RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: MYRIAM SCHILLING

"Ein Schnäppchen kann sich als Fehlkauf entpuppen"

Wettbewerb um attraktive Übernahmeziele nimmt zu - Mehr Pleiten erwartet

"Ein Schnäppchen kann sich als Fehlkauf entpuppen"

Frau Schilling, die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht läuft Ende September aus. Ist danach mit einer Pleitewelle zu rechnen?Insolvenzverwalter rechnen in der Tat damit, dass im Herbst 2020 ein erheblicher Zuwachs an Insolvenzen zu verzeichnen sein wird. Die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht verschafft krisengebeutelten Unternehmen zwar mehr Zeit. Diese wird aber in vielen Fällen nicht ausreichen, um den Turnaround zu schaffen. Nur grundsätzlich gesunden Unternehmen, die während der Krise mit Liquiditätsengpässen kämpfen mussten, wird der gesetzliche Aufschub am Ende zugutekommen. Dass die Aussetzung der Insolvenzantragspflicht kein Allheilmittel ist, zeigen die vielen Eigenverwaltungen, insbesondere im stationären Handel, die in den letzten Wochen angemeldet wurden. Ist davon auszugehen, dass sich Investoren schon Übernahmeziele für diese Zeit heraussuchen?Wenn sie es noch nicht tun, dann ist ihnen auf jeden Fall dazu zu raten. Es gibt eine Reihe von Private-Equity-Investoren, die in den Startlöchern stehen und sich aktiv auf die Suche nach Zielunternehmen machen, seien es Krisenprofiteure oder Krisenverlierer. Man kann davon ausgehen, dass es einen starken Wettbewerb um wenige attraktive Targets geben wird. Strategische Investoren müssen schnell sein, um da mithalten zu können. Momentan herrscht auf dem Markt noch eine große Unsicherheit, was die richtige Bewertung eines Unternehmens angeht. Deshalb wird gerade auch wieder vermehrt über variable Kaufpreise wie Earn-outs verhandelt. Man bezeichnet Kaufziele auch als Krisenschnäppchen. Halten diese, was der Name verspricht?Nicht immer. Wie im Privatleben gilt auch im Wirtschaftsleben, dass sich das ein oder andere Schnäppchen als Fehlkauf entpuppt. Wichtig ist, mit den richtigen Erwartungen, der richtigen Aufstellung und einem effizienten Prozess in Kaufverhandlungen zu gehen. In einem schwierigen Marktumfeld ist es wichtiger denn je, ein Unternehmen vor einer Investition genauestens im Rahmen einer Due Diligence zu überprüfen. Dabei geht es nicht nur darum, den richtigen Kaufpreis zu finden oder Compliance-Risiken aufzudecken. In Zeiten wie diesen muss die Empfehlung lauten, die Prüfung auf das Umfeld des Zielunternehmens auszudehnen. Gibt es Lieferanten, die in Schwierigkeiten geraten sind? Hängt das Unternehmen von diesen ab? Betreibt das Unternehmen ein nachhaltiges Geschäft? Wird sich das Wachstum mit dem Ende der Coronakrise wieder einstellen oder wird das Geschäft gar schrumpfen? Man muss genau hinschauen und Fragen stellen, die vielleicht vor der Krise üblicherweise nicht zum Standard gehörten. Ist das Szenario wahrscheinlich, dass Investoren nur pro forma angesprochen werden, um den Marktwert des insolventen Unternehmens zu testen?Es ist zumindest denkbar und nicht auszuschließen. Unternehmen, die aufgrund ihrer finanziellen Schwierigkeiten ein Insolvenzverfahren im Wege der Eigenverwaltung anstreben, müssen einen Insolvenzplan aufstellen und im Rahmen des Verfahrens die Gläubiger des Unternehmens von diesem Plan überzeugen. Zu diesem Zwecke mag es hilfreich sein, zuvor auf dem Markt Erwerbsinteressenten anzusprechen, um ein Vergleichsszenario aufstellen zu können. Nur wenn die Gläubiger, die im Rahmen der Eigenverwaltung erhebliche Zugeständnisse machen müssen, sehen, dass es keine ihre Interessen besser wahrende Alternative zum Insolvenzplan gibt, werden sie diesem zustimmen. Sehen Sie vermehrtes Interesse bei Kunden oder Lieferanten, eine insolvente Firma zu übernehmen, um das eigene Geschäft abzusichern?Ja, eine solche Entwicklung ist durchaus erkennbar. Man nennt das Vertikalintegration. Insbesondere in dem Fall, in dem ein Unternehmen als Kunde von einem bestimmten Lieferanten abhängt, kann hierdurch Risiko minimiert werden. Im besten Fall lassen sich darüber hinaus auch Synergien schaffen. Auch wenn die vertikale Integration den Wettbewerb nicht so beeinflusst wie die horizontale, kann sie Auswirkungen auf denselben haben und ist in jedem Fall vorab unter kartellrechtlichen Aspekten zu prüfen. Myriam Schilling ist Partnerin im Bereich M&A von Oppenhoff. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.