Die nächste Krise kommt bestimmt
Von Christof von Dryander, Gabriele Apfelbacher und Thomas Kopp *)In den Nachrichten sind prominente Unternehmenskrisen allgegenwärtig, wie etwa Libor-, Abgas-, Diesel- und Cum-ex-Skandal, Deep-Water- Horizon-, Eurowings-Flugzeugabsturz- und Samarco-Damm-Katastrophe, das Morandi-Brücken-Unglück oder die immer häufiger auftretenden Cyberattacken. Entsprechend hat zumindest in der öffentlichen Wahrnehmung die Anzahl der schweren Unternehmenskrisen über die Jahre zugenommen, auch wenn ein zahlenmäßiger Anstieg statistisch kaum belegbar ist. Evident ist jedoch ein erhöhtes mediales Interesse an Unternehmenskrisen, was dazu führt, dass sich Unternehmenskrisen zunehmend in der Öffentlichkeit abspielen, dort diskutiert, kommentiert und gegebenenfalls auch skandalisiert werden.Bei allen Unterschieden im Ausmaß, den Auswirkungen und den Ursachen der jeweiligen Krise, handelt es sich bei Unternehmenskrisen im Kern immer um ungewollte, zeitlich begrenzte Ereignisse mit Existenzgefährdungs- oder sogar Existenzvernichtungspotenzial. Und ein weiteres ist vielen Unternehmenskrisen gemeinsam: Unternehmen reagieren im Rückblick häufig falsch oder zu langsam, wenn sie von einem (potenziell) krisenhaften Ereignis betroffen sind. Die Ursachen dafür sind primär zweierlei: Erstens sind Unternehmen auf Krisen oft unzureichend vorbereitet, und zweitens unterliegen diejenigen, die als Organmitglieder über die im Krisenfall zu treffenden Maßnahmen, den Umgang mit betroffenen Stakeholdern, Regulierern, Strafverfolgungsbehörden und der Öffentlichkeit zu entscheiden haben, häufig einem Interessenkonflikt. Sie müssen einerseits im Rahmen des Krisenmanagements (ausschließlich) im Interesse der Gesellschaft handeln, sind aber andererseits wegen potenzieller Organhaftungsansprüche der Gesellschaft gegen sie, etwa wegen Überwachungs- und/oder Organisationsverschuldens im Zusammenhang mit dem Entstehen der Krise, auch selbst Betroffene. Letzteres kann dem Unternehmensinteresse wenig förderliche Anreize zu einer eher zögerlichen Aufklärung und Zusammenarbeit mit Behörden, einer einseitigen Darstellung in der Öffentlichkeit und einem Spiel auf Zeit setzen. Simulation hilftDie immensen Reputations- und finanziellen Schäden, die eine falsche oder zu langsame Reaktion auf eine Unternehmenskrise hervorrufen kann, sprechen für eine sorgfältige und systematische Vorbereitung auf Ereignisse, die zu Unternehmenskrisen führen können. Dabei kann eine effektive Vorbereitung etwa darin bestehen, mögliche Krisen zu simulieren und daraus Strategien und Maßnahmen für ihre Bewältigung zu entwickeln. Im Fall des Eintritts einer Krise wird ein derart vorbereitetes Unternehmen schneller, besser koordiniert und planvoller reagieren. Dies gilt auch dann, wenn eine aktuell eintretende Unternehmenskrise nicht vollständig den Szenarien entspricht, die im Rahmen des vorbereitenden Krisenmanagements durchgespielt wurden.Vor allem für Unternehmen aus regulierten Industrien, wie etwa dem Finanzsektor oder auch der Energie- oder Pharmabranche dürfte es sich empfehlen, sich gezielt auf Krisenszenarien vorzubereiten. Gleiches gilt für Unternehmen, bei denen Störungen oder Fehler in ihren Geschäftsaktivitäten oder Produkten potenziell desaströse Folgen haben. Als Beispiele seien Transport-, Bergbau- und Chemieunternehmen sowie Kraftwerksbetreiber genannt. Möglicherweise gehören auch börsennotierte Unternehmen per se zur Gruppe der “krisenanfälligen”. Für die gezielte Vorbereitung auf mögliche Krisen spricht zum einen, dass die zuständigen Behörden, d. h. Aufsichts- und Strafverfolgungsbehörden in vielen potenziell relevanten Ländern, in eine Art globalen Wettbewerb um Effektivität und Schlagkraft eingetreten sind. Keine Behörde möchte als Papiertiger gelten, wenn die Kollegen aus anderen Ländern wenig zimperlich sind, Ermittlungen einzuleiten und Verfahren zu eröffnen. Ist aber erst einmal ein Verwaltungs- oder Strafverfahren eingeleitet, muss sich ein betroffenes Unternehmen sehr schnell darüber im Klaren sein, wie es sich zu einer Vielzahl von Themen verhält. Wie soll auf behördliche Informationsanforderungen geantwortet werden, welche Informationen sollen freiwillig herausgegeben werden, wie kann Anwaltskorrespondenz vor Herausgabeverlangen geschützt werden, unter welchen Umständen ist eine interne Untersuchung sinnvoll, wann lösen behördliche Verfahren Ad-hoc-Publizitätspflichten aus, um nur einige Fragen zu nennen. Auch die Wechselwirkungen zwischen behördlichen Verfahren und möglichen Zivilklagen sind frühzeitig zu berücksichtigen. Neben diesen eher rechtlichen Fragestellungen geht es auch um den “richtigen” Umgang mit der Presse, sonstigen Medien und der Öffentlichkeit im weitesten Sinn.Fehler bei der Öffentlichkeitsarbeit und im Umgang mit Behörden können dem betroffenen Unternehmen erheblichen Schaden zufügen. Zum einen sind Reputationsschäden mit negativen Folgen für die künftige Geschäftsentwicklung denkbar, zum anderen unmittelbare finanzielle Schäden, wenn etwa mangelhafte oder verspätete Kooperation mit Behörden zu erhöhten Bußgeldern oder Geldstrafen führt. Derartige Vermögensnachteile können wiederum Haftungsfolgen für Vorstands- und Aufsichtsratsmitglieder begründen, sofern der entsprechende Schaden durch pflichtwidriges Handeln verursacht wurde. Auch wenn die Kausalität eines fehlerhaften Krisenmanagements für den Schadenseintritt grundsätzlich durch das geschädigte Unternehmen zu beweisen ist, was oft nicht einfach ist, so können zugunsten des Unternehmens möglicherweise Vermutungen oder sonstige Beweiserleichterungen eingreifen, die die Haftungsrisiken signifikant erhöhen. Letztendlich kann das Risiko, für Schäden in Anspruch genommen zu werden, die durch die Reaktion auf das krisenhafte Ereignis verursacht wurden, nur durch ein allen Sorgfaltsanforderungen genügendes Krisenmanagement vermieden werden. Übernahmeavancen im Blick Die Vorbereitung auf unvorhergesehene, überraschende Ereignisse ist Unternehmen grundsätzlich nicht fremd. Einer kürzlich veröffentlichten Studie zufolge halten etwa 75 % der Dax- und MDax-Unternehmen die Vorbereitung auf eine überraschende Avance eines potenziellen Übernehmers für wichtig oder sehr wichtig. Dabei wurde als probate Vorbereitungsmaßnahme unter anderem die Erstellung eines Defense Manual für die erste Zeit nach Kenntniserlangung von einem nicht abgesprochenen geplanten Übernahmeangebot angesehen. Hält man sich vor Augen, dass bei einem börsennotierten Unternehmen der Eintritt krisenhafter Ereignisse wahrscheinlicher ist als ein überraschender Übernahmevorstoß, sollte die Vorbereitung auf einen möglichen Krisenfall gerade für die oben genannten “krisenanfälligen” Unternehmen zumindest ähnlich hohe Priorität genießen. Ganze BandbreiteDer Umgang mit einer potenziellen Krise, vor allem in der Zeit unmittelbar nach dem Eintritt der ersten Anzeichen, und die Dokumentation möglicher Schritte im Rahmen des Krisenmanagements, etwa in einem entsprechenden Handbuch, können maßgeblich dazu beitragen, Schäden von einem betroffenen Unternehmen abzuwenden oder zu minimieren und Haftungsrisiken für Organe zu reduzieren. Erst ein solcher Vorbereitungsprozess wird einem Unternehmen und seinen Entscheidungsträgern die ganze Bandbreite möglicherweise zu adressierender Themen vor Augen führen. Darauf aufbauend kann dann auch festgelegt werden, auf welche internen und externen (Kommunikations-, Rechts- und andere Berater) Ressourcen für welche Themenkomplexe im ersten Schritt zurückgegriffen werden soll.Ein derart dokumentiertes Verfahren, von dem Entscheidungsträger nicht im Alleingang abweichen dürfen, kann auch helfen, die im Hinblick auf Haftungsrisiken inhärenten Interessenkonflikte beim Krisenmanagement zu adressieren.—-*) Christof von Dryander ist Senior Counsel, Dr. Gabriele Apfelbacher und Dr. Thomas Kopp sind Partner von Cleary Gottlieb Steen & Hamilton.