Die Finanzverwaltung als Reparatur-Gesetzgeber

Cum-Ex-Transaktionen mit Dividende - Millionenklage gegen HVB - Umstellung des Kapitalertragsteuerabzugs entschärft Situation

Die Finanzverwaltung als Reparatur-Gesetzgeber

Von Joachim Englisch *)Die HypoVereinsbank (HVB) sieht sich wegen von ihr durchgeführter sogenannten Cum-Ex-Transaktionen mit Schadensersatzforderungen in dreistelliger Millionenhöhe konfrontiert. Der Grund: Die Finanzverwaltung wirft einem Kunden vor, auf Basis solcher Transaktionen mit Hilfe einer ausländischen HVB-Niederlassung Steuererstattungen erschlichen zu haben. Mit einer Schadensersatzklage reicht der Kunde vorsorglich den von der Finanzverwaltung zurückgeforderten Betrag weiter. Einfach strukturiertDas in Streit stehende Anlagemodell ist zwar in der technischen Durchführung komplex, im Kern aber einfach strukturiert: Bei Cum-Ex-Transaktionen werden Aktien um den Dividendenstichtag gehandelt. Die Papiere werden mit Dividendenberechtigung (cum) kurz vor der Hauptversammlung gekauft. Geliefert werden sie entsprechend den Börsenusancen erst einige Tage später ohne Dividendenberechtigung (ex). Der Erwerber erhält statt der Nettodividende vom Verkäufer eine Kompensationszahlung in entsprechender Höhe. Kann er aufgrund seiner Dividendenberechtigung einen Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer geltend machen, so vereinnahmt er einen der Bruttodividende entsprechenden Ertrag. Dieser wird typischerweise über dem ausschüttungsbedingten Kursverlust der Aktie liegen; gegen sonstige Kursverluste sichert sich der Investor über Derivate ab.Der hieraus resultierende Arbitragegewinn ist im System des deutschen Kapitalertragsteuerrechts begründet. So verkaufen etwa ausländische Anteilseigner, denen Kapitalertragsteuer nicht oder nur teilweise erstattet wird, ihre Aktien vielfach vor dem Dividendenstichtag an einen in Deutschland ansässigen Investor. Dieser kann eine Kapitalertragsteuererstattung geltend machen und verkauft die Aktie anschließend wieder an den ursprünglichen Eigentümer. Um eine hinreichende Zahl inlandsansässiger Investoren zur Vornahme dieser Geschäfte zu bewegen, bieten die ausländischen Aktionäre An- und Verkaufspreise, die dem Investor eine Partizipation an der Steuererstattung erlauben. Ungedeckte LeerverkäufeDaneben machen sich etwa seit 2000 vor allem Banken vielfach den Umstand zunutze, dass bei ungedeckten Leerverkäufen über den Dividendenstichtag die Gewinnausschüttung für steuerliche Zwecke nach herkömmlicher Abwicklungspraxis bereits dem Aktienkäufer zugerechnet wird. Dieser erhält daher eine Steuerbescheinigung und in der Folge eine Erstattung der von der ausschüttenden Gesellschaft einbehaltenen Kapitalertragsteuer.Zugleich ist aber auch der zivilrechtliche Inhaber der leerverkauften Aktien erstattungsberechtigt. Diese Verdoppelung der Steuererstattung wurde bei Auslandstransaktionen bis Ende vorigen Jahres wegen gesetzgeberischer Versäumnisse nicht durch eine doppelte Kapitalertragsteuererhebung kompensiert. Die Leerverkäufer konnten daher Verkaufspreise bieten, die Investoren Arbitragegewinne ermöglichen.Die Cum-Ex-Modelle erfreuten sich bis vor wenigen Jahren vor allem in Interbankenhandel großer Popularität; es wurden damit zeitweise zweistellige Milliardenbeträge p. a. umgesetzt. Seit Mitte des vergangenen Jahrzehnts wurde dieses Anlagesegment aber auch Privatanlegern zugänglich gemacht. Der jetzt bei der HVB publik gewordene Fall ist somit zwar spektakulär, aber nur die Spitze eines Eisbergs.Zum Streit zwischen Bank und Investor kam es, weil die Finanzverwaltung in jüngerer Zeit zunehmend offensiv gegen das den Cum-Ex-Transaktionen innewohnende Steuergestaltungselement vorgeht. Sie versucht insbesondere bei Verdacht auf Leerverkaufsfälle dem Aktienkäufer die Berechtigung zur Anrechnung von Kapitalertragsteuer abzusprechen. So vertritt sie den Standpunkt, bei außerbörslichen OTC-Geschäften seien ihm die Dividenden am Stichtag steuerlich noch gar nicht zuzurechnen. Außerdem könne er auch dann keine Erstattung von Kapitalertragsteuer beantragen, wenn beim Leerverkauf kein zusätzlicher Steuerabzug erfolgt sei. Die von den Depotbanken der Investoren standardmäßig ausgestellten Steuerbescheinigungen seien insoweit unrichtig.Die Rechtsauffassung der Finanzverwaltung steht aber nach meiner Einschätzung in klarem Widerspruch zu einer gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung.Der Bundesfinanzhof hat im Zusammenhang mit dem Dividendenstripping auch bei außerbörslich eingefädelten Cum-Ex-Transaktionen dem Erwerber wiederholt die Berechtigung zur Kapitalertragsteuererstattung zuerkannt. Entscheidend ist letztlich nur, dass die Parteien die Abwicklung des Trades entsprechend den Börsenusancen vereinbaren.Das hat 2006 anlässlich einer missglückten Reform des Kapitalertragsteuerabzugs auch der Gesetzgeber anerkannt. Gerade die damalige Neufassung der Vorschriften zur Steuerbescheinigung verdeutlicht, dass es für die Erstattungsberechtigung des Aktienkäufers nur auf den Steuerabzug durch die ausschüttende Gesellschaft ankommen sollte. Die resultierenden Gefahren für das Steueraufkommen wurden zwar gesehen, aber es wurde aus vermeintlichen Sachzwängen heraus bewusst nur unzureichend darauf reagiert.Es ist daher davon auszugehen, dass d ie gewünschten Steuerfolgen der gängigen Cum-Ex-Transaktionen bis Ende 2011 vom Gesetz gedeckt sind. Im Zusammenhang mit der Schadensersatzklage gegen die HVB wird nach einigen Meldungen von der Finanzverwaltung allerdings wohl auch ins Feld geführt, dass es illegale Absprachen und eventuell Luftgeschäfte gegeben habe. Haltlose KriminalisierungDiese Kriminalisierung der Cum-Ex-Modelle dürfte aber wohl haltlos sein: Ein Teil dieser Vorwürfe verfängt schon deshalb nicht, weil er auf falschen rechtlichen Prämissen basiert. So sind entgegen der Ansicht der Finanzverwaltung Steuererstattungen nicht erschlichen, wenn der Investor aufgrund von Absprachen um den mangelnden Einbehalt von Kapitalertragsteuer beim ungedeckten Leerverkauf wissen sollte.Wie erwähnt kommt es für die Erstattungsberechtigung nach der klaren Vorstellung des Gesetzgebers auf einen solchen zweiten Steuerabzug nämlich gar nicht an. Davon abgesehen halte ich es aber auch für sehr unwahrscheinlich, dass solche Absprachen getroffen wurden. Da die hier in Rede stehenden Transaktionen weit verbreitet waren, ergaben sich hinreichende Arbitragemöglichkeiten regelmäßig schon aus dem allgemeinen Marktangebot an “cum Dividende” bzw. der Marktnachfrage nach “ex Dividende” gehandelten Aktien. Die Gelegenheit für profitable Cum-Ex-Transaktionen musste also von privaten Investoren nicht erst durch Absprachen geschaffen werden. Sollten tatsächlich bloße Luftgeschäfte getätigt, also die Aktien nur zum Schein gehandelt und nicht geliefert worden sein, wäre freilich die Schwelle zur Illegalität überschritten. Ein solcher Sachverhalt ist bei der Abwicklung der Trades über eine seriöse Bank aber eigentlich kaum vorstellbar. Den Geschäftsbanken war allgemein bekannt, wie die entsprechenden Transaktionen rechtssicher ausgestaltet werden mussten. Seit Jahresbeginn neue LageFür die Zukunft ist die Problematik durch eine Umstellung des Kapitalertragsteuerabzugs für depotverwahrte Aktien zum 1. Januar 2012 deutlich entschärft worden. Es ist nun sichergestellt, dass auch bei im Ausland abgewickelten Leerverkäufen Kapitalertragsteuer einbehalten wird. Hierzu wird Clearstream als Zentralverwahrer in die Pflicht genommen. Damit ist zumindest dem größten Teil der herkömmlichen Cum-Ex-Modelle die Grundlage entzogen worden. Anders als bei der missglückten Reform 2006 hat sich der Gesetzgeber also nicht mehr vom Bankenverband die Hand führen lassen und so den Bock zum Gärtner gemacht.Gleichwohl ist nicht auszuschließen, dass noch eine ganze Reihe von in der Vergangenheit durchgeführten Transaktionen zu Auseinandersetzungen zwischen Banken, Investoren und der Finanzverwaltung führen wird. Das Bestreben der Finanzverwaltung, sich für die Vergangenheit selbst als eine Art Reparaturgesetzgeber zu betätigen, muss dabei auf rechtsstaatliche Bedenken stoßen. Das gilt auch, soweit in noch laufenden Verfahren die Erstattung mit der Begründung hinausgezögert wird, es müsse noch das Vorliegen vermeintlich illegaler – tatsächlich irrelevanter – Absprachen geprüft werden. Auch insoweit könnte noch eine Klageflut drohen.—-*) Prof. Dr. Joachim Englisch, Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Steuerrecht, Universität Münster