E-Commerce: Markenhersteller sehen Corona-Boom mitunter skeptisch
Herr Dr. Spangler, der Onlinehandel profitiert von der Coronakrise. Gilt das auch für die Hersteller?Viele Hersteller sind in der Zwickmühle: Einerseits profitieren sie von den steigenden Verkaufszahlen im Internet; andererseits verschärft der Internethandel den Preisdruck, die Margen sinken. Zudem beobachten Markenhersteller, dass ihre Kunden wegen des zurückgehenden stationären Geschäfts Schwierigkeiten haben, Waren zu testen beziehungsweise angemessen beraten zu werden. Damit dünnt ein wichtiger Beratungskanal aus. Schließlich geraten nationale Vertriebsstrukturen vermehrt unter Druck und verlieren an Bedeutung. Durch die Öffnung der Vertriebsstrukturen und Parallellieferungen aus dem Ausland verstärkt sich der Preisdruck auf das stationäre Geschäft weiter. Wie begegneten die Hersteller dem Preisdruck bislang?In den Anfangsjahren des Internetvertriebs versuchten Hersteller, den Händlern Onlineverkäufe generell zu untersagen oder jedenfalls hohe Hürden zu errichten. Gängige Praktiken zum Schutz nationaler Vertriebssysteme waren etwa die Pflicht, Kunden aus einem anderen Land automatisch an einen bestimmten lokalen Händler weiterzuleiten. Oder Zahlungen wurden abgebrochen, wenn im Zuge der Zahlungsabwicklung erkennbar wurde, dass der Kauf durch einen Kunden im Ausland erfolgt. Derartige Praktiken sind allerdings kartellrechtlich verboten. Man findet sie daher heute nur noch in Ausnahmefällen. Welche Maßnahmen sind aktuell anzutreffen?Die Dauer der Herstellergarantie ist heute üblicherweise europaweit zumeist einheitlich und gilt auch dann, wenn Ware im Ausland verkauft wird oder für einen ausländischen Markt bestimmt ist. Einzelne Hersteller versuchen aber, ihre Vertriebswege über verbesserte Garantieleistungen für inländische Produkte zu steuern. Bestimmte Garantieleistungen gelten dann nur für im Inland erworbene Ware. Für aus dem Ausland eingeführte Ware hingegen sind die Bedingungen schlechter. Stellschrauben sind die Garantielänge oder zusätzliche Garantieleistungen. Aus rechtlicher Sicht stoßen solche Änderungen des Garantiesystems jedoch schnell an kartellrechtliche Grenzen. Welche Grenzen sind das konkret?Kartellbehörden und die Gerichte haben bereits in den achtziger Jahren strenge Voraussetzungen für Garantiesysteme aufgestellt, als der Internethandel noch nicht seine jetzige Bedeutung hatte. Unterschiedliche Herstellergarantien führen demnach zu einer kartellrechtlich unzulässigen Beschränkung von Parallelimporten, wenn sie nationale Vertriebsstrukturen abschotten. Dies gilt auch für Vorgaben, wonach sich der Kunde im Garantiefall zwingend an die Vertriebsgesellschaft in dem Land wenden muss, in dem er die Ware gekauft hat. Herstellern bleibt damit in der Praxis nur ein eher geringer Gestaltungsspielraum. Was können Hersteller noch tun?In Einzelfällen ist eine Besserstellung von Waren für den heimischen Markt lediglich bei Modalitäten der Garantieabwicklung denkbar, jedenfalls, wenn hierdurch Kunden im Ergebnis nicht davon abgehalten würden, Ware aus dem Ausland zu beziehen oder Händler für andere Märkte bestimmte Ware in Deutschland zu verkaufen. Für den Händler im Ausland entsteht dann noch kein Wettbewerbsnachteil. Ob derartige Maßnahmen ihr eigentliches Ziel erreichen, bleibt fraglich. Schließlich führen die Maßnahmen gerade nicht zu dem gewünschten Kauf der für den jeweiligen Markt bestimmten Ware. Die Marschroute von Kartellbehörden und Gerichten bedeutet für den Herstellervertrieb damit letztlich ein enges Korsett. Also gute Perspektiven für den Verbraucher?Nicht unbedingt. Europäische Kunden profitieren zwar von den Vorteilen des Binnenmarktes. Sie können Onlinekäufe zu mitunter besseren Konditionen im Ausland tätigen. Sinkende Preise sind zumindest ein kurzfristiger Vorteil. Wenn es aber nicht gelingt, den Rückgang des stationären Handels zu stoppen oder durch äquivalente Online-Beratungsleistungen abzufedern, werden Verbraucher langfristig mit eingeschränkten Beratungs- und Testmöglichkeit leben müssen. Dr. Simon Spangler ist Partner im Bereich Kartellrecht von Oppenhoff. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.