RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: THOMAS BROICHHAUSEN UND FREDERIK WINTER

Deutsche Lebensversicherer in der Krise?

Änderungen am Sicherungsfonds - Eintrittsrecht in Rückversicherungsverträge

Deutsche Lebensversicherer in der Krise?

Herr Dr. Broichhausen, Herr Dr. Winter, die Bundesregierung hat jüngst auf Anfrage aus einer Fraktion zu den geplanten Neuregelungen des Versicherungsaufsichtsgesetzes im Rahmen des Risikoreduzierungsgesetzes Stellung genommen. Diese beziehen sich auch auf die gesetzliche Auffangeinrichtung, also den Sicherungsfonds für Lebensversicherer. Sind die deutschen Lebensversicherer ernsthaft in einer Krise?Broichhausen: Der Ernstfall scheint insgesamt ein nicht zu unterschätzendes Szenario. Die Regelung fällt in eine Zeit anhaltender Niedrigzinsen, in der die BaFin verstärkt Lebensversicherer – derzeit etwa 20 – und Pensionskassen – derzeit 36 – aufgrund ihrer kritischen Kapitalisierung unter sogenannte intensivierte Aufsicht stellt. Die teils mit deutlichen Worten geführte Diskussion im Versicherungssektor dreht sich allerdings vor allem um angeblich mangelnde Transparenz. Die Neuregelung ist im Risikoreduzierungsgesetz verortet, das sich maßgeblich auf Banken bezieht. Im Hintergrund schwingt dabei aber zugleich die Frage mit, ob und inwiefern die gesetzlichen Auffangeinrichtungen wirklich tragfähig sind. Im Grunde ist die Thematik an sich nicht wirklich neu oder überraschend; gesetzgeberischer Ergänzungsbedarf an den entsprechenden Regelungen wurde bereits 2018 im sogenannten Evaluierungsbericht zum Lebensversicherungsreformgesetz angemeldet. Was ändert sich?Winter: Die gesetzliche Auffangeinrichtung für in Schieflage geratene Lebensversicherungsunternehmen ist die Protektor Lebensversicherungs-AG, die insofern eine öffentliche Funktion wahrnimmt. Mit Blick auf den Ernstfall müssten durch die nun geplanten Regelungen konkrete organisatorische Anforderungen zur Abwicklung eines Versicherungsbestands auf Ebene des Sicherungsfonds bereits vorzeitig implementiert werden. Der Sicherungsfonds verfügt aber im Ausgangspunkt nicht über relevantes Tagesgeschäft zur Verwaltung. Vielmehr wird die Organisationsstruktur erst im Abwicklungsfall relevant. Das heißt?Winter: Die beabsichtigte Änderung führt daher bereits im Vorfeld einer möglichen Abwicklung zu Verwaltungsaufwand und Kosten. Diese werden im Zweifel den Endkunden belasten, wie auch seitens der Industrie zum Teil eingewandt wird. Denn im Ergebnis tragen – vereinfacht formuliert – die Lebensversicherungsunternehmen die Kosten insgesamt als Gesellschafter der Protektor AG. Vor dem Hintergrund der Sicherstellung der Reaktionsgeschwindigkeit im Krisenfall wird dieser Kostenaufwand allerdings durch den Gesetzgeber in Kauf genommen. Welche Anpassungen müssen noch beachtet werden?Broichhausen: Neu eingefügt wurde außerdem ein ausdrückliches Eintrittsrecht des Sicherungsfonds in passive Rückversicherungsverträge. Das heißt konkret, wenn der Sicherungsfonds den Bestand eines sanierungsbedürftigen Lebensversicherers übernimmt, hat er ein Wahlrecht, in diese Verträge einzutreten. In der Praxis wird dies vor allem Bedeutung für bestehende Lösungsklauseln in den Rückversicherungsverträgen in Zusammenhang mit Bestandsübertragungen haben: Zivilrechtlich handelt es sich dabei um eine gesetzlich vorgegebene Auswechslung des Vertragspartners ohne Zustimmung der anderen Vertragspartei. Die entsprechende Anordnung legt nahe, dass in Rückversicherungsverträgen vereinbarte Kündigungsrechte für den Fall der Übertragung des Vertragsbestands jedenfalls in Bezug auf eine Bestandsübertragung auf den Sicherungsfonds unwirksam sein beziehungsweise nicht wirksam geltend gemacht werden können. Mit welchen Konsequenzen?Winter: In der Begründung betont die Regierung, dass betroffene Rückversicherer hierdurch nicht unverhältnismäßig belastet würden, da sie nur dazu verpflichtet werden, die bestehenden vertraglichen Pflichten auch gegenüber dem Sicherungsfonds als neuem Gläubiger einzuhalten. Zugleich bleiben angesichts des Wahlrechts zugunsten des Sicherungsfonds Zweifel, ob und inwiefern hier ein “cherry picking” zulasten von Vertragspartnern möglich ist – Bedenken, die im Ergebnis sicherlich nicht ganz von der Hand zu weisen sind. Dr. Thomas Broichhausen und Dr. Frederik Winter sind Partner von Linklaters. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.