Die Sanierungsklausel bleibt ein Sanierungsfall
Von Martin Bünning *) Die Auseinandersetzung um die sogenannte Sanierungsklausel geht in eine neue Runde: Das Finanzgericht Münster (FG Münster) hat die Klausel in einem Gerichtsverfahren für anwendbar befunden und sich damit gegen die Entscheidung der EU-Kommission gewendet. Diese hält die Vorschrift für unvereinbar mit EU-Recht. Grundsätzlich gehen seit 2008 Verlustvorträge bei der Körperschafts- und Gewerbesteuer anteilig oder vollständig unter, wenn mehr als 25 Prozent der Anteile einer Kapitalgesellschaft übertragen werden. Verbotene BeihilfeDer deutsche Gesetzgeber sieht in Sanierungsfällen mit der Sanierungsklausel eine Ausnahmeregelung vor, um Unternehmen in finanziellen Schwierigkeiten zu unterstützen. Die EU-Kommission hat Anfang dieses Jahres die Sanierungsklausel als eine verbotene Beihilfe eingestuft. Infolgedessen ist die Klausel wegen des Anwendungsvorrangs des Gemeinschaftsrechts an sich nicht mehr anwendbar. Alle Steuerbescheide, die auf der Vorschrift beruhen, sind von den Finanzämtern aufzuheben. Die Steuer muss neu festgesetzt werden – ohne Berücksichtigung der Verlustvorträge. Und zwar unabhängig davon, ob der Steuerpflichtige zuvor eine verbindliche Auskunft oder sonst eine Bestätigung des Finanzamtes eingeholt hatte. Dies kann dazu führen, dass sich sanierungsbedürftige Unternehmen plötzlich erheblichen Steuernachforderungen seitens der Steuerbehörden gegenübersehen. Die unvorhergesehenen Kosten können dann die eingeleiteten Sanierungsbemühungen behindern oder gar unmöglich machen.Zwar hat die Bundesregierung gegen die Entscheidung der EU-Kommission Klage vor dem Gericht der Europäischen Union (EG) eingereicht. Trotz dieser Klage muss die Entscheidung der EU-Kommission jedoch umgesetzt werden. Viele sanierungsbedürftige Unternehmen bedroht diese Situation damit existenziell. Das FG Münster hat in seinem Urteil Zweifel an der Entscheidung der Kommission geäußert und angeordnet, dass die geänderten Steuerbescheide nicht vollzogen werden und die höhere Steuer zunächst nicht beglichen werden muss. Dies ist bemerkenswert. Denn die Zuständigkeit der deutschen Finanzgerichte ist zweifelhaft, da die Entscheidung der Kommission vor dem EG anzugreifen ist. Deutsche Unternehmen, die von der Entscheidung der Kommission betroffen sind, können nämlich bei dem EG dagegen vorgehen und dort auch vorläufigen Rechtsschutz gegen die Entscheidung erlangen. Im Fall des FG Münster hat der Steuerpflichtige dies aber offenbar nicht versucht. Das FG Münster zieht zur Begründung seiner Entscheidung die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs heran, der in Einzelfällen die nationalen Gerichte für zuständig gehalten hatte, über die Entscheidungen der Kommission zu urteilen – ob die Voraussetzungen dafür aber tatsächlich vorliegen, ist zweifelhaft. Verfassungswidrig?Die Sanierungsklausel ist 2009 rückwirkend ab dem Jahr 2008 eingeführt worden. Ursprünglich sollte die Vorschrift bereits Ende 2009 wieder auslaufen. Sie wurde jedoch durch das Wachstumsbeschleunigungsgesetz 2009 zeitlich unbeschränkt verlängert. Damals hatte sich herausgestellt, dass der Wegfall von Verlusten bei Sanierungen mit Gesellschafterwechsel zu unsinnigen Ergebnisse führen kann. Insbesondere, wenn bei der Sanierung ein Sanierungsgewinn entsteht. In diesem Fall waren Unternehmen in der Krise gegenüber nicht sanierungsbedürftigen, gesunden Unternehmen mit Verlustvorträgen bei Anteilsübertragungen von mehr als 25 Prozent bevorteilt. Die Bundesregierung hat gegenüber der Kommission angegeben, dass sich die steuerliche Wirkung der Sanierungsklausel jährlich auf 900 Mill. Euro belaufen könne. Darin liegt nach Auffassung der EU eine unerlaubte Beihilfe. Aufhebung als ZielDas FG Münster hingegen argumentiert, dass die Klausel lediglich dem Grundsatz, wonach steuerliche Verluste nutzbar sind, wieder zur Geltung verhelfe und so eine Ungleichbehandlung aufhebe. Die Bundesregierung hat mittlerweile in ihrem Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie vorgeschlagen, die Sanierungsklausel abzuschaffen. In der Begründung des Entwurfs soll die Vorschrift auch dann abgeschafft werden, wenn die Klage der Bundesregierung gegen die Entscheidung der EU-Kommission Erfolg hat. Warum der Gesetzgeber hier einen Rückzieher macht, ist schwer nachvollziehbar.Unternehmen, die in der Vergangenheit von der Klausel profitiert haben und von denen nun Steuern nachgefordert werden, sollten versuchen, unter Berufung auf die Entscheidung des FG Münster die Aussetzung oder die Aufhebung der Vollziehung zu erreichen.Ansonsten bleibt den betroffenen Unternehmen nur die Hoffnung auf das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe. Dieses hat zu klären, ob die grundlegende Entscheidung des Gesetzgebers, Verlustvorträge bei Anteilseignerwechsel ohne weitere Voraussetzungen untergehen zu lassen, verfassungswidrig ist.—-*) Martin Bünning ist Partner bei der Anwaltssozietät Jones Day