Anlageprodukte

Derivateangebot stellt Rekord auf

Banken bieten mehr als 500 000 Zertifikate und Hebelprodukte an - Ein Ende des Booms ist nicht in Sicht

Derivateangebot stellt Rekord auf

Von Armin Schmitz, FrankfurtDer Derivatemarkt hat in Deutschland einen neuen Meilenstein erreicht. Rund zwei Jahre nach der Insolvenz der US-Investmentbank Lehman Brothers überschritt das Angebot an der Börse Stuttgart erstmalig das Niveau von einer halben Million Anlagezertifikaten und Hebelprodukten. Aktuell hat der Anleger die Wahl zwischen rund 511 000 Produkten. In Frankfurt liegt das Angebot noch bei 496 800 Papieren. 2 500 Listings pro TagAllein in dem laufenden Jahr legten die Banken 519 541 Derivate auf. Auf Scoach, der Handelsplattform für strukturierte Wertpapiere der Börse Frankfurt, wurden in diesem Jahr täglich rund 2 504 Papiere neu gelistet. Unter Berücksichtigung der ausgelaufenen und ausgeknockten Papiere wuchs das Angebot in diesem Jahr bereits um 156 935 Papiere. Damit hat sich die Wachstumsgeschwindigkeit gegenüber dem Vorjahr deutlich beschleunigt. Ende 2009 wuchs das Angebot um lediglich 51 000 auf 351 065 Papiere. “Das Angebot komplettiert den Markt”, erklärt Lars Brandau, Geschäftsführer des Deutschen Derivate Verbandes den Emissionsboom.Tatsächlich gibt es in keinem anderen Land eine so riesige Produktpalette. So sind beispielsweise wegen der wesentlich höheren Quotierungsgebühren im Nachbarland Schweiz gerade einmal 29 300 Papiere börslich gelistet. Der weitaus größere Teil wird außerbörslich als Privatplatzierungen angeboten. Die unglaublich hohe Zahl der in Deutschland angebotenen Hebelprodukte und Anlagepapiere lässt den Privatanleger und auch den Profi den Überblick verlieren. Für die Suche sind spezielle Suchmaschinen notwendig, um das gewünschte Produkt zu finden. Außerdem ist eine hohe Datenqualität notwendig. Markt ist zweigeteiltIm Filialgeschäft suchen die Anleger wegen der Angst vor dem Emittentenrisiko nach relativ sicheren Produkten wie Floater und Zinsstufenanleihen. Der Markt für die strukturierten Produkte wird aber derzeit durch die sogenannten Selbstentscheider dominiert. Sie generieren an den Börsen Umsätze von rund 4,5 Mrd. Euro. Der Kampf um diese Anlegergruppe wird von den Banken sehr hart geführt. Um Marktanteile zu gewinnen oder zu halten, legen die Banken für jeden Anlegertyp, möglichst jede Marktlage und auf so viele Basiswerte wie möglich die passenden Produkte auf. Darüber hinaus kommen immer weitere Emittenten auf den deutschen Markt, die wie die etablierten Banken vorgehen. In den Datenbanken gehen die Produkte von Emittenten, die eine nur geringe Emissionstätigkeit aufweisen, regelrecht unter. Also sind auch diese bemüht, ihr Produktangebot nach dem Gießkannenprinzip zu steigern. Viele Banken verteidigen ihre rege Emissionstätigkeit damit, dass man nicht vorhersagen könne, in welchen Laufzeiten, Basispreisen, Underlyings und Barrieren Nachfrage auftauche.Vorteilhaft sind die im Vergleich zu den Fonds niedrigen Genehmigungsgebühren, kurze Zulassungszeiten und die auf rund 50 000 Euro nach oben begrenzten Listinggebühren an den deutschen Börsen. Ist dieses Limit erreicht, kann die Bank im Grunde unbegrenzt Zertifikate oder Hebelprodukte an der Börse notieren lassen, ohne dass sich der Betrag erhöht. Diesen Deckel gibt es beispielsweise in der Schweiz nicht.Das Angebot von 500 000 Produkten scheint ein Paradies für Anleger zu sein, die für jede Marktlage und jeden Basiswert ein Derivate vorfinden. Die Realität sieht aber anders aus. Marktkenner gehen davon aus, dass in der Hälfte der Anlagezertifikate und Hebelpapiere der Emittenten keine Anlegergelder liegen.Dieses riesige Produktangebot hat natürlich seine Schattenseiten. Da für die an Zahl zunehmenden Produkte ständig Kauf- und Verkaufskurse zu stellen sind, müssen ausreichende IT-Kapazitäten vorgehalten werden, die auch in volatilen Marktphasen verlässlich arbeiten. So verzeichnete Scoach in Spitzenzeiten 700 Millionen Quotes, also Kauf- und Verkaufskurse für Zertifikate und Hebelprodukte, am Tag. Damit zusätzlich die Orderausführungen zeitnah in Sekundenbruchteilen ausgeführt werden können, sind also erhebliche IT-Investitionen für die Börsen und die Banken notwendig. Tatsächlich zeigen die Messungen der Ausführungszeiten auch in volatilen Zeiten keine nennenswerte Verlangsamung der Orderausführungen.Für die Kritiker des Marktes galt bereits die Zahl von rund 300 000 Papieren während der Boomphase 2007 als Zeichen eines irrationalen Überschwangs. Ein Ende des Angebotswachstums ist sicherlich noch nicht in Sicht, da auch die kleineren Emittenten ihre Produktzahl erheblich ausweiten, um in der Flut an Zertifikaten und Hebelprodukten der Konkurrenten nicht unterzugehen. Eine Begrenzung der Emissionsflut durch eine Anhebung der Listinggebühren auf nun 50 000 Euro hat bisher seine Wirkung verfehlt. Ein Ende dieses Booms kann allerdings nur über die Kostenseite erfolgen.—– Kommentar Seite 1