RECHT UND KAPITALMARKT

Deutliche Eingriffe ins Insolvenzrecht

Aussetzung der Antragspflicht gibt von der Coronakrise betroffenen Unternehmen mehr Zeit - Privilegierung von Sanierungskrediten

Deutliche Eingriffe ins Insolvenzrecht

Von Nefail Berjasevic *)Der deutsche Gesetzgeber hat das Gesetz zur Abmilderung der Folgen der Covid-19-Pandemie im Zivil-, Insolvenz- und Strafverfahrensrecht verabschiedet. Das Gesetz bringt massive gesetzliche Änderungen. Dies gilt insbesondere für das Insolvenzrecht. Hier wird mit der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ein grundlegendes Prinzip außer Kraft gesetzt. Dadurch soll den betroffenen Unternehmen Zeit gegeben werden, um notwendige Vorkehrungen zur Beseitigung der Insolvenzreife zu treffen, insbesondere um zu diesem Zwecke die ebenfalls aufgelegten staatlichen Hilfen in Anspruch zu nehmen. Daneben hat der Gesetzgeber das Insolvenzanfechtungsrecht gelockert. Hierdurch sollen Kreditgeber und Gesellschafter motiviert werden, notleidenden Unternehmen Liquidität zur Verfügung zu stellen.Die Covid-19-Pandemie hat zu einem abrupten, flächendeckenden Stillstand großer Teile der deutschen Wirtschaft geführt. Um die Gefahr einer damit einhergehenden Pleitewelle einzudämmen, hat die Bundesregierung im Eiltempo milliardenschwere Hilfspakete für Unternehmen aufgelegt. Da absehbar war, dass diese Hilfspakete eine gewisse Anlaufzeit benötigen, hat der Gesetzgeber flankierend die Insolvenzantragspflicht ausgesetzt. Ohne HaftungsrisikoGrundsätzlich muss der Geschäftsleiter unverzüglich einen Insolvenzantrag stellen, wenn sein Unternehmen zahlungsunfähig oder überschuldet ist. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, drohen nicht nur zivilrechtliche Haftungsansprüche, sondern auch strafrechtliche Sanktionen. Die Insolvenzantragspflicht ist nun bis Ende September suspendiert. Geschäftsleiter zahlungsunfähiger oder überschuldeter Unternehmen können den Geschäftsbetrieb auch ohne Haftungsrisiko weiterhin aufrechterhalten.Zwar gilt die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht nur, wenn die Insolvenzreife auf den Auswirkungen der Covid-19-Pandemie beruht oder keine Aussichten darauf bestehen, eine bestehende Zahlungsunfähigkeit zu beseitigen. Allerdings wird dies vermutet, wenn am 31. Dezember 2019 keine Zahlungsunfähigkeit vorlag. Die Gefahr, dass die Neuregelung auch Trittbrettfahrer anlockt, also solche Unternehmen, die schon vor der Pandemie, aber erst nach dem 31. Dezember 2019 insolvent geworden sind, ist offensichtlich. Entsprechend heftig kritisiert wurde die Vermutungsregelung von Seiten der deutschen Insolvenzverwalter, die sich für einen deutlich späteren Stichtag (Ende Februar 2020) aussprechen.Um zu verstehen, wie heftig der Eingriff in das Insolvenzrecht durch die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht ist, muss man wissen, dass die Insolvenzantragspflicht quasi der Preis für die Haftungsbeschränkung bei Kapitalgesellschaften ist. Gläubigern einer Kapitalgesellschaft haftet auch im Insolvenzfall grundsätzlich nur das Gesellschaftsvermögen; der Durchgriff auf das Privatvermögen der Anteilseigner ist grundsätzlich ausgeschlossen. Diese Haftungsbeschränkung verliert ihre Legitimation, wenn das Gesellschaftsvermögen vollständig verwirtschaftet ist. Nur wenn sichergestellt ist, dass Unternehmen aus dem Verkehr gezogen werden, sobald sie ihre Verbindlichkeiten nicht mehr erfüllen können, werden Gläubiger hinnehmen, dass die Haftung für ihre Forderungen auf das Gesellschaftsvermögen beschränkt ist.Auch die praktischen Folgen sind noch nicht absehbar. Dass Gläubiger in den nächsten Monaten vermehrt auf Vorkasse bestehen werden, um das eigene Ausfallrisiko gering zu halten, ist nicht auszuschließen – was wiederum die Sanierungsmöglichkeiten der von der Corona-Pandemie betroffenen Unternehmen einschränkt.Die Zeitspanne für die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende September ist vor diesem Hintergrund nicht unbedenklich. Eine dreimonatige Begrenzung mit Verlängerungsoption hätte mit Sicherheit ausgereicht, um die staatlichen Hilfsprogramme in Anspruch zu nehmen. Es bleibt zu hoffen, dass das Bundesjustizministerium von der Option, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht bis Ende März 2021 zu verlängern, keinen Gebrauch machen muss.Die zweite wesentliche Änderung betrifft die Privilegierung von Sanierungskrediten. Die Vergabe von Sanierungskrediten war nach bisher geltendem Recht an strenge Vorgaben geknüpft. Erforderlich war regelmäßig die Vorlage eines Sanierungsgutachtens. Nur so konnte der Kreditgeber sicherstellen, dass die Rückzahlung der Kredite und die für den Sanierungskredit gewährten Sicherheiten auch in der späteren Insolvenz Bestand hatten. Die durch die Covid-19-Pandemie hervorgerufenen Unsicherheiten erschweren die Erstellung verlässlicher Prognosen und Planungen. Damit diese Unsicherheiten die Bereitschaft zur Kreditvergabe nicht hemmen, hat der Gesetzgeber die Vergabe neuer Kredite privilegiert. Sowohl die Rückgewähr eines bis Ende September gewährten neuen Kredits (“fresh money”) als auch die entsprechende Sicherheitenbestellung gelten als nicht gläubigergefährdend und sind somit insolvenzanfechtungsfest. Dies gilt für sämtliche Rückzahlungen, die bis Ende September 2023 erfolgen. Der Gesetzeswortlaut privilegiert nicht nur reine Neukredite, sondern auch Umschuldungen. Es darf bezweifelt werden, dass die Umwandlung von Altkrediten in privilegierte Neukredite dem Willen des Gesetzgebers entspricht. Kreditgeber, die zu entsprechenden Strukturierungen greifen, gehen das Risiko ein, dass die Privilegierung ihrer Kredite vor Gericht keinen Bestand haben könnte. Kein NachrangAuch Gesellschafter sollen nach dem Willen des Gesetzgebers motiviert werden, ihren notleidenden Gesellschaften neue Liquidität zur Verfügung zu stellen. Bekanntlich sind Gesellschafterdarlehen in der Insolvenz nachrangig. In der Praxis bedeutet dies, dass Gesellschafter ihr Gesellschafterdarlehen ebenso wie ihre Einlage ins Eigenkapital in der Insolvenz der Gesellschaft vollständig abschreiben müssen. Zudem müssen Gesellschafter sämtliche Zahlungen, die die Gesellschaft im letzten Jahr vor der Insolvenz auf das Darlehen geleistet hat, zurückgewähren. Entsprechend gering dürfte aktuell die Bereitschaft von Gesellschaftern sein, notleidenden Unternehmen Darlehen zur Verfügung zu stellen. Dies nimmt der Gesetzgeber zum Anlass, die Privilegierung von Sanierungskrediten auch auf Gesellschafterdarlehen auszudehnen. Rückzahlungen auf Gesellschafterdarlehen, die bis Ende September 2020 ausgereicht werden, sind damit insolvenzanfechtungsfest. Diese Darlehen unterliegen in der Insolvenz der Gesellschaft auch keinem Nachrang; vielmehr sie sind gleichrangig wie die Kredite anderer Kreditgeber zu bedienen. Die Ausdehnung der Privilegierung auf Gesellschafterdarlehen führt dazu, dass Gelder, die das möglicherweise insolvente Unternehmen im Rahmen von Staatshilfen in Anspruch nimmt, auch zur Rückführung von Gesellschafterdarlehen verwendet werden können. Ob eine solche Mittelallokation sinnvoll ist, darf zumindest bezweifelt werden. AnfechtungsschutzEin Bedürfnis nach Anfechtungsschutz besteht schließlich auch in Fällen, in denen kein neuer Kredit vorliegt. Dies betrifft zum Beispiel Vertragspartner von Dauerschuldverhältnissen wie Vermieter sowie Leasinggeber, aber auch Lieferanten. Wenn solche Vertragspartner befürchten müssten, erhaltene Zahlungen im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen des Krisenunternehmens aufgrund einer Insolvenzanfechtung zurückzahlen zu müssen, wären sie geneigt, die Vertragsbeziehung auf schnellstem Wege zu beenden, was wiederum die Sanierungsbemühungen vereiteln würde. Auch hier schafft der Gesetzgeber Abhilfe, indem er die Anfechtung kongruenter Leistungen, das heißt solcher, die genau wie vereinbart erbracht werden, bis Ende 2020 grundsätzlich ausschließt. In Betracht kommt eine Insolvenzanfechtung nur noch in dem Ausnahmefall, dass dem Empfänger positiv bekannt ist, dass die Sanierungsbemühungen des betroffenen Unternehmens nicht zur Beseitigung einer eingetretenen Zahlungsunfähigkeit geeignet sind. *) Dr. Nefail Berjasevic ist Partner von Oppenhoff & Partner und leitet die Fachgruppe Insolvenz und Restrukturierung der Sozietät.