter ein sinnvolles Instrument der Krisenvorbereitung sind. Zwar sind Vermögensverwalter nicht wie Banken systemrelevant, weshalb eine strenge Regulierung nicht notwendig erscheint, gleichwohl ist das Geschäft der Vermögensverwaltung noch unmittelbarer von den Entwicklungen an den Kapitalmärkten betroffen als das einer Versicherung oder Bank.In Deutschland findet sich die regulatorische Grundlage für die Durchführung von Stresstests in den Mindestanforderungen an das Risikomanagement (MaRisk), die in ihrer aktuellen Fassung von der BaFin mit Rundschreiben 11/2010 veröffentlicht wurden. Die MaRisk gelten auch für Finanzdienstleistungsinstitute mit einer Lizenz nach § 32 KWG – also beispielsweise klassische Vermögensverwalter wie sie im Verband für unabhängige Vermögensverwalter (VuV) zusammengeschlossen sind. Drei SchritteDie MaRisk schreiben historische und hypothetische Stresstests vor. Dabei sind außergewöhnliche, aber plausibel mögliche Ereignisse abzubilden. Es lassen sich für den Stresstest eines Vermögensverwalters drei Schritte ableiten. Erstens sollten auf der Kapitalanlageebene historische und hypothetische Stresstests für einzelne Kundenportfolios sowie das aggregierte Gesamtportfolio eines Vermögensverwalters durchgeführt werden (Marktstresstest). Zweitens sollte, darauf aufbauend, auf der Kundenebene eine Ableitung des Anlageverhaltens der Kunden bei Stressszenarien erfolgen (Kundenstresstest). Drittens sollten daraus auf der Unternehmensebene die Implikationen für die Ertragssituation des Vermögensverwalters abgleitet werden (Unternehmensstresstest).Für den Markstresstest sind die historischen Phasen zu ermitteln, in denen die Vermögensanlagen die höchsten Verluste erlitten hätten. Typischerweise sind dies die großen Crashs an den Finanzmärkten, die in der jüngeren Vergangenheit beispielsweise durch die Terrorangriffe vom 11. September 2001 oder die Insolvenz von Lehman Brothers im September 2008 ausgelöst wurden. In diesen Phasen haben die Kurse an den weltweiten Aktienmärkten in relativ kurzer Zeit jeweils zwischen 15 % und 30 % nachgegeben. Auch andere Anlageklassen wie z. B. Unternehmensanleihen haben beispielsweise 2008 teilweise erhebliche Verluste erlitten. Ein konsequentes “Durchspielen” dieser historischen Stressperioden anhand der aktuellen Asset-Allokation gibt dem Vermögensverwalter einen guten ersten Eindruck von der Reaktion der Portfolios auf Extremsituationen.Die reine Nutzung von historischen Szenarien ist allerdings immer mit einem Problem verbunden: Nicht alles, was theoretisch eintreten könnte, wurde in der Vergangenheit schon einmal beobachtet. Daher ist es erforderlich, neben historischen Stressphasen auch hypothetische Extremsituationen zu betrachten. Hypothetische Stresstests könnten sich an den Vorgaben der Europäischen Bankenaufsicht für die EU-weiten Stresstests oder den Vorgaben der BaFin für die Versicherer-Stresstests orientieren.Deutlich schwieriger ist es, im Kundenstresstest das potenzielle Kundenverhalten in den Stressszenarien zu modellieren. Als Orientierung könnte beispielsweise der für Publikumsfonds empirisch ermittelbare Zusammenhang zwischen Kursverlusten und Mittelabflüssen auch für die Vermögensverwaltung angesetzt werden. So könnten Anlageverluste von beispielsweise 10 % im Rahmen der Stressszenarien zum Abfluss von 20 % oder gar 40 % der Kundengelder führen. Derartige Überlegungen sollte jeder Vermögensverwalter anhand seiner individuellen Kundenstruktur durchführen und dabei insbesondere mögliche Konzentrationen von Kundenrisiken identifizieren.Da das Honorar eines Vermögensverwalters eng an das verwaltete Vermögen gekoppelt ist, können extreme Kursverluste und Mittelabflüsse unmittelbar zu Ertragseinbußen auf der Unternehmensebene führen. In einem dritten Schritt sind deshalb im Unternehmensstresstest die Auswirkungen von Markt- und Kundenstresstest auf die Ertragssituation zu analysieren und zu quantifizieren.Starke Ertragsrückgänge machen eine Anpassung der Kosten erforderlich, um hohe Verluste vermeiden zu können. So wäre es sinnvoll, durch entsprechende vertragliche Gestaltungen einen möglichst großen Teil der Kosten variabel zu halten, so dass Ertragseinbrüche nicht zu einer Existenzgefährdung des Unternehmens aufgrund zu hoher Fixkosten führen. Jeder Vermögensverwalter sollte schließlich, aufbauend auf den Ergebnissen des Unternehmensstresstests, individuelle Verlustgrenzen festlegen, bei deren Erreichen beispielsweise die Eigenkapitalausstattung verbessert werden muss.Die Überlegungen zeigen, dass es auch für Vermögensverwalter sinnvoll ist, sich mit dem Instrumentarium des Stresstests auf mögliche Krisenszenarien vorzubereiten und Handlungspläne für diese Fälle vorzubereiten. Es darf aber nicht übersehen werden, dass selbst hypothetische Stresstests einen Vermögensverwalter nicht vor allen möglichen zukünftigen Extremszenarien schützen können, da es immer Ereignisse geben wird, die vorab nicht bedacht wurden. Prozyklisches VerhaltenAuch sollte berücksichtigt werden, dass viele Anleger riskante Positionen in extremen Kapitalmarktzeiten auflösen müssen. Zu diesem prozyklischen Anlageverhalten sind diese Anleger aufgrund der regulatorischen Anforderung zur Durchführung von Stresstests gerade gezwungen. Vermögensverwalter sollten sich ihre Anlagefreiheit bewahren und in Stressphasen eine ruhige und besonnene Anlagepolitik verfolgen. Gerade dadurch können sie sich von vielen anderen, strenger regulierten Anlegern positiv abheben. Stresstests können somit für Vermögensverwalter ein sinnvolles Instrument zur Krisenvorbereitung sein, sie sollten aber keine automatischen Portfolioumschichtungen nach sich ziehen.