INVESTMENTFONDS - GASTBEITRAG

Eine Neuklassifizierung der Länderkriterien

Börsen-Zeitung, 15.7.2011 Bis vor kurzem brauchten Investoren ihr Geld nur breit in Emerging-Markets-Indizes zu investieren, um sich kurz darauf über ein sattes Kursplus zu freuen. Diese Zeiten, die Zeiten des Beta-Investments, sind vorbei. Es gibt...

Eine Neuklassifizierung der Länderkriterien

Bis vor kurzem brauchten Investoren ihr Geld nur breit in Emerging-Markets-Indizes zu investieren, um sich kurz darauf über ein sattes Kursplus zu freuen. Diese Zeiten, die Zeiten des Beta-Investments, sind vorbei. Es gibt jedoch Alternativen.Es lohnt sich immer mehr, bei der Portfoliokonstruktion auf der Sektoren- und Einzelwertebene anzusetzen, anstatt sich ein Land auszusuchen und dort die besten Unternehmen zu finden. So genügt es zum Beispiel nicht mehr, nach Brasilien zu gehen, dort ein Energieunternehmen zu analysieren und es mit einem brasilianischen Erdgaskonzern oder einer Bank zu vergleichen. Sinnvoller ist es, das wichtigste Energieunternehmen Brasiliens mit dem größten Energieunternehmen in Russland zu vergleichen. Anderes Beispiel: Wer in ein aussichtsreiches Halbleiterunternehmen aus Taiwan investiert, sollte vor allem prüfen, wie dessen Chancen auf dem Weltmarkt sind, wo es im Übrigen mit Intel konkurriert. Zweitrangig ist die Tatsache, dass Taiwan ein interessantes Schwellenland ist. Neue FragenAll dies heißt nun nicht, dass die Herkunft eines Unternehmens keine Rolle mehr spielen würde. Aber das Länderkriterium ist nur ein Faktor unter vielen, die die Wertentwicklung eines Unternehmens begünstigen oder hemmen.Wenn es darum geht, Länderchancen und -risiken für ein Investment zu bewerten, sollte man Abstand von den Kategorien entwickelte Märkte und Schwellenländer nehmen. Wenn wir bei Janus Unternehmen analysieren, fragen wir: “Wie schafft das Unternehmen einen langfristigen wirtschaftlichen Wert?” Analog fragen wir, wenn wir den makroökonomischen Hintergrund eines Landes untersuchen: “Was trägt das Land dazu bei, Wert für die Aktionäre zu schaffen?”Dabei ist es zweckmäßig, Länder nach einheitlichen Makroparametern zu analysieren. Als Investor setzen wir den gängigen Etiketten – BRICS, Next 11, Emerging Markets, entwickelte Märkte – eine Klassifizierung entgegen, die im Wesentlichen auf den Kriterien Verschuldung und strukturelles Wachstum sowie einigen weiteren Makroindikatoren beruht. Im ParadiesDie erste Gruppe überschreiben wir verheißungsvoll mit “Paradies”. Es handelt sich dabei um jene Länder, die niedrige Schulden und ein hohes Wachstum aufweisen. In diese Kategorie fallen China, Hongkong, Malaysia, Taiwan und Singapur ebenso wie Norwegen. Typisch für diese Staaten sind Außenhandelsüberschüsse, relativ ausgeglichene Staatshaushalte, effiziente Maßnahmen zur Inflationsbekämpfung, niedrige Steuern und niedrige Kreditkosten. Neben den genannten Ländern gehören im Prinzip auch Brasilien, Chile, Kuwait, Russland, Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate zu dieser Gruppe. Da die Wirtschaft dieser Länder aber stark vom Rohstoffzyklus abhängt, dürfen sie nur ins Paradies, wenn die Rohstoffpreise auf hohem Niveau sind. Ansonsten gehören sie ins “House of Pain”, das wir unten erklären. Länder mit Joker-KarteBei Ländern mit hohen Schulden und hohem Wachstum kommt die Karte “Sie kommen aus dem Gefängnis frei” aus dem Brettspiel Monopoly in den Sinn. Es handelt sich dabei um eine Art Joker, den der Spieler einsetzen kann, wenn er im Spielverlauf einmal hinter Gitter muss. Wir nennen sie “Sehen Sie zu, dass Sie aus dem Gefängnis kommen” und vergeben sie an jene Länder, die eigentlich gutes Wachstum vorweisen, aber im Schuldturm sitzen. Dies mit der Aufforderung, ihr Schuldenproblem zu lösen, um sich nicht bald in einer brenzligen Lage wiederzufinden.Zu dieser Gruppe gehört ein bunter Strauß aus entwickelten und aufstrebenden Ländern, viele davon aus dem Nahen Osten oder Nordafrika: zum Beispiel Israel, Jordanien, der Libanon oder Marokko. Aber es zählen auch Australien, Kanada, Indien, Indonesien, Neuseeland, Polen, Südafrika, Thailand, die Türkei und Vietnam dazu. Sie zeichnet in der Regel eine günstige demografische Entwicklung aus sowie eine wettbewerbsfähige Arbeitsgesellschaft. Umgekehrt haben die Regierungen aber auch Schulden zwischen 40 und 75 % des Bruttoinlandsprodukts (BIP), ein Haushaltsdefizit zwischen 4 und 75 % des BIP und es herrscht eine vergleichsweise hohe Inflation. Gleichzeitig haben diese Länder aber Maßnahmen ergriffen, um diese Probleme zu lösen. Wo liegt nun Deutschland? Zusammen mit Südkorea und Schweden liegt es zwischen Paradies und Joker-Zone. “House of Pain”Länder, die niedrige Schulden, aber auch niedriges Wachstum verzeichnen, sitzen im “House of Pain”. Diese Volkswirtschaften schmerzt, dass die Voraussetzungen für nachhaltiges Wachstum fehlen. Grund dafür ist meist eine allgemein schwache Wirtschaftsstruktur und eine ungünstige demografische Entwicklung. Während die Länder mit hohen Schulden durch beherzte Maßnahmen ihre Probleme lösen können, ist dies für Bewohner des House of Pain schwieriger. Zu dieser Gruppe gehören viele osteuropäische Länder: etwa Bulgarien, Tschechien, Estland, Litauen, Rumänien und Slowenien. Hier sind die Schulden niedrig, da viele Regierungen der EU beigetreten sind und dafür ihre Defizite radikal bekämpft haben. Viel GlückDen Ländern mit hohen Schulden und niedrigem Wachstum kann man nur “viel Glück” wünschen, denn diese Kombination ist ein Teufelskreis: Hohe Schulden bremsen das Wachstum, bei niedrigem Wachstum fehlen Steuereinnahmen für den Schuldendienst. Die Liste der Länder umfasst Zypern, Griechenland, Island, Irland, Japan, Lettland, Portugal, Spanien und die Ukraine. Typisch für diese Länder sind eine alternde Bevölkerung, ohnehin schon hohe Steuern und stetig wachsende Ausgaben für den öffentlichen Dienst.Argentinien, die GUS-Staaten, Venezuela, Ägypten, Frankreich, Großbritannien und die USA haben eigentlich ein attraktives Wirtschaftswachstum, laufen aber Gefahr, auch in der Viel-Glück-Gruppe zu landen. Sie sind in der Lage, durch Wachstum die Konjunktur zu beleben, müssen aber fiskalische Disziplin üben, um die sonst lähmenden Schulden abzubauen. In den vergangenen zehn Jahren war die Geldanlage in Emerging Markets eine leichte Übung, weil man in Länder oder Länderblöcke investieren konnte. Für die kommenden zehn Jahre ist ein komplexerer Bottom-up-Ansatz erforderlich.