RECHT UND KAPITALMARKT

Drohende Libor-Einstellung beunruhigt

Austausch der "wichtigsten Zahl der Welt" stellt Finanzmärkte vor Herausforderungen - Thema heute schon relevant

Drohende Libor-Einstellung beunruhigt

Von Mattias von Buttlar und Florian Ziegler *)Nach Bekanntwerden der Referenzzinssatz-Manipulationen 2012 und deren anhaltender juristischer Aufarbeitung mit Strafzahlungen in Milliardenhöhe scheint die Zukunft der London Interbank Offered Rate Libor nach 2021 heute mehr als ungewiss. Wesentlicher Grund dafür war die Ankündigung Andrew Baileys, CEO der britischen Finanzaufsicht (FCA), im vergangenen Jahr, nach 2021 Libor-Panelbanken nicht mehr zu verpflichten, bei der Ermittlung des Libor mitzuwirken. Die FCA kontrolliert als unmittelbare Folge der Libor-Manipulationen die für seine Ermittlung zuständige Intercontinental Exchange Benchmark Administration Ltd. (ICE), die diese Aufgabe 2014 übernommen hatte. Bis heute ermittelt die ICE an jedem Bankarbeitstag die Zinssätze, zu denen Libor-Panelbanken auf dem Londoner Interbankenmarkt Blankokredite in handelsüblicher Größe in Schweizer Franken, Euro, britischem Pfund, Yen und Dollar mit Laufzeiten von einem Tag (Overnight) bis zu zwölf Monaten aufnehmen können, und berechnet daraus den jeweiligen Libor-Referenzzinssatz. Nach Schätzungen dient der so ermittelte Libor weltweit als Referenzzinssatz für verschiedene Finanzkontrakte, von Immobiliendarlehen über syndizierte Darlehen und Bonds bis hin zu komplexen Derivaten, im Wert von 190 bis 290 Bill. Euro. Wesentlicher Beweggrund der FCA ist das Fehlen eines aktiven Interbanken-Kreditmarktes in London. War der Vertrauensverlust aufgrund der Finanzmarktkrise zunächst ursächlich für den Zusammenbruch des Interbanken-Kreditmarkts, sind es heute vor allem angehäufte Kapitalreserven und verfügbares billiges Zentralbankgeld. Die Rückmeldungen der Libor-Panelbanken, die wesentlich für die Ermittlung des Libor sind, beruhen daher immer weniger auf objektiv nachvollziehbaren Transaktionen, sondern vermehrt auf subjektiven Einschätzungen ihrer Experten. Die FCA möchte damit einen Übergang auf alternative Referenzzinssätze erreichen, deren Ermittlung anders als gegenwärtig beim Libor im Wesentlichen auf objektiv nachvollziehbaren Transaktionen beruht, und fordert Banken und andere Marktteilnehmer auf, die Zeit bis 2021 zu nutzen, um sich aktiv an der Suche nach Alternativen zum Libor zu beteiligen. Alternativen gesuchtBis heute gibt es keinen dem Libor vergleichbaren Referenzzinssatz. Der Euribor als europäisches Pendant hat den Libor zwar im Hinblick auf Finanzierungen in Euro verdrängt, bietet darüber hinaus aber keinen Ersatz für Finanzierungen in Franken, Pfund, Yen und Dollar. Alternativen könnten Risk Free Rates (RFRs) sein, die sich nach der Libor-Reform 2014 als Ersatz für Finanzierungen in bestimmten Währungen bewiesen haben. Im Rahmen der ersten Libor-Reform 2014 wurde die Ermittlung des Libor für Einlagen in australischen, kanadischen und neuseeländischen Dollar sowie dänischer und schwedischer Krone sowie für bestimmte Laufzeiten eingestellt. Für Finanzierungen in diesen Währungen hat der Markt dann statt auf den Libor auf lokal verfügbare RFRs abgestellt. Es gibt allerdings wesentliche Unterschiede zwischen Referenzzinssätzen wie Libor und lokalen RFRs. RFRs werden in der Regel nur für Overnight-Einlagen berechnet. Sie sind also nicht vorausschauend und für Laufzeiten, wie sie die Finanzwirtschaft benötigt von einer Woche, einem Monat oder länger noch nicht verfügbar. Damit einhergehend beinhalten RFRs anders als Referenzzinssätze keine laufzeitabhängigen Risiko- oder Liquiditätsprämien oder berücksichtigen regelmäßig eine Besicherung. Letztlich werden RFRs nicht wie der Libor zentral und einheitlich für verschiedene Währungen, sondern lokal für die jeweilige Währung zu unterschiedlichen Zeiten ermittelt. Als mögliche Alternativen für die wichtigsten verbliebenen Libor-Währungen wären heute insbesondere Sonia (Sterling Overnight Index Average), eine unbesicherte RFR für Finanzierungen in Pfund, die um 9.00 Uhr GMT am jeweils darauf folgenden Bankarbeitstag veröffentlicht wird, und SOFR (Secured Overnight Funding Rate), eine besicherte RFR für Finanzierungen in Dollar, die um 8.00 Uhr ET am jeweils darauf folgenden Bankarbeitstag veröffentlicht wird, zu sehen. Daneben könnte im Hinblick auf Finanzierungen in Franken noch Saron (Swiss Average Rate Overnight) von Relevanz sein. Die Gefahr, dass Libor 2022 nicht mehr fortgeführt wird, ist für Banken und andere Marktteilnehmer heute schon relevant. Finanzprodukte, insbesondere syndizierte Darlehen, Bonds und Derivate mit Laufzeiten bis 2022 oder darüber hinaus, die auf Libor Bezug nehmen oder nehmen müssen, weil sich heute noch keine Marktpraxis für den Umgang mit alternativen RFRs entwickelt hat, müssen früher oder später auf alternative RFRs umgestellt werden, sofern sie nicht vorzeitig beendet, refinanziert oder anders ersetzt werden. Im Unterschied zu den letzten Libor-Reformen ist allerdings zu erwarten, dass diese Umstellungen weitergehend sein werden und Eingriffe in die zugrundeliegende Dokumentation erfordern. Bei syndizierten Darlehen, die auch in Fremdwährungen in Anspruch genommen werden können, erfolgt die Zinsberechnung auf Basis von Libor heute in der Regel für bestimmte Zinsperioden, die gleichlaufend zu den verfügbaren Libor-Laufzeiten sein müssen, jeweils um 11.00 Uhr Londoner Zeit zu Beginn der jeweiligen Zinsperiode. In Zukunft müssen diese Vorschriften im Hinblick auf die lokalen Besonderheiten der relevanten RFRs angepasst werden. Zwar enthalten syndizierte Darlehen in der Regel Regelungen für den Fall, dass der Libor nicht mehr ermittelt werden kann. Diese Regelungen sind aber nicht dafür ausgelegt, den Libor gänzlich zu ersetzen. Sie sollen üblicherweise nur für eine Übergangszeit gelten. Banken und Kreditnehmer werden sich darauf nicht verlassen wollen. Eine entsprechende Anpassung der Kreditdokumentation wird, sofern dafür keine Vorsorge getroffen worden ist, in der Regel die Mitwirkung sämtlicher Parteien erfordern. Dies kann sich insbesondere in großen Syndikaten als schwierig erweisen. Unabhängig davon müssen Banken und andere Marktteilnehmer ihre Systeme auf den Umgang mit Overnight-Raten umstellen. Es ist zu erwarten, dass damit nicht unwesentliche Kosten und Aufwand verbunden sein werden. Entsprechende Probleme kann die Umstellung auf alternative RFRs für Bonds bedeuten. Vergleichbar mit syndizierten Darlehen enthalten auch Bonds regelmäßig Regelungen für den Fall, dass Libor nicht mehr ermittelt werden kann. Sie sind aber auch nur für eine Übergangszeit angedacht. Bei Laufzeiten über 2022 hinaus werden Emittenten und Underwriter darauf nicht vertrauen wollen. Problematisch ist, dass im Vergleich zu syndizierten Darlehen eine Änderung der zugrundeliegenden Bonddokumentation regelmäßig schwieriger ist. Die Identität der Bondholder, deren Beteiligung bei solchen Änderungen erforderlich ist, ist dem Emittenten häufig nicht bekannt. Im Hinblick auf Hedging-Geschäfte ist zu befürchten, dass sich eine unkoordinierte Umstellung auf alternative RFRs in den zugrundeliegenden Produkten nachteilig auf bestehende Hedging-Vereinbarungen auswirkt. Andere Derivategeschäfte könnten allein dadurch Nachteile erleiden, dass aufgrund von Anpassungen der Dokumentation strengere regulatorische Vorschriften gelten. Sturm im Wasserglas?Ob sich die Umstellung von Libor auf alternative RFRs als ein Sturm im Wasserglas erweisen wird, lässt sich aus heutiger Sicht noch nicht absehen. Es wird davon abhängen, wie sich die Finanzmärkte weiter entwickeln und ob bestehende auf Libor basierende syndizierte Darlehen oder Bonds rechtzeitig refinanziert werden können. So oder so müssen Marktteilnehmer heute schon aktiv werden und sich mit der Libor-Problematik befassen. Dabei ist der Euribor nicht zu vergessen, der auch daran leidet, dass es gegenwärtig keinen richtigen Interbanken-Kreditmarkt gibt. —–*) Dr. Mattias von Buttlar ist Partner und Florian Ziegler ist Local Partner im Frankfurter Büro von White & Case.