Eine Karte für alles
Der Durchbruch beim Mobile Payment lässt auf sich warten. Die Zeit des Übergangs wollen einige Anbieter nutzen, um Verfahren an den Markt zu bringen, die auf einer sogenannten All-in-one-Karte basieren. Damit verbunden sind einige innovative Technologien, die auch für andere Nutzungsszenarien interessant sein könnten. Aber ob diese Karten selbst eine langfristige Zukunft haben, steht in Zweifel.Von Franz Công Bùi, FrankfurtDie Idee ist naheliegend: Häufig tragen Konsumenten zu viele Karten im Portemonnaie – Debit- und Kreditkarten sowie Bonuskarten. Dieses Problem sollte eigentlich von mobilen Bezahlverfahren etwa über Apps im Smartphone gelöst werden. Doch die breite Durchsetzung solcher Payment-Methoden lässt trotz Apple Pay weiterhin auf sich warten, so dass Experten hier von einer funktionalen Lücke sprechen.In diese Lücke zwischen den dominanten Bezahlmethoden Bargeld sowie Kartenzahlung auf der einen Seite und Verfahren per Mobilgerät auf der anderen wollen einige kleinere Technologieanbieter wie etwa Coin, Plastc, Wocket, Looppay oder Stratos stoßen, die sogenannte All-in-one-Karten entwickeln und hierbei unterschiedliche Ansätze verfolgen. Gemein ist ihnen allen, dass ihre Lösung auf einer Karte basiert, die sich in Form, Größe und Funktion nicht von den üblichen Bezahlkarten unterscheidet und zu der eine mobile App gehört, in der sich die Daten von praktisch unbegrenzt vielen Bezahlkarten speichern lassen.Als der Vorreiter Coin – der Name entbehrt nicht einer gewissen Ironie – im Herbst 2013 per Crowdfunding-Kampagne Vorbestellern sein Modell für den Preis von 50 Dollar anbot, entstand ein regelrechter Hype. Nach erfolgreicher Kampagne kamen 15,5 Mill. Dollar von weiteren Investoren hinzu, und das Produkt wurde mit Spannung erwartet. Doch zum avisierten Start im Sommer 2014 erklärte Coin, dass nur einige der Vorbesteller im Herbst eine Beta-Version erhalten würde. Der Rest könne stornieren oder weitere 30 Dollar bezahlen, um im Frühjahr ein marktreiferes Produkt zu erhalten. Letztere Forderung wurde zwar zurückgezogen, doch der Imageschaden blieb. Im November lieferte Coin die ersten Beta-Geräte aus, die gemischte Kritiken erhielten.Plastc Inc. verfolgt technologisch ein anderes Prinzip. Während Coin den Magnetstreifen auf der Karte nutzt, soll die Plastc-Lösung über den Magnetstreifen hinaus per Chip und PIN das als sicherer eingestufte EMV-Verfahren unterstützen und zudem NFC-fähig sein. Und NXT-ID, ein seit September an der Nasdaq gelisteter Spezialist für biometrische Authentifizierungstechnologien, hatte die Wocket Wallet Anfang 2014 angekündigt. Sie besteht aus zwei Teilen: einer Karte mit Magnetstreifen und einem Steuerungsgerät, das dreimal so dick wie eine Kreditkarte ist und in dem sich die Informationen zu den Bezahlkarten speichern und kategorisieren lassen. Sie kann per PIN oder sprachgesteuert entsperrt werden und lässt sich auch bei Online-Einkäufen einsetzen. Sicherheit dank BiometrieBei einer gewöhnlichen Transaktion am POS (Point of Sale) funktionieren all diese Karten wie eine Kopie der Kreditkarte. Im Regelfall werden die Bezahldaten auf das Händlerterminal übertragen. Alle Anbieter werben mit zusätzlichen, z. T. biometrischen Sicherheitsmerkmalen, die denen des handelsüblichen Magnetstreifens überlegen sein sollen.Die Kreditbranche in den USA und auch hierzulande steht diesen Ansätzen bisher abwartend gegenüber. So erklärt beispielsweise ein Sprecher von Mastercard Deutschland: “Alle Entwicklungen, die es Konsumenten ermöglichen, elektronisch zu bezahlen, helfen dabei, das Bargeld weiter zurückzudrängen und die Nutzung von elektronischen Bezahlmitteln zu beschleunigen. Dazu gehört, dass es Innovationen von verschiedenen Parteien gibt. Letztlich entscheidet der Konsument.”Doch gerade in Deutschland greifen die Konsumenten vornehmlich auf Bargeld zurück. So konstatiert Bernd Richter, Partner bei der Unternehmensberatung Capco: “Die Nutzung von Karten für Zahlungen in Deutschland ist im Vergleich zu Ländern wie UK oder Spanien selten. Ein großer Ansturm auf die Nutzung von hardwarebasierenden All-in-one-Karten-Lösungen ist daher nicht zu erwarten. Vielmehr ist davon auszugehen, dass Konsumenten diesen Schritt überspringen werden und gleich Smartdevice-basierende Apps nutzen.” Gleichwohl stelle sich die Frage: “Was mache ich, wenn der Akku meines Smartphones leer ist oder nicht mehr genügend Leistung für den Bezahlvorgang hat? Diese Punkte sprechen dann eher für eine All-in-one-Karten-Lösung.”Die Karte von Coin hat Unternehmensangaben zufolge eine Lebensdauer von zwei Jahren. Wocket spricht von ungefähr einem Jahr, allerdings ist deren Gerät wiederaufladbar. Letzteres gilt auch für die Plastc-Karte, die jedoch alle 30 Tage wieder Strom braucht. Entscheidender ist indes, dass die technische Interoperabilität etwa zwischen dem EMV-Ansatz von Plastc und den üblichen Chipkarten und -Terminals gegeben ist. Unter Experten herrschen indes Zweifel, ob es hierfür überhaupt einen ausreichend großen Markt gibt. Key Pousttchi, Professor am Lehrstuhl für Wirtschaftsinformatik und Digitalisierung der Universität Potsdam, ist skeptisch: “All-in-one-Karten werden in Deutschland ein Nischenprodukt bleiben und auch keine besonders profitable Nische adressieren können.”Hinzu kommt, dass das Entgelt für Transaktionen vielfach nicht mehr als hinreichende Basis für ein Geschäftsmodell angesehen wird. Dementsprechend ambitioniert sind die Preise für All-in-one-Karten: Das Wocket Wallet soll 150 Dollar kosten, Coin liegt bei 100 Dollar, und Plastc will 155 Dollar verlangen. Immerhin versichert Plastc auf ihrer Webseite, dass beim Einsatz von deren Lösung keine Zusatzgebühren seitens der Bank anfallen. Plastc ist bereits Partnerschaften mit mehreren großen Kredithäusern eingegangen, darunter American Express, Bank of America, Chase, Citi und Wells Fargo. Und die Ambitionen reichen über die USA hinaus: Im vergangenen November wurde die Wortmarke Plastc EU-weit angemeldet.Die All-in-one-Karten weisen technologisch interessante Ansätze vor, die auch in anderen Szenarien zum Einsatz kommen könnten. So bietet Plastc etwa auf der Karte ein auf der elektronischen Tinte E-Ink basierendes Touchscreen-Display, auf dem die für den Bezahlvorgang relevanten Informationen dargestellt werden. Die integrierte NFC/RFID-Technologie soll es ermöglichen, dass sie auch als Zugangskarte eingesetzt werden kann. Und ist der Akku der Karte leer, wechselt sie automatisch auf die bei der Registrierung eingestellte Standardkarte und gewährleistet so, dass bis zum nächsten Aufladen weiter bezahlt werden kann. Im Fall eines Verlusts der Karte lässt sie sich aus der Ferne löschen. Zudem sind auf der Karte Foto, Name und Unterschrift des Inhabers abgebildet, und die zugehörige Mobil-App ermöglicht die Authentifizierung per Gesichtserkennung. BrückentechnologieSolche technologischen Merkmale sind auch für andere Bezahlverfahren und Nutzungsszenarien denkbar. Von daher können diese Weiterentwicklungen auch als Brücke hin zu beispielsweise tragbaren Minicomputern, sogenannten Wearables, angesehen werden.Den Karten selbst droht indes ein Nischendasein mit kurzer Lebensdauer, in manchen US-Internetforen fällt mitunter das Schlagwort “DOA – Dead on Arrival”, was so viel wie “bei Ankunft bereits tot” bedeutet. Ganz so drastisch sieht Mobile-Payment-Experte Pousttchi es nicht: “Mit All-in-one-Karten ist es wie mit dem Faxgerät: Sie sind nicht wirklich überzeugend, die Zeit ist eigentlich schon an ihnen vorbeigegangen, aber auch das Faxgerät ist uns seit 30 Jahren als pragmatische Alltagslösung für einige Anwendungsfälle erhalten geblieben.”