Recht und Kapitalmarkt

"Dringender Reformbedarf für Unternehmenskäufe mit Aktien"

Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins erarbeitet Vorschlag zur Beseitigung aktienrechtlicher Hindernisse

"Dringender Reformbedarf für Unternehmenskäufe mit Aktien"

In Deutschland werden Aktien als Gegenleistung beim Erwerb von Unternehmen im Vergleich zu den USA und anderen europäischen Industrienationen nur vergleichsweise selten eingesetzt. Dies ist wesentlich durch aktienrechtliche Erschwernisse begründet, die sich im internationalen Vergleich als Wettbewerbsnachteil auswirken. Praktisch steht nur das auf höchstens 50 % des vorhandenen Grundkapitals limitierte Instrument des genehmigten Kapitals mit Ermächtigung zum Bezugsrechtsausschluss zur Verfügung, um die für die Gegenleistung benötigten Aktien zur Verfügung stellen zu können. Hohe RisikenEine von der Hauptversammlung selbst beschlossene Sachkapitalerhöhung mit Ausschluss des Bezugsrechts ist jedenfalls bei börsennotierten Gesellschaften nur ganz selten anzutreffen, und zwar wegen der rechtlichen Risiken, auf die sich weder die Verwaltung der erwerbenden Gesellschaft noch der Sacheinleger, der sein Unternehmen gegen Aktien veräußern will, einlassen können: Jeder Aktionär, der auch nur eine einzige Aktie hält, kann den Hauptversammlungsbeschluss anfechten. Er kann eine Überbewertung des einzubringenden Unternehmens behaupten und mit dieser nach § 255 Abs. 2 AktG zulässigen Bewertungsrüge einen langwierigen Bewertungsstreit auslösen, durch den die Entscheidung über die Anfechtungsklage über Jahre verzögert wird. Solange die Anfechtungsklage anhängig ist, ist das Registergericht im Zweifel nicht bereit, die Sachkapitalerhöhung einzutragen. Außerdem kann sich weder das erwerbende Unternehmen noch der Sacheinleger auf den Bestand der eingetragenen Sachkapitalerhöhung und damit auf die wirksame Entstehung der Aktienrechte verlassen, solange nicht rechtskräftig über die Anfechtungsklage entschieden ist. FreigabeverfahrenDas Unternehmen kann zwar im Freigabeverfahren (§ 246a AktG) versuchen, schon vor der rechtskräftigen Entscheidung über die Anfechtungsklage eine bestandskräftige Eintragung der Kapitalerhöhung zu erreichen. Aber das Freigabeverfahren ist in der Regel ungeeignet, eine Bewertungsrüge zu überwinden. Es ist nämlich praktisch ausgeschlossen, im Eilverfahren die “offensichtliche Unbegründetheit” einer Bewertungsrüge nachzuweisen, und auch die Abwägungsklausel des Gesetzes hilft nicht weiter, weil die betragsmäßige Auswirkung des behaupteten Bewertungsfehlers, der bei der Abwägung mit dem Vollzugsinteresse der Gesellschaft als gegeben unterstellt werden muss, regelmäßig zu groß ist. VerschmelzungskonzepteAuch der Unternehmenserwerb gegen Aktien im Wege der Verschmelzung des zu erwerbenden Unternehmens ist im geltenden Recht, was die Behandlung von Bewertungsrügen und die Folgen von Bewertungsfehlern betrifft, nicht sachgemäß geregelt: Zwar können die Gesellschafter des übertragenden Unternehmens, die das Umtauschverhältnis für unangemessen halten, ihre Bewertungsrüge nicht im Wege der Anfechtungsklage, sondern nur in dem gesonderten Spruchverfahren geltend machen, so dass der Vollzug der Verschmelzung durch ihre Bewertungsrüge nicht blockiert wird (§ 14 Abs. 2 UmwG). Aber den Aktionären der übernehmenden Gesellschaft, die eine Überbewertung des im Wege der Verschmelzung zu erwerbenden Unternehmens rügen, steht das Spruchverfahren nicht offen. Sie können ihre Bewertungsrüge (nur) im Wege der Anfechtungsklage gegen den Verschmelzungsbeschluss der Hauptversammlung der übernehmenden Gesellschaft geltend machen und dadurch eine jahrelange Blockade der Verschmelzung auslösen, die im Zweifel das Scheitern des ganzen Vorhabens zur Folge hat. Auch hier ist das Freigabeverfahren (§ 16 Abs. 3 UmwG) aus den genannten Gründen in der Regel ungeeignet, die Bewertungsrüge zu überwinden und die Blockade aufzulösen. In der Praxis sind die Unternehmen deshalb darauf bedacht, Verschmelzungskonzepte zu realisieren, bei denen beide Verschmelzungspartner als übertragende Gesellschaften agieren (“NewCo-Lösung”). Um die günstigere prozessuale Konstellation zu erreichen, werden erhebliche finanzielle Nachteile in Kauf genommen (insbesondere der Anfall von Grunderwerbsteuer auf den Grundbesitz beider Verschmelzungspartner). Soweit die Bewertungsrüge in das Spruchverfahren verwiesen ist, kann am Ende des langjährigen Spruchverfahrens eine vom Gericht angeordnete Korrektur des Umtauschverhältnisses nach dem geltenden Recht (§ 15 UmwG) nur durch einen Ausgleich in bar und nicht durch die Gewährung von Anteilen erfolgen. Dieser Barausgleich, der allen außenstehenden Aktionären zugute kommt, auch wenn sie nicht am Spruchverfahren beteiligt waren, kann für das vereinigte Unternehmen nicht nur sehr belastend sein, sondern geradezu lebensgefährlich werden, denn es handelt sich um einen Liquiditätsentzug zulasten des Eigenkapitals in nicht vorhersehbarer Höhe und zu einem nicht vorhersehbaren Zeitpunkt. ReformvorschlagRechtspolitisch besteht schon seit langen Jahren Einigkeit, dass für die Bewertungsrüge des Aktionärs der übernehmenden Gesellschaft sowohl beim Unternehmenserwerb durch Sachkapitalerhöhung als auch bei der Verschmelzung die Anfechtungsklage ausgeschlossen und ein Spruchverfahren eröffnet werden soll. Einigkeit besteht weitgehend auch darüber, dass am Ende eines Spruchverfahrens, das zu einer Bewertungskorrektur geführt hat, der zum Ausgleich verpflichteten Gesellschaft das Recht zustehen sollte, den Ausgleich statt durch eine Barzahlung durch eine wertmäßig entsprechende Gewährung von Anteilen zu erbringen. Aber bislang fehlten konkrete Regelungsvorschläge zu beiden Themen. Nunmehr hat der Handelsrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins einen bis in die Einzelheiten ausgearbeiteten und ausführlich begründeten Vorschlag zur Gesetzesänderung vorgelegt (Gesetzgebungsvorschlag zum Spruchverfahren bei Umwandlung und Sachkapitalerhöhung und zur Erfüllung des Ausgleichsanspruchs durch Aktien, Stellungnahme Nr. 27/07, abrufbar unter www.anwaltverein.de und veröffentlicht in NZG 2007, 497 ff.). Die wesentlichen Elemente des Vorschlags lassen sich wie folgt skizzieren:Im Umwandlungsrecht soll durch Änderung der §§ 14, 15 UmwG auch für die Bewertungsrüge des Aktionärs der übernehmenden Gesellschaft die Anfechtung ausgeschlossen und das Spruchverfahren eröffnet werden. Zur Sachkapitalerhöhung setzt der Vorschlag bei § 255 AktG an. Der Reformbedarf ist hier mangels vergleichbarer Hilfskonstruktionen (“NewCo-Lösung”) vermutlich noch größer als im Verschmelzungsrecht. Nach dem Vorschlag des Handelsrechtsausschusses kann auch der Beschluss der Hauptversammlung zur ordentlichen Sachkapitalerhöhung mit Bezugsrechtsausschluss künftig nicht mehr mit der Bewertungsrüge angefochten werden, sondern diese Rüge wird in das Spruchverfahren verwiesen.Wenn am Ende des Spruchverfahrens feststeht, dass die Bewertung fehlerhaft war, sieht das geltende Recht, wie erwähnt, in § 15 UmwG zwingend vor, dass allen durch das unangemessene Umtauschverhältnis benachteiligten Aktionären der übertragenden Gesellschaft ein Ausgleich durch bare Zuzahlung gewährt wird.Wenn auch für die Aktionäre des übernehmenden Rechtsträgers bei der Sachkapitalerhöhung und bei der Verschmelzung entsprechend dem Vorschlag des Handelsrechtsausschusses ein Spruchverfahren eingeführt wird, muss auch die Rechtsfolge festgelegt werden, die für den Fall gelten soll, dass im Spruchverfahren eine unangemessene Benachteiligung der Altgesellschafter der übernehmenden Gesellschaft festgestellt wird. Die Rechtsfolge kann nicht darin bestehen, dass die (ehemaligen) Anteilsinhaber der übertragenden oder eingebrachten Gesellschaft die zu viel gewährten Anteile an der übernehmenden Gesellschaft zurückzugewähren haben; eine solche Lösung würde an praktischen Schwierigkeiten scheitern und auch dem schützenswerten Vertrauen des Rechtsverkehrs in den Bestand der gewährten Aktien widersprechen. Der Ausgleich kann somit nur durch eine Leistung der übernehmenden Gesellschaft an ihre Altgesellschafter erreicht werden. Diese Leistung soll nach dem Vorschlag des Handelsrechtsausschusses zwar primär in bar erfolgen, aber die zum Ausgleich verpflichtete Gesellschaft soll berechtigt sein, den baren Ausgleichsanspruch durch einen Anspruch auf die Gewährung von Aktien zu ersetzen. Diese Ersetzungsbefugnis soll gleichermaßen sowohl für den Ausgleichsanspruch der Altgesellschafter der übernehmenden Gesellschaft bei der Sachkapitalerhöhung und der Verschmelzung als auch für den Ausgleichsanspruch der Aktionäre der übertragenden Gesellschaft bei der Verschmelzung gelten. SacheinlageVon der Ersetzungsbefugnis kann die Gesellschaft nur Gebrauch machen, wenn sie auch in der Lage ist, die dafür benötigten Aktien zur Verfügung zu stellen. Der Handelsrechtsausschuss schlägt vor, dass die benötigten Aktien im Wege einer Sachkapitalerhöhung geschaffen werden. Gegenstand der Sacheinlage ist der Anspruch der berechtigten Aktionäre auf Ausgleichsleistung in bar. Für die Ermittlung der Zahl der zu gewährenden Anteile wird bei einer börsennotierten Gesellschaft der Barausgleichsbetrag (einschließlich aufgelaufener Zinsen) aufgrund des aktuellen Börsenkurses in Aktien umgerechnet.Bei einer nicht börsennotierten Gesellschaft erhalten die benachteiligten Gesellschafter Anteile in einer solchen Zahl, dass das nachträglich aufgrund der Ergebnisse des Spruchverfahrens korrigierte Umtauschverhältnis hergestellt wird; im Hinblick auf die in der Zwischenzeit entgangenen Dividenden und Bezugsrechte auf die zusätzlichen Anteile erfolgt ein pauschaler Ausgleich durch Verzinsung des Barausgleichsbetrags. Das Spruchverfahren hat gravierende Nachteile, die auch durch das seit 2003 geltende Spruchverfahrensgesetz nicht ausgeräumt worden sind. Die Verfahren dauern vor allem noch immer viel zu lange, weil sie weder örtlich bei wenigen sachkundigen Gerichten konzentriert noch auf eine Instanz beschränkt sind. Außerdem stellen die Gerichte häufig überzogene Anforderungen an eine mathematisch exakte (Schein-)Genauigkeit der Unternehmensbewertung und berücksichtigen nicht genügend den Beurteilungsspielraum des Bewerters und vor allem das Verhandlungsermessen der Vertragspartner. Aber davon abgesehen ist das Spruchverfahren, wenn man das aktienrechtliche Rechtsschutzsystem nicht grundlegender verändern will, das gegebene Mittel, um einen Bewertungsstreit vor Gericht auszutragen, ohne die von den Anteilseignern mit der erforderlichen Mehrheit beschlossene unternehmerische Maßnahme zu blockieren. Das Spruchverfahren ist kein Allheilmittel, aber im Vergleich mit der blockierenden Anfechtungsklage das geringere Übel. SystemkonformDer Vorschlag des Handelsrechtsausschusses versucht, einem dringenden Reformbedarf systemkonform ohne tiefgreifende Eingriffe in die betreffenden Gesetze (AktG, UmwG, SpruchG) kurzfristig abzuhelfen. Damit erübrigt sich keineswegs die dringend erforderliche Diskussion über eine grundlegende Neukonzeption des aktienrechtlichen Rechtsschutzsystems und seiner konkreten Ausgestaltung. Der Deutsche Juristentag hat zwar im Jahre 2000 die Anfechtungsklage als Mittel des individuellen Rechtsschutzes und der objektiven Rechtskontrolle im Grundsatz bestätigt, aber es bleibt die Aufgabe, den persönlichen und sachlichen Anwendungsbereich diese Rechtsinstituts jedenfalls für börsennotierte Gesellschaften neu zu bestimmen. Dafür genügen nicht die in der Aktienrechtsnovelle von 2005 (“UMAG”) vorgenommenen Randkorrekturen, sondern die grundsätzliche Reformdiskussion sollte weiter ausgreifen. *) Prof. Dr. Michael Hoffmann-Becking ist Partner bei Hengeler Mueller und Vorsitzender des Handelsrechtsausschusses des Deutschen Anwaltvereins (DAV).