Digitalisierung des Gesellschaftsrechts
Von Thorsten Voß *)Das am 25. Juni 2019 von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion verabschiedete Eckpunktepapier “Zukunftstechnologie Deutschland” sieht weitreichende Schritte vor, um der Blockchain-Technologie zum Durchbruch zu verhelfen. “Deutschland darf nicht eine weitere digitale Revolution verschlafen”, so Bundestagsmitglied und Berichterstatter Thomas Heilmann (CDU). “Wir können eine weltweit führende Position für Blockchain-Anwendungen einnehmen, wenn wir jetzt die richtigen Rahmenbedingungen schaffen.”Das neue Eckpunktepapier knüpft direkt an den Vorschlag zu “Eckpunkten für die regulatorische Behandlung von elektronischen Wertpapieren und Krypto-Token” vom 7. März 2019 an, in dessen Nachgang bereits die Einführung digitaler Wertpapiere seitens der Bundesregierung im Raum stand, und nimmt sich nun nach dem Kapitalmarktrecht zentraler Fragestellungen zur Digitalisierung des Gesellschaftsrechts an – ein Quantensprung. Dabei geht es um nicht weniger als um die Schaffung von international exportfähigen Rechtsmodellen, die Deutschland zu einem Vorreiter und Innovation Hub der Blockchain-Revolution machen sollen. Umfassender AnsatzZentral ist denn auch der konkret unterbreitete rechtspolitische Vorschlag für die Etablierung einer digitalen Kapitalgesellschaft, der “digitalen GmbH”. Indessen ist hiermit bereits mehr als nur eine Erleichterung der Gründung von GmbHs angestrebt, es geht vielmehr um eine gänzlich neue Form der digitalen Verwaltung einer GmbH und sämtlicher involvierten Rechtsbeziehungen, sei es bezüglich der Geschäftsführung, der Mitarbeiter oder der Gesellschafter.So soll nicht nur die Satzung der Gesellschaft digital festgelegt werden können, sondern es soll auch der Weg bereitet werden für digitale Gesellschaftsanteile, die ähnlich wie elektronische Wertpapiere digitalisiert und registriert werden können. Stichwort: papierbasiertes Handelsregister ade. Mehrere ZweckeDie Digitalisierung von Gesellschaftsanteilen verfolgt mehrere Zwecke: (1) die Ermöglichung einer im Vergleich zur “konventionellen GmbH” deutlich schnelleren wie zugleich rechtssicheren Gründung; (2) die einfachere Eigenkapitalbeschaffung (das Vermögensanlagenrecht setzt hier bei Unternehmensbeteiligungen in seiner derzeitigen Ausgestaltung sehr enge Grenzen) und (3) eine Erhöhung der Attraktivität für Mitarbeiterkapitalbeteiligungen.So sollen dem Eckpunktepapier zufolge “die hohen Kosten und die rechtliche Komplexität bei der Übertragung von Anteilen nach deutschem Recht als Hauptgrund dafür (gelten), wieso Mitarbeiter nicht am Kapital einer Gesellschaft beteiligt werden. Stattdessen behilft man sich mit sogenannten virtuellen Anteilen beziehungsweise sogenannten Phantom-Stock-Programmen. Diese gesetzlich nicht spezifisch regulierten Vertragswerke bilden Eigenkapitalbeteiligungen nach, erreichen aber nicht denselben Status wie echte gesellschaftsrechtliche Beteiligungen”.Bekanntlich legen Start-ups gerne derartige Programme über sogenannte “virtuelle Anteile” auf, leider werden diese in praxi aber nicht selten nur unvollständig und schon gar nicht einheitlich dokumentiert. Hier könnten sich neue Standards durchsetzen. Dies leuchtet insbesondere vor dem Hintergrund der anstehenden Änderung der EU-Richtlinie 2017/32 ein, die eine beachtliche Beschleunigung, Vereinfachung und Nutzung von Online-Tools für GmbH-Gründungen und deren Betrieb vorsieht.Wenn es also gelingen sollte, die Übertragung der Gesellschaftsanteile deutscher Kapitalgesellschaften auch jenseits der Börsennotierung – dort über elektronische Wertpapiere – zu erleichtern, mag Deutschland sich in der Tat als Pionier für die Start-up-Finanzierung positionieren können. Entsprechend wird auch ausländisches Venture Capital angezogen werden können.Wer “digitale GmbH” sagt, muss auch “digitale Identität” sagen – auch hierzu hält das Eckpunktepapier interessante Konzepte bereit. Es wird vorgeschlagen, dass Deutschland zum “weltweiten Trust Center für digitale Identitäten und digitale Identifizierungen wird”. Es “sollten persönliche Daten (. . .) nach dem höchsten Stand der Technik verschlüsselt und mit biometrischen Merkmalen gesichert gespeichert werden”.Die Einsatzmöglichkeiten sollen dezidiert nicht auf die Gründungen digitaler Gesellschaften beschränkt bleiben, sondern “mithilfe der digitalen Identität sollen sogenannte Zero-Knowledge Proofs ermöglicht werden”. Dies hätte weitreichende positive Auswirkungen auf den ganz allgemeinen Rechtsgeschäftsverkehr: “Einem Verkäufer könnte so beispielsweise nachgewiesen werden, dass die Person, die den Personalausweis in den Händen hält volljährig ist, (. . .). Der (digitale) Personalausweis soll zudem als zweiter Faktor (zum Beispiel neben dem Passwort, dem Fingerabdruck usw.) bei Logins oder anderen Authentifizierungen genutzt werden können. Auch dies wäre grundsätzlich möglich, ohne persönliche Daten zu offenbaren. Hierfür ist eine sichere und robuste App notwendig (. . .).” Eindeutige IdentifizierungUnd damit nicht genug: Die digitale Identität soll nicht auf natürliche Personen beschränkt bleiben, sondern auch für Maschinen Anwendung finden können: “Auch für die Wirtschaft und für die Industrie wird die eindeutige digitale Identifizierung zum Beispiel von Geräten und Maschinen eine besondere Bedeutung haben. Dies wird vor allem durch das sich immer weiter ausbreitende Internet der Dinge (Internet of Things) unerlässlich.” Dieses Konzept wird wiederum von der Idee einer digitalen Zwangsvollstreckung flankiert: “Emittenten digitaler Wertpapiere sollen sich optional vor der Emission der sofortigen Zwangsvollstreckung in das Vermögen unterwerfen können. (. . .) Anleger könnten auf Grundlage dieses Tokens ihre Zahlungsansprüche zügig durchsetzen, ohne einen Gerichtsprozess durchlaufen zu müssen.”Dies wäre in der Tat eine Revolution und keine Evolution mehr für den Anlegerschutz, der im GmbH-Recht mit dem Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnsVG) zum 1. Juli 2005 mit der Einführung einer Prospektpflicht für GmbH-Anteile seinen gesetzgeberischen Anfang nahm und der leider vielfach wirkungslos blieb – in Zukunft keine mühsamen und langjährigen Prospekthaftungsprozesse mehr, sondern die Durchführung einer sofortigen Zwangsvollstreckung eines digitalen Tokens, der zugleich als Titel fungiert. Dieser Ansatz mag den vielfach beklagten Information Overload im Kapitalmarktrecht disruptieren und dem Anlegerschutz bei Unternehmensfinanzierungen zu einem Effizienzdurchbruch verhelfen. “Mutig und visionär”Fast wie Beiwerk wirken angesichts dieser konzeptionellen Radikalität die Ideen zur Einführung eines digitalen Euro, wonach Zentralbanken, ohne Einfluss auf die Geldpolitik zu nehmen, über Geschäftsbanken Krypto-Tokens ausgeben können sollen, die diese wie Sichteinlagen handhaben (sogenannte Stable Coin). Die Vorteile – losgelöst von der Facebook-Libra-Diskussion – liegen auf der Hand, vermag ein solcher Token durchaus der Überführung von der derzeit mitunter zu beobachtenden Schattenwirtschaft zahlreicher Utility-Token-Projekte in legale und seriöse Geschäftsmodelle dienen, auch Erleichterungen bei der Rechtsdurchsetzung im Fall krimineller Aktivitäten sind nicht von der Hand zu weisen.Unionspolitiker hoffen, dass die Vorschläge Eingang finden in die Blockchain-Strategie der Bundesregierung, die diese im Herbst vorstellen möchte – diese Hoffnung darf geteilt werden. Das Eckpunktepapier ist mutig und visionär, es wird die Diskussion um die Nutzung der Blockchain-Technologie intensivieren wie beschleunigen. Und das ist sehr gut so. *) Dr. Thorsten Voß ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Fieldfisher. Auf Einladung von MdB CDU Prof. Dr. Heribert Hirte war er in die Diskussionen zum Eckpunktepapier “Zukunftstechnologie Blockchain” eingebunden.