RECHT UND KAPITALMARKT

Ein Ringen um gute Unternehmensführung

Juristentag: Absage an europäische Regelungen für Corporate Governance - Gesetzlich vorgeschriebene Frauenquote wird abgelehnt

Ein Ringen um gute Unternehmensführung

Von Florian Drinhausen *)Die Diskussion darüber, wie Unternehmensführung, also “Corporate Governance”, auszusehen hat und welche Anforderungen an eine “gute” Unternehmensführung zu stellen sind, beschäftigt Politik, Wissenschaft und Wirtschaft seit geraumer Zeit. Dabei ist “gute Unternehmensführung” ein Konzept, bei dem politische Anliegen oft mit der wirtschaftlichen Wirklichkeit kollidieren. Die Diskussionen zu Frauenquote, Vorstandsvergütung und Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern liefern dazu reichhaltiges Anschauungsmaterial.Gut zehn Jahre nach Bildung der Regierungskommission Deutscher Corporate Governance Kodex und der Verabschiedung des ersten deutschen Kodex hat sich die wirtschaftsrechtliche Abteilung des 69. Deutschen Juristentags (18. bis 21. September) diesen Fragen gewidmet. Die zweitägige Diskussion unter der Überschrift “Staatliche und halbstaatliche Eingriffe in die Unternehmensführung” wurde durch ein umfangreiches Gutachten von Prof. Mathias Habersack sowie drei Referate vorbereitet. Deren detaillierte Thesen bildeten die Grundlage für eine lebhafte Diskussion des Publikums aus Hochschullehrern, Praktikern und Vertretern des Gesetzgebers. Kodex im MittelpunktWenngleich das Thema über eine Bestandsaufnahme zum deutschen Corporate Governance Kodex hinausging, beschäftigte sich die Diskussion im Schwerpunkt mit diesem. Einigkeit herrschte darin, dass der Kodex einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der Corporate Governance in Deutschland geleistet hat. Ein Beschlussantrag, der die Beibehaltung des derzeitigen “Comply-or-Explain-Mechanismus” des § 161 AktG befürwortet, wurde mit großer Mehrheit angenommen. Danach müssen Vorstand und Aufsichtsrat einer börsennotierten Gesellschaft jährlich erklären, dass dem Kodex entsprochen wird. Wenn Empfehlungen nicht befolgt werden, muss dies begründet offengelegt werden.Breite Zustimmung fand nach intensiver Diskussion der grundsätzliche Zuschnitt des Kodex mit bindenden Empfehlungen und unverbindlichen Anregungen. Lediglich die Wiedergabe des Gesetzestextes wurde im Interesse eines schlankeren Kodex als verzichtbar angesehen.Eine Absage wurde in diesem Zusammenhang allen europäischen Regelungen zur Corporate Governance erteilt. Dem liegt die Sorge zugrunde, dass diese häufig nicht geeignet sind, die gewachsenen nationalen Regelungszusammenhänge angemessen zu berücksichtigen.Das Nebeneinander von aktienrechtlicher Entsprechenserklärung, handelsrechtlicher Erklärung zur Unternehmensführung sowie Corporate-Governance-Bericht nach dem Kodex bereitet nicht nur unnötigen Aufwand. Es trägt auch nicht zur Verständlichkeit bei. Ein Antrag, diese Berichterstattung zusammenzufassen und zu vereinfachen, wurde daher mit großer Mehrheit angenommen.Demgegenüber standen sich Befürworter und Gegner einer Pflicht zur unterjährigen Aktualisierung der Entsprechenserklärung ausgewogen gegenüber. Letztlich setzten sich die Befürworter der unterjährigen Aktualisierung durch. Ausschlaggebend war dabei die Sorge, dass eine nicht aktualisierte Erklärung dem Kapitalmarkt wenig nütze und so in ihrer Bedeutung entwertet werde.Seit der Bundesgerichtshof im Fall Deutsche Bank/Kirch die Anfechtbarkeit der Entlastungsbeschlüsse der Hauptversammlung wegen fehlerhafter Entsprechenserklärung bejaht hat, wird lebhaft diskutiert, welche Rechtsfolgen bei Verstößen gegen § 161 AktG angemessen sind. Während Entlastungsbeschlüssen bei der Aktiengesellschaft nur feststellende Bedeutung zukommt, gilt dies für Wahlbeschlüsse der Hauptversammlung nicht. Nach wie vor gibt es keine gesicherte Rechtsprechung zu der Frage, welche Auswirkungen die Anfechtung eines Wahlbeschlusses auf die Wirksamkeit der Beschlüsse des Aufsichtsrats hat. Die Ansicht, die einer erfolgreichen Anfechtung nur eine Wirkung für die Zukunft zuspricht, ist von der Rechtsprechung noch nicht bestätigt. Es ist daher nicht verwunderlich, dass die Diskussion kontrovers geführt wurde. Letztlich konnten die als Alternativen zur Anfechtungsklage erörterten Kontrollmechanismen die Teilnehmer nicht überzeugen. So wurde mit großer Mehrheit die Überprüfung fehlerhafter Entsprechenserklärungen durch die Deutsche Prüfstelle für Rechnungslegung oder die BaFin abgelehnt. Unklar bleibt die Meinungslage zur Anfechtbarkeit bei fehlerhafter Entsprechenserklärung insgesamt: Denn während eine knappe Mehrheit diese durch gesetzliche Regelungen ausschließen will, fand sich eine deutliche Mehrheit, die eine Anfechtbarkeit zumindest von Entlastungsbeschlüssen befürwortete.Tendenzen, das AktG und den Corporate Governance Kodex für gesellschaftspolitische Anliegen wie die Frauenquote in Dienst zu nehmen, wurden sehr kritisch gesehen. Während die Bemühungen des Kodex um eine verstärkte Beteiligung von Frauen in Führungsgremien breite Zustimmung fanden, wurde die Einführung einer gesetzlichen Quote auf deutscher oder europäischer Ebene abgelehnt. Gestiegene AnforderungenDie wachsende Bedeutung von Corporate Governance geht mit steigenden Anforderungen an die Arbeit des Aufsichtsrats und die Qualifikation seiner Mitglieder einher. Im Fokus der Debatte steht dabei die Unabhängigkeit von Aufsichtsratsmitgliedern; ein Konzept, das dem monistischen Führungssystem entstammt und erstmals 2005 in einer Empfehlung der EU-Kommission auftauchte. Bis heute ist eine präzise Definition nicht überzeugend gelungen; genauso wenig wie eine allgemein gültige Begründung dieser Anforderung. Dies spiegelt sich auch in der Diskussion und den Beschlüssen des Juristentags wider. So wird von einer großen Mehrheit befürwortet, dass der Aufsichtsrat die Beurteilung der Unabhängigkeit seiner Mitgliedern selbst vornimmt. Die Anforde-rungen an Aufsichtsratsmitglieder in mitbestimmten Gesellschaften dürfen das Gleichgewicht zwischen Anteilseigner- und Arbeitnehmervertretern nicht aus den Fugen bringen.Bei der Besetzung wichtiger Ausschüsse wie des Prüfungs- und des Vergütungsausschusses besteht eine Tendenz, dass der Kodex eine angemessene Anzahl unabhängiger Aufsichtsratsmitglieder auf Anteilseig-nerseite empfehlen soll. Für den Nominierungsausschuss wird dies hingegen abgelehnt. In Konzerngesellschaften, wo derzeit, jedenfalls soweit es sich um größere Gesellschaften handelt, unabhängige Dritte in Aufsichtsräten anzutreffen sind, soll es jedoch keine Empfehlung des Kodex zu einer angemessenen Anzahl von nicht dem herrschenden Unternehmen zuzurechnenden Anteilseignervertretern geben.Die gestiegenen Anforderungen an die Arbeit des Aufsichtsrats führen zur Frage nach dessen Ausstattung mit Sach- und finanziellen Mitteln. Dieser Aspekt eines eigenen Aufsichtsrat-Budgets wurde in der Diskussion mehrfach angemahnt.Die durch das Gesetz zur Angemessenheit der Vorstandsvergütung eingeführte Cooling-off-Periode von Vorstandsmitgliedern, nach der grundsätzlich jeder Vorstand zwei Jahre pausieren muss, bevor er in den Aufsichtsrat des eigenen Unternehmens einziehen darf, war bereits vor dem Juristentag als missglückt kritisiert worden. Es ist also kein Wunder, dass eine Reform dieser Regelung reklamiert würde. Allerdings wird das Konzept der Zwangspause nicht generell abgelehnt, sondern auf das unmittelbare Aufrücken in den Vorsitz des Aufsichtsrats und den Vorsitz des Prüfungsausschuss beschränkt.Erwartungsgemäß wurde auch die Reformbedürftigkeit des Beschlussmängelrechts festgestellt. Abgelehnt wurden die vom Gutachter vorgeschlagenen Erleichterungen für eine direkte Aktionärsklage. Dies wurde damit begründet, dass eine solche Reform nur mit einer gleichzeitigen Überprüfung der materiellen Haftung der Organmitglieder erfolgen sollte.Nach einer Phase der relativen Reformruhe dürften von den Beschlüssen der wirtschaftsrechtlichen Abteilung des 69. Deutschen Juristentags wieder wichtige Impulse für weitere Reformen des Aktienrechts ausgehen. Es ist zu erwarten, dass Ergebnisse der Diskussion bereits in die anstehende Aktienrechtsnovelle einfließen werden. Die vor fast einem Jahrzehnt getroffene Aussage Wolfgang Zöllners von der “Aktienrechtsreform in Permanenz” dürfte so weiter ihre Aktualität behalten.—-*) Dr. Florian Drinhausen ist Partner im Frankfurter Büro von Linklaters LLP.