ANLAGEPRODUKTE - IM INTERVIEW: CHRISTIAN REUSS, SCOACH

"Deutschland ist sicherlich ein Sonderfall"

Banken hierzulande setzen auf Handel mit Spezialisten - Scoach will Internationalisierung vorantreiben

"Deutschland ist sicherlich ein Sonderfall"

– Herr Reuss, in Deutschland liegt bei den börslichen Umsätzen mit strukturierten Produkten die Stuttgarter Euwax mit 70 % gegenüber 30 % bei Scoach weit vorne. Ist das ein Problem für Sie? Sehen Sie Chancen aufzuholen?Wir betrachten als Vergleichsgröße eher die Anzahl der Abschlüsse, da es sich größtenteils um einen Retailmarkt handelt und somit einzelne größere häufig institutionelle Trades zu Verzerrungen führen können. In dieser Betrachtungsweise beträgt unser Marktanteil 40 %. Vor wenigen Jahren hatte die Börse Frankfurt Smart Trading, der Vorgänger von Scoach, noch 20 % Marktanteil. Wir haben unseren Marktanteil also verdoppelt. Von daher sind wir mit der Entwicklung sehr zufrieden. Die Stuttgarter waren sicherlich relativ zu uns der “First Mover”, aber wir machen vielversprechende Fortschritte. Gerade im Bereich der aufkommenden Best-Execution-Auswertungen durch die Buyside konnten wir jüngst einige beachtliche Erfolge erzielen. Allerdings darf man nicht vergessen, dass der Hauptteil der Umsätze mit strukturierten Produkten in Deutschland nach wie vor nicht an den Börsen, sondern immer noch im außerbörslichen Over-the-Counter-Geschäft erfolgt. Dieser OTC-Bereich, der sicherlich 70 % des Marktes ausmacht, wird übrigens nach wie vor sehr viel weniger reguliert als das börsliche Geschäft. Entsprechend geringer sind Transparenz und Sicherheit des Handels.- Sorgt Mifid dafür, dass mehr Geschäft auf börsliche Plattformen gehoben wird?Mein Eindruck ist, dass Mifid im ersten Wurf ziemlich am OTC-Markt für strukturierte Produkte vorbeigegangen ist. Man wird sehen müssen, ob die Überarbeitung der Mifid-Richtlinie in diesem Bereich etwas umfassender sein wird. Es könnte aber auch geschehen, dass die Börsen zusätzlich reguliert werden, während der OTC-Bereich weiter außen vor bleibt. Das würde schlussendlich zu einem massiven Ungleichgewicht im Wettbewerb führen. Wir haben schon jetzt keine wirkliche Ahnung davon, wie groß der OTC-Markt für strukturierte Produkte in Deutschland, ein reiner Retailmarkt, wirklich ist. Es gibt einfach keine offiziellen Informationen zu Umsätzen, Mistrades, Handelsperformance etc.- Könnte das eine Derivatebörse wie Scoach, aber natürlich auch die Euwax marginalisieren?Diese Gefahr könnte in der Tat entstehen.- Wenn man sich Scoach Schweiz und Scoach Deutschland ansieht, so gibt es Unterschiede im Handelssystem. In Deutschland ist der Einsatz von Spezialisten üblich, in der Schweiz der automatisierte Handel. Warum gibt es in Deutschland bei den Emittenten Widerstand gegen den Handel ohne Spezialisten?Deutschland ist global betrachtet sicherlich ein Sonderfall, was das börsliche Handelsmodell für strukturierte Produkte angeht. Die weltweit größten Märkte für strukturierte Produkte Hongkong und Korea haben ebenso wie die Schweiz ein rein vollelektronisches Handelsmodell. Der deutsche Markt ist allerdings mit dem Spezialistenmodell groß geworden und hat damit sehr gute Erfahrungen gemacht. Es gilt also “Never change a running system”. Allerdings werden nach unserer Schätzung ungefähr 90 % der Trades auch beim Spezialisten ohne jeden menschlichen Eingriff abgewickelt. Der nächste Schritt in der Evolution der Handelssysteme für strukturierte Produkte könnten meines Erachtens nach sogenannte Quote Validation Mechanismen werden. Sowohl bei der Euronext als auch bei dem Nordic Growth Market (NGM) in Skandinavien sind diese bereits seit Kurzem im Einsatz. Auch in der Schweiz wurde ein sogenannter Indicative Quote bereits vor eineinhalb Jahren andiskutiert und selbst die Börse Korea zeigte jüngst grundsätzliches Interesse an der Idee.- Wie funktioniert das?Grundsätzlich ist die Idee, dass der Emittent vor dem Abschluss noch einmal die Gelegenheit bekommt, seinen Quote zu validieren. Bewegt sich nämlich der Basiswert, so muss der Emittenten binnen kürzester Zeit eine mitunter beträchtliche Zahl an Produkten preislich aktualisieren. In dieser Phase ist er für die sogenannte Tick-Arbitrage anfällig, das heißt, Arbitrageure kaufen Produkte, deren Preis noch nicht aktualisiert ist, und verkaufen diese nach der Aktualisierung Sekunden später wieder zurück. Im Ergebnis kann dies zu weiteren Spreads und weniger vom Emittenten bereitgestellter Liquidität führen, dem Markt also massiv schaden. An der Korean Exchange beträgt der Anteil dieser Arbitrage an der gesamten Börsenaktivität derzeit übrigens etwa 40 %. Die Validierungsmechanismen erlauben dem Emittenten, den gezeigten Quote mit dem aktuellen Referenzkurs des Basiswertes abzugleichen. Im Ergebnis können Anleger von engeren Spreads und größerer Liquidität profitieren. Die ersten Erfahrungen in den oben genannten Märkten scheinen auf jeden Fall positiv zu sein.- Was sind ihre strategischen Prioritäten für die weitere Entwicklung von Scoach?Bei Scoach Europa wollen wir unseren guten Weg weiter fortsetzen. Wir sehen gute Chancen, uns auf der Buyside mehr und mehr zu etablieren und den Second-Mover-Rückstand aufzuholen. Des Weiteren ist die Internationalisierung von großer Bedeutung, dass wir also dort, wo uns Xetra andere Märkte geöffnet hat, auch strukturierte Produkte anbieten. Bei der Scoach Europa kommen schon jetzt 10 bis 15 % der Trades aus dem Ausland. In der Schweiz erleben wir derzeit mit der Customization, also der Maßschneiderung von Produkten, einen Entwicklungssprung im Primärmarkt für strukturierte Produkte. Die Herausforderung der kommenden Jahre wird sein, den Sekundärmarkt, der eine Funktion des Primärmarktes ist, auf die neuen Bedürfnisse hin anzupassen.- Mit der Börsenfusion internationalisiert sich die Deutsche Börse weiter. Könnte das auch für Scoach neue Chancen bieten?Dazu kann ich an dieser Stelle leider nichts sagen. Scoach ist allerdings bereits international aufgestellt und es gibt schon einige Märkte, die an Scoach angeschlossen sind.—-Die Fragen stellte Dieter Kuckelkorn.