Recht und Kapitalmarkt

Durchgriffshaftung beim Verein bleibt die Ausnahme

Bundesgerichtshof entschärft rechtspolitische Bombe - Urteil zu einem der größten Wohlfahrtsskandale in Deutschland

Durchgriffshaftung beim Verein bleibt die Ausnahme

Von Peter Wand und Carolin Bolhöfer *) Die am 11. Februar 2008 veröffentlichte Entscheidung des Bundesgerichtshofs zum Kolping-Bildungswerk Sachsen e.V. (KBS) (Az.: II ZR 239/05) hat viele aufatmen lassen: Für die Verbindlichkeiten eines eingetragenen Vereins haftet weiter grundsätzlich nur dieser selbst und nicht seine Organe oder Mitglieder.Das klingt auf den ersten Blick wie eine Selbstverständlichkeit. Das Oberlandesgericht Dresden als Vorinstanz (Az.: 2 U 897/04) hatte im Jahr 2005 aber noch anders geurteilt: “Mitglieder eines personalistisch strukturierten eingetragenen Vereins, der sich über das sogenannte Nebenzweckprivileg hinaus in erheblichem Umfang wirtschaftlich betätigt, haften wegen Missbrauchs der Rechtsform jedenfalls dann akzessorisch für sämtliche Vereinsverbindlichkeiten, wenn sie Kenntnis von der wirtschaftlichen Betätigung haben und dieser keinen Einhalt gebieten.” Dieser neue Durchgriffstatbestand war eine rechtspolitische Bombe. Der BGH hat sie nun entschärft. Der Fall KBSDer Zusammenbruch des gemeinnützigen KBS war einer der größten Wohlfahrtsskandale in Deutschland. Das KBS hatte sich als “Holdingverein” mit über 25 Tochter- und Enkelgesellschaften zu einem der größten Anbieter staatlich geförderter Maßnahmen zur beruflichen Ausbildung in Sachsen entwickelt. So kaufte das KBS beispielsweise 1994 über eine Tochtergesellschaft von der Treuhand das Schloss Schweinsburg bei Chemnitz. Hier sollte ein Hotel für sozial benachteiligte Jugendliche entstehen. Tatsächlich aber ließ der ehemalige Geschäftsführer das Hotel zum Luxus-Tagungshotel ausbauen. Dafür bestellte er ein 40-jähriges Erbbaurecht zugunsten eines geschlossenen Immobilienfonds, der das für rund 30 Mill. Euro sanierte Schloss dem KBS für knapp 20 Jahre zur Nutzung überließ. Andere Großprojekte folgten in der zweiten Hälfte der neunziger Jahre. Als im Dezember 2000 das Insolvenzverfahren über das Vermögen des KBS eröffnet wurde, verklagte der Immobilienfonds die hinter dem KBS stehenden Kolping-Diözesanverbände und ihre Rechtsträger wegen Ausfalls der Leasingraten. Das OLG Dresden gab den Forderungen gegen vier der sechs Beklagten als “faktische” Mitglieder des KBS statt. Privilegierte RechtsformDer BGH lehnt eine akzessorische Haftung der Beklagten im Wege eines Durchgriffs wegen Rechtsformmissbrauchs ab. Eine Durchbrechung des sogenannten Trennungsgrundsatzes ist nur ausnahmsweise zulässig, wenn die Ausnutzung der rechtlichen Verschiedenheit zwischen der juristischen Person und den hinter ihr stehenden natürlichen Personen rechtsmissbräuchlich ist. Nach Meinung des Gerichts genügt die zweckwidrige Überschreitung des Nebenzweckprivilegs durch wirtschaftliche Betätigung dafür jedoch nicht. Das Gesetz sieht hierfür die Amtslöschung durch das Registergericht (§§ 159, 142 FGG) und Entziehung der Rechtsfähigkeit durch die zuständige Verwaltungsbehörde (§ 43 BGB) als Sanktionen vor. Für die richterliche Rechtsfortbildung durch das OLG Dresden ist deshalb schon mangels einer Regelungslücke kein Raum.Der Idealverein (§ 21 BGB) ist eine privilegierte Rechtsform mit einer Haftungsbeschränkung ohne Kapitalgarantie. Gerechtfertigt wird diese Privilegierung durch die Vereinstätigkeit im nichtwirtschaftlichen Bereich. Der wirtschaftliche Verein (§ 22 BGB) hingegen erlangt seine Rechtsfähigkeit und damit das Haftungsprivileg erst durch Verleihung. Vorher haften die Mitglieder eines wirtschaftlichen Vereins unbeschränkt persönlich. Dadurch sollen wirtschaftliche Vereine gezwungen werden, aus Gründen der Sicherheit des Rechtsverkehrs, insbesondere des Gläubigerschutzes, grundsätzlich auf andere Organisationsformen auszuweichen. Über die Frage, was “wirtschaftliche Tätigkeit” bedeutet, wird seit dem Inkrafttreten des Bürgerlichen Gesetzbuches gestritten. Durchgesetzt hat sich folgender Ansatz: Wirtschaftlich tätig ist ein Verein, der Leistungen am Markt anbietet und wie ein Unternehmer am Wirtschafts- und Rechtsverkehr teilnimmt. Die Absicht, Gewinn zu erzielen, ist nicht erforderlich.Unschädlich für den ideellen Charakter eines Vereins bleibt die wirtschaftliche Tätigkeit ausnahmsweise dann, wenn sie sich in einer Nebentätigkeit des Vereins erschöpft (sogenanntes Nebenzweckprivileg). Entscheidend ist die funktionale Unterordnung der geschäftlichen unter die ideellen Aktivitäten. Was das im Einzelfall bedeutet, ist unklar. Letztlich handelt es sich um eine Wertungsfrage, bei der es zu Meinungsverschiedenheiten kommen kann. Es gibt jedoch einen “Safe Harbor”: Nach der ADAC-Entscheidung des BGH aus dem Jahr 1982 (Az.: I ZR 88/80) ist auch die Beteiligung an einem Unternehmen anderer Rechtsform oder die Ausgliederung von unternehmerischer Tätigkeit auf eine Tochter-Kapitalgesellschaft unproblematisch. Dies gilt grundsätzlich selbst dann, wenn der Verein einen beherrschenden Einfluss ausübt. Was aber, wenn ein Verein das Nebenzweckprivileg verletzt und selbst erhebliche wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet? Es liegt auf der Hand, dass die vom BGH zitierten Sanktionen in der Praxis nicht wirklich helfen. Die Registerkontrolle funktioniert – wenn überhaupt – nur bei der Eintragung. Und auch die Rechtsformkontrolle durch die Verwaltungsbehörden ist unzulänglich. ReformbedarfAus diesem Grund könnte man darüber nachdenken, ob man gegen eine Rechtsformverfehlung beim eingetragenen Verein eine Konkurrenten- oder Verbandsklage nach dem Gesetz gegen den unlauteren Wettbewerb zulassen sollte. Im Vergleich zum Haftungsdurchgriff handelt es sich dabei sicher um die bessere Sanktion. Die Relevanz dieses Vorschlags zeigt die ADAC-Entscheidung des BGH: Damals hatten Versicherungsunternehmen einen wettbewerbswidrigen Missbrauch der Rechtsform des Idealvereins geltend gemacht, weil dieser durch eine Tochtergesellschaft Verkehrsrechtsschutzversicherungen anbot. Das wahre Problem des Vereinsrechts liegt jedoch im Bereich der Nonprofit Governance. Wie der Kolping-Fall eindrucksvoll zeigt, können insbesondere in wirtschaftlich tätigen Großvereinen beträchtliche Kontrolldefizite auftreten. Diskutiert werden hier deshalb eine ganze Reihe von Maßnahmen, wie zum Beispiel die Einführung eines obligatorischen und, in entsprechenden Fällen, mitbestimmten Aufsichtsrats, eine Stärkung der Informationsrechte der Vereinsmitglieder und eine gesetzliche Regelung über die Anfechtung von Mitgliederbeschlüssen. RechenschaftspflichtDes Pudels Kern liegt jedoch woanders: im Bereich Rechnungslegung, Prüfung und Publizität. Das Bürgerliche Gesetzbuch verweist bei der Rechenschaftspflicht des Vorstands auf das Auftragsrecht. Danach genügt eine Einnahmen- und Ausgabenrechnung. Die Buchführungs- und Bilanzierungspflicht gilt für einen Idealverein grundsätzlich nur, wenn er ein Handelsgewerbe betreibt. Die Vorschriften über die Konzernrechnungslegung sind auf Vereine nicht anwendbar. Eine Pflicht zur Prüfung und Offenlegung der Rechnungslegung besteht nicht.Der Gesetzentwurf des Bundesjustizministeriums zur Änderung des Vereinsrechts vom 25.8.2004 geht darauf ebenso wenig ein wie der Gesetzesantrag des Landes Baden-Württemberg vom 3.2.2006. Der Gesetzgeber ist jedoch gut beraten, diese Themen bei der anstehenden Modernisierung des seit über 100 Jahren weitgehend unverändert gebliebenen Vereinsrechts anzugehen. Bei der Rechnungslegung, Prüfung und Publizität sollte er in Anlehnung an das österreichische Vereinsrecht nach der Größe der Vereine differenzieren. Für Vereinskonzerne ist zudem eine Konsolidierungspflicht wünschenswert. *) Dr. Peter Wand und Carolin Eve Bolhöfer sind Rechtsanwälte bei Debevoise & Plimpton LLP in Frankfurt.