Recht und Kapitalmarkt

Eigenkapital auf Abruf - Zufuhr in kleinen Häppchen

Marktschonendes Instrument - Bestehende Anteilseigner sollten wegen der positiven Wirkung den Verwässerungseffekt hinnehmen

Eigenkapital auf Abruf - Zufuhr in kleinen Häppchen

Von Manuel Lorenz *) —- Für börsennotierte Unternehmen ist das einmalige Anzapfen des Marktes mit einer klassischen Kapitalerhöhung nicht immer die ideale Form der Eigenkapitalfinanzierung. Eine solche Mittelaufnahme zeichnet sich dadurch aus, dass das Unternehmen einmalig einen größeren Betrag gegen Ausgabe von Aktien an die bestehenden Aktionäre (Bezugsrechtskapitalerhöhung) und/oder neue Investoren (Kapitalerhöhung unter Ausschluss des Bezugsrechts) realisiert. Lange VorbereitungEine solche Transaktion bedarf einer langen Vorbereitung, da typischerweise ein Prospekt angefertigt und von der Aufsichtsbehörde gebilligt werden muss. Wegen des langen Vorlaufs kann es leicht vorkommen, dass zum Zeitpunkt des Angebots die Märkte nicht gut stehen und der erlöste Betrag kleiner als erwartet ausfällt. Die Transaktion könnte auch mangels Interesse der Anleger abgesagt oder verschoben werden. Wird ein großer Geldbetrag auf einen Schlag benötigt, ist diese Transaktionsform dennoch sinnvoll; etwa zur Ablösung von Schulden oder zur Finanzierung eines Unternehmenskaufs oder einer anderen größeren Investition. Die klassische Kapitalerhöhung eignet sich aber weniger gut zur Deckung des laufenden operativen Cash-Bedarfs, insbesondere bei negativem Cash-flow – so z. B. bei Unternehmen in der Start-up- oder Turnaround-Phase sowie in schwierigen Marktphasen.Am Markt gibt es aber auch Investoren, die bereit sind, Eigenkapital in Form von “Häppchen” bereitzustellen – sogenanntes Eigenkapital auf Abruf (Standby Equity oder Equity-Line-Finanzierung genannt). Der Sache nach handelt es sich hierbei um eine Art Verkaufoption für neu emittierte Aktien, bei der der Emittent der Optionsinhaber und der Investor der Stillhalter ist. Der Investor ist im Rahmen des vereinbarten Höchstbetrags und der vereinbarten Laufzeit verpflichtet, Aktientranchen auf einseitigen Abruf des börsenotierten Unternehmens zu zeichnen und abzunehmen, egal welche Konditionen am Kapitalmarkt herrschen. Dies stellt eine interessante Option dar, die insbesondere auch bei fallenden Kursen einsetzbar ist. Der Emittent hat dagegen keinerlei Verpflichtung, das Eigenkapital abzurufen – er kann das Instrument nutzen, muss es aber nicht.Eine solche Finanzierung bietet erhebliche Vorteile: Das Unternehmen ruft das Kapital erst ab, wenn es benötigt wird. Hierdurch kann die Zufuhr des Kapitals kongruent mit dem “cash burn” laufen. Auch kann der Abruf sehr kurzfristig kommen, wenn der Markt günstig ist, insbesondere bei steigendem Aktienkurs und/oder hohen Handelsvolumina. Damit kann das Unternehmen bei der Kapitalaufnahme die Verwässerung der existierenden Aktionäre möglichst klein halten. Druck auf den KursDer Investor wird meist bestrebt sein, die erworbenen Stücke im Markt ganz oder teilweise kurzfristig weiterzuveräußern. Wird die abgerufene Tranche vom Unternehmen zu groß gewählt, kann Druck auf den Börsenkurs entstehen, wenn durch Verkäufe des Investors verstärkt Aktien auf den Markt kommen. Bei richtiger Tranchierung wird dies indes nicht geschehen, und prinzipiell wird der Investor ebenfalls daran interessiert sein, dass der Aktienkurs bei seinen Verkäufen nicht sinkt.Er setzt vor allem das Vorhandensein von genehmigtem Kapital mit der Möglichkeit zum Ausschluss des Bezugsrechts voraus. Nach der gesetzlichen Regelung ist dies für Aktienemissionen bis zu 10 % des bestehenden Kapitals unproblematisch möglich, wenn der Zeichnungspreis marktnah festgelegt wird. Ist ein solches genehmigtes Kapital vorhanden, schließen Investor und Gesellschaft einen Rahmenvertrag, der den Gesamtbetrag, die Größe der einzelnen Tranchen und die Dauer der Bindung festlegt. Bei Kapitalbedarf oder hohen Aktienkursen ruft die Gesellschaft beim Investor Eigenkapital mit einer Ziehungsnachricht ab. Der Ausgabepreis pro Aktie orientiert sich am Durchschnittskurs während eines mehrtägigen Preisfestsetzungszeitraums. Nach Zeichnung und Kapitaleinzahlung meldet die Gesellschaft die Kapitalerhöhung an, liefert nach Eintragung die Stücke durch Depotübertrag an den Investor und lässt diese an der Börse zu. Zur Kostensenkung können dabei auch mehrere Tranchen gebündelt werden. Zur Überbrückung der entstehenden Verzögerung kann sich der Investor Aktien bei einem dazu bereiten Großaktionär leihen.Bei Vereinbarungen über Eigenkapital auf Abruf stellen sich einige rechtliche Fragen, die jedoch alle lösbar sind. Eine Frage ist, ob der Investor für das Eingehen der Abnahmeverpflichtung eine Gebühr verlangen darf oder ob dies Grundsätze der Eigenkapitalaufbringung verletzt. Solche Gebühren sind grundsätzlich zulässig und werden auch in anderem Zusammenhang (etwa bei Abnahmegarantien von Großaktionären im Rahmen einer Kapitalerhöhung) gezahlt. Dieser Gebühr steht auch eine Leistung gegenüber, nämlich die Abnahmeverpflichtung auch in einem möglicherweise ungünstigen Kapitalmarktumfeld. Zudem muss der Investor Kapital für diese Zwecke reservieren. Solange die Höhe der Gebühr sich in marktüblichen Grenzen hält, etwa im Vergleich mit Übernahme- oder Platzierungsprovisionen von Investmentbanken, sollte dies rechtlich unproblematisch sein. Auch bei der Festlegung des Abschlags vom Börsenkurs gibt es rechtliche Grenzen. Benutzt man, wie in Deutschland üblich, die gesetzliche 10 %-Ausnahme für den Bezugsrechtsausschluss, darf der Abschlag vom aktuellen Kurs maximal 5 % betragen. An Meldepflichten denkenZu beachten ist auch, dass der Vertrag und seine Durchführung Meldepflichten auslöst. Zum einen ist der Abschluss des Vertrags typischerweise als Ad-hoc-Mitteilung bekannt zu machen. Ob dies auch für die Ziehungen von Tranchen gilt, muss im Einzelfall geprüft werden. Die Ausgabe von Aktien am Ende des Ziehungsprozesses ist darüber hinaus in jedem Fall von der Gesellschaft zu veröffentlichen. Schließlich kann der Investor zu Schwellenmitteilungen verpflichtet sein, wenn er die Beteiligungsschwelle von 3 % oder eine höhere Schwelle erreicht, über- oder unterschreitet. Ein weiteres Thema ist die Vermeidung von Marktmanipulation. Weder die Gesellschaft noch der Investor dürfen den Aktienkurs beeinflussen, insbesondere nicht während der Preisfestsetzungsfrist oder während der Verkäufe der bezogenen Aktien im Markt.Auch muss der Investor beachten, dass das Betreiben des Übernahme- und Platzierungsgeschäfts eine Bank- bzw. eine Finanzdienstleisterlizenz erfordert. Der Rahmenvertrag über Eigenkapital auf Abruf muss so strukturiert werden, dass eine solche Lizenzpflicht vermieden wird. Eigenkapital auf Abruf ist nicht immer das “Ei des Kolumbus”. Das börsennotierte Unternehmen muss sich klarmachen, dass mit Kapitalerhöhungen in kleinen Portionen auch administrativer Aufwand und Kosten verbunden sind. Auf der Habenseite steht indes neben der bereits angesprochenen Flexibilität der Charakter dieses Instruments als eine Art “Rückversicherung”: Das Unternehmen ist, anders als bei anderen Finanzierungsformen, nicht gezwungen, das Instrument zu nutzen. Es kann nach anderen Finanzierungsformen mit dem beruhigenden Gefühl gesucht werden, eine sichere und jederzeit verfügbare Eigenkapitalquelle in der Hinterhand zu haben. Das entspannt auf Seiten der Gesellschaft die Verhandlungen mit anderen Kapitalgebern. Gut für die AktieBei Nutzung des Instruments stellen die Unternehmen häufig angenehm überrascht fest, dass der Aktienkurs nicht leidet. Im Gegenteil wird durch die marktschonenden Verkäufe des Investors stetig das Handelsvolumen gesteigert, was das Interesse anderer Kapitalmarktteilnehmer an der Aktie weckt. Das kann auch Kurssteigerungen zur Folge haben. Die bestehenden Aktionäre sollten wegen dieses positiven Effekts den entstehenden Verwässerungseffekt hinnehmen. Auf diesem Weg ist schon manches Dornröschen an der Börse wach geküsst worden.—-*) Dr. Manuel Lorenz ist Partner bei Baker & McKenzie in Frankfurt und leitet den Bereich Kapitalmarkt in Deutschland.