RECHT UND KAPITALMARKT

Eine chinesische Mauer für Deutschland?

Investitionskontrolle zwischen Ordnungs- und Industriepolitik - Generalklauseln für öffentliche Sicherheit und Ordnung eng auslegen

Eine chinesische Mauer für Deutschland?

Von Christoph Stresing und Daniel Wiedman*) Es gelte, “einen ausgewogenen Weg zu finden zwischen der Offenheit für ausländische Investoren und dem Schutz der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung vor gezielter wettbewerbsverzerrender oder sicherheitspolitisch bedenklicher Industriepolitik”, heißt es in einem Beschluss des Bundesrates zur Außenwirtschaftsverordnung. Ob die aktuellen politischen Entwicklungen in der Investitionskontrolle einen solchen ausgewogenen Weg nehmen oder sich auch in Deutschland ein zunehmender Investitionsprotektionismus manifestiert, ist für die künftige Ausgestaltung unserer Wirtschaftsordnung von grundlegender Bedeutung.Inhaltlich postuliert der Beschluss, dass eine Prüfung von Beteiligungen an deutschen Unternehmen durch Erwerber von außerhalb der EU auch unterhalb der derzeit geltenden Schwelle möglich sein soll. Aktueller Anlass sind geplante und zum Teil vollzogene Unternehmensbeteiligungen chinesischer Unternehmen unterhalb der derzeitigen Aufgreifschwelle, die einen Erwerb von mindestens 25 % der Stimmrechte an einem deutschen Unternehmen voraussetzt.So wollte die State Grid Corporation of China sich mit 20 % am deutschen Stromnetzbetreiber 50 Hertz beteiligen, was dadurch verhindert wurde, dass der Elia-Konzern – dem Vernehmen nach auf Betreiben Berlins – sein Vorkaufsrecht ausübte. Auch der Einstieg des chinesischen Investors Li Shufu bei Daimler lag unterhalb dieser Schwelle. Stimmen aus der Regierungskoalition haben bereits Zustimmung zum Beschluss des Bundesrates signalisiert. Eine weitere Verschärfung bahnt sich auf Unionsebene ihren Weg. Zunächst unauffällig erscheint der Vorschlag für eine Verordnung zur Schaffung eines Rahmens für die Überprüfung ausländischer Direktinvestitionen in der Europäischen Union. Der Vorschlag will einen Rahmen für die Prüfung von Auslandsinvestitionen durch die Mitgliedstaaten bereitstellen. Zu befürchten ist, dass er zu einer erweiterten Auslegung der Begriffe öffentliche Sicherheit und Ordnung führt. Damit würde der Anwendungsbereich der Investitionskontrolle erweitert und Untersagungen wären leichter möglich. Bei der Auslegung dieser Begriffe sind die Mitgliedstaaten an die bisher enge Auslegung durch den Europäischen Gerichtshof gebunden. Der Verordnungsvorschlag eröffnet Spielraum für weitere Auslegungsmöglichkeiten. So will zum Beispiel der federführende Berichterstatter im Europäischen Parlament auch Investitionen in das Wettwesen, die Landwirtschaft oder einen möglichen Zugang zu personenbezogenen Daten als relevant für Sicherheit und Ordnung verstanden wissen. Die derzeit aufgeheizte Debatte lässt für das weitere Gesetzgebungsverfahren wenig Gutes erahnen. Erst 2017 verschärftDie Außenwirtschaftsverordnung wurde in Deutschland erst im Juli 2017 verschärft. Die Prüffristen wurden verlängert und der Anwendungsbereich erweitert. Seitdem wurden mehr als 50 Erwerbsvorgänge geprüft. Ein Drittel hiervon betraf chinesische Investoren. Eine Untersagung gab es bisher noch nicht. Dies könnte sich ändern, wenn die derzeit hohen Untersagungsvoraussetzungen durch die Verordnung abgesenkt werden. Die Verschärfungen zeigen bereits negative Auswirkungen in der Transaktionspraxis, da sie die Transaktionssicherheit beeinträchtigen. Eine Prüfung durch das zuständige Bundeswirtschaftsministerium kann bis zu sechs Monate dauern. Kaufinteressenten von außerhalb der EU sind daher bei Unternehmensveräußerungen im Auktionsverfahren gegenüber Konkurrenten aus der EU häufig im Nachteil. Aus Verkäufersicht kann eine Transaktion an einen solchen Interessenten nämlich mit dem Risiko einer Untersagung, Auflage oder zumindest einer enormen zeitlichen Verzögerung behaftet sein. Ein Abschluss mit einem Interessenten aus der EU ist daher oft vorzugswürdig, wenn dieser Nachteil nicht ausgewogen werden kann, zum Beispiel durch einen höheren Kaufpreis. Zu bedenken ist ferner, dass ein betroffenes Zielunternehmen während der Prüfung quasi in der Luft hängt: Ein Veräußerer wird nicht weiter in das Unternehmen investieren, da er es ja verkaufen will; der Erwerber wird sich mit Investitionen ebenfalls zurückhalten, da er nicht weiß, ob er das Unternehmen erwerben darf. “Ausverkauf”?Bei der gegenwärtigen Fokussierung auf einen befürchteten “Ausverkauf” der deutschen Wirtschaft und einem damit einhergehenden Verlust industrieller Kernkompetenz und innovativer Zukunftstechnologien an chinesische Unternehmen, drohen wichtige Aspekte aus dem Blickfeld zu geraten. Ein Schlüssel für Innovation und Wettbewerbsfähigkeit liegt im Schutz und in der Stärkung der marktwirtschaftlichen Ordnung. Das beinhaltet den Schutz von Privateigentum und Vertragsfreiheit, nicht aber den Schutz von Technologien. Zum geschützten Bereich gehört insbesondere das grundsätzliche Recht von Eignern, ihr Unternehmen zu veräußern. Es steht viel auf dem SpielIst es angesichts der steigenden Investitionsaktivitäten Chinas naiv, sich auf marktwirtschaftliche Überzeugungen zu verlassen? Bedürfen neue Herausforderungen nicht neuer Antworten? Nach dem bekannten Bonmot könne schließlich derjenige, der zu allen Seiten offen ist, nicht ganz dicht sein. Sämtliche Überlegungen in diesem Kontext stehen stets im Spannungsfeld zwischen der Offenheit der Märkte und freiem Kapital- und Güterverkehr einerseits und Protektionismus und Abschottung andererseits. Deutsche Investoren kontrollieren mehr als 37 000 Unternehmen im Ausland, umgekehrt profitiert der deutsche Arbeitsmarkt von ausländischen Investitionen, die hier mehr als 3 Millionen Arbeitsplätze geschaffen haben. In China haben deutsche Unternehmen 70 Mrd. Euro investiert; umgekehrt sind es 4 Mrd. Euro, die seitens China in Deutschland investiert sind. Es steht also viel auf dem Spiel. Gerade in Zeiten eines zunehmenden Investitionsprotektionismus sollte Deutschland seine Glaubwürdigkeit als Verfechter offener und freier Märkte nicht gefährden. Bei weiteren legislativen Maßnahmen und in der Anwendungspraxis in der Investitionskontrolle sollte daher Augenmaß gewahrt werden. Keinesfalls sollte es zu reflexartigen Reaktionen kommen. Eine Senkung der Aufgreifschwelle sollte nicht dazu führen, dass absolut unbedenkliche Investitionsvorhaben erfasst werden, zum Beispiel reine Finanzinvestitionen. Es sollten grundsätzlich nur solche Erwerbsvorgänge erfasst werden, die eine Einflussnahme auf ein Zielunternehmen ermöglichen. Schließlich ist nicht einleuchtend, wie ohne Möglichkeit einer Einflussnahme durch einen Erwerb die öffentliche Sicherheit oder Ordnung gefährdet sein könnte. Zudem sollten die Generalklauseln öffentliche Sicherheit und Ordnung weiter eng ausgelegt werden. Eine Gefährdung sollte nur dann geltend gemacht werden können, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt, wie dies auch die bisherige Rechtsprechung verlangt. Andernfalls droht die Gefahr, dass die Investitionskontrolle als Mittel der Industriepolitik missbraucht wird. Protektionismusspirale drohtEs bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um vorherzusagen, dass das Thema der Regelungen von Marktzugängen hochaktuell bleiben und weiter an Bedeutung gewinnen wird. Dafür wird allein US-Präsident Trump sorgen, der mit seiner “America first”-Politik protektionistische Tendenzen befeuert – und dabei die umfassende Vernetzung der globalen Arbeits- und Wirtschaftswelt übersieht. Aber nicht nur in den USA und Deutschland sind Verschärfungen der Investitionskontrollen geplant. Damit droht die Gefahr, dass die Spirale protektionistischer Maßnahmen verschärft wird. Am Ende einer solchen Entwicklung gibt es keine Gewinner, sondern nur Verlierer. Die exportorientierte deutsche Volkswirtschaft wäre in besonderem Maße davon betroffen. Gerade angesichts der derzeitigen protektionistischen Tendenzen ist eine klare ordnungspolitische Haltung der Bundesrepublik vonnöten. Eine Positionierung, die dem Leitbild der sozialen Marktwirtschaft folgt und deren oberstes Gebot der Schutz eben dieser marktwirtschaftlichen Ordnung ist. —-*) Christoph Stresing ist stellvertretender Geschäftsführer und Leiter politische Kommunikation des Bundesverbandes Deutscher Kapitalbeteiligungsgesellschaften, Daniel Wiedmann ist Counsel bei der Kanzlei P+P Pöllath+Partner