RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: CORNELIA WIENDL

Die Finanztransaktionssteuer verfehlt ihr ursprüngliches Ziel

Statt die Spekulation in der Branche einzudämmen, trifft sie Privatanleger

Die Finanztransaktionssteuer verfehlt ihr ursprüngliches Ziel

Frau Wiendl, das Bundesfinanzministerium unter Führung von Olaf Scholz hat begonnen, einen Richtlinienentwurf zur sogenannten Finanztransaktionssteuer zu versenden. Einiges über das seit 2011 diskutierte Vorhaben einer allgemeinen Besteuerung von Kapitalmarktgeschäften war bereits bekannt. Was ist der aktuelle Stand der Dinge?Der neue Vorschlag ist der erste konkrete Richtlinienvorschlag seit dem der EU-Kommission 2011. Der damalige Versuch einer EU-weiten Einführung scheiterte schnell am Widerstand einzelner Mitgliedstaaten – auch Deutschlands. Seither versuchen inzwischen nur noch zehn Staaten, die Einführung der Steuer im Rahmen einer “verstärkten Zusammenarbeit” zu erreichen. Partner sind neben Deutschland und Frankreich auch Belgien, Griechenland, Spanien, Italien, Österreich, Portugal, Slowenien und die Slowakei. Der nun vorgelegte Entwurf unterscheidet sich deutlich vom ursprünglichen Richtlinienvorschlag aus dem Jahr 2011. Er sieht vor, den Handel mit Aktien von Unternehmen zu besteuern, die ihren Sitz in einem teilnehmenden Mitgliedstaat haben und deren Marktwert 1 Mrd. Euro übersteigt. Der Steuersatz soll dabei 0,2 % betragen. Dies beträfe in Deutschland konkret 145, insgesamt mehr als 500 Unternehmen. Ausnahmen sind unter anderem möglich für bestimmte Produkte zur privaten Altersvorsorge. Ob Deutschland hiervon Gebrauch macht, ist noch offen. Was sind nach Ihrer Ansicht die kontroversesten Punkte der jüngst vorgestellten Steuervariante?Der Hauptkritikpunkt ist zu Recht, dass die Steuer ihren ursprünglichen Zweck verfehlt. Ursprünglich in Reaktion auf die Finanzkrise konzipiert, sollte sie risikoreiche Geschäfte eindämmen und den Finanzsektor an den Folgekosten der Krise beteiligen. Nach dem jetzigen Entwurf werden jedoch gerade die spekulativen Geschäfte, wie Daytrading und der Handel mit Derivaten (wie CDOs/CDSs) und anderen speziellen Finanzinstrumenten nicht besteuert. Stattdessen werden nur Käufe von Aktien großer Unternehmen besteuert, die viel weniger spekulativ sind, dafür aber häufig von Kleinanlegern zur Altersvorsorge genutzt werden. Was bedeutet das für die Ziele?Die ursprünglichen Ziele können hierdurch nicht erreicht werden, eher das Gegenteil: Durch die einseitige Belastung ist eine Verzerrung des Marktes zu befürchten und eine Flucht in nicht besteuerte risikoreichere Instrumente, wie beispielsweise Aktienderivate. Aber auch ausländische Aktien oder die Nutzung außereuropäischer Handelsplätze, wo ein Steuerabzug schwer durchsetzbar sein wird, könnten die Folge sein. Daneben wirft die Finanztransaktionssteuer zahlreiche (verfassungs-)rechtliche Fragen auf, zum Beispiel im Hinblick auf die willkürliche Schwelle von 1 Mrd. Euro. Äußerst fragwürdig ist auch die vereinbarte Verteilung der Steuereinnahmen. Um die erforderliche Mindestanzahl teilnehmender Mitgliedstaaten sicherzustellen, werden kleineren Staaten wie Slowenien, mit einem erwarteten Steueraufkommen von 10 000 Euro, Mindesteinnahmen in Höhe von 20 Mill. Euro zugesagt. Finanziert werden soll diese Zusage durch die Mitgliedstaaten, die am meisten von der Einführung profitieren – unter anderem Deutschland und Frankreich. Stellt die Finanztransaktionssteuer nicht ein Problem für die politisch gewollte private Altersvorsorge gerade in Deutschland dar?Ja. Gerade Aktien sind ein häufig genutztes Instrument zur privaten Altersvorsorge. Macht Deutschland von der Ausnahme nicht Gebrauch, würde die Steuer insbesondere den Privatanleger treffen, dessen Rendite bei der Kapitalanlage für seine Rente sinken würde. Mit welcher weiteren Entwicklung rechnen Sie? Wird es die Finanztransaktionssteuer tatsächlich bereits im neuen Jahr geben?Bundesfinanzminister Scholz selbst rechnet mit einer Einführung erst ab 2021. Der Entwurf muss noch von den teilnehmenden Mitgliedstaaten geprüft und einstimmig beschlossen werden. Längerfristig ist jedoch zu befürchten, dass durch den Schulterschluss zwischen Frankreich und Deutschland und die schon weitgehende Einigkeit über die Einführung zwischen den teilnehmenden Staaten der aktuelle Vorschlag tatsächlich in einer Umsetzung münden könnte. Dr. Cornelia Wiendl ist Counsel bei der Wirtschaftskanzlei CMS Deutschland.Die Fragen stellte Helmut Kipp.