ASSET MANAGEMENT - GASTBEITRAG

Emerging Markets - Heilmittel nach und vor der Krise

Börsen-Zeitung, 26.6.2012 Die Emerging Markets haben mit ihrer Wirtschaftsdynamik die entwickelten Industriestaaten eingeholt und teilweise sogar übertroffen. Dieser Trend wird sich dank des technischen Fortschritts, des weiteren Abbaus von...

Emerging Markets - Heilmittel nach und vor der Krise

Die Emerging Markets haben mit ihrer Wirtschaftsdynamik die entwickelten Industriestaaten eingeholt und teilweise sogar übertroffen. Dieser Trend wird sich dank des technischen Fortschritts, des weiteren Abbaus von Handelsschranken und des Rohstoffhungers der Industrieländer fortsetzen. Während Großbritannien, die USA, Japan und einige Länder aus der Eurozone mit der Verschuldungssituation kämpfen, findet in den Schwellenländern der wirtschaftliche Angleichungsprozess statt. Für Anleger kann es sich auszahlen, Schwellenländer-Anleihen stärker zu berücksichtigen.Verbesserte fundamentale Qualitäten sind nicht nur in den klassischen BRIC-Staaten zu beobachten: Viele weitere Staaten in Asien, Lateinamerika, dem Mittleren Osten, Afrika und Osteuropa erhalten die Einstufung Investment Grade. In den vergangenen Jahren haben sich die Rendite-Risiko-Charakteristiken der Emerging Markets als Assetklasse drastisch verbessert. Investitionen in Aktien, Anleihen und Währungen sind aufgrund des höheren Renditepotenzials nicht nur absolut gesehen interessant, sondern auch im Vergleich zum entsprechenden Ertragsausblick der reifen Märkte der Industrienationen.Aufgrund der glanzlosen Performance in den Industrienationen richten Anleger ihren Blick stärker in die Emerging Markets. Attraktive Schwellenländer finden sich in allen Regionen der Welt. Es ist wichtig, über die klassischen BRIC-Länder (Brasilien, Russland, Indien und China) hinauszudenken. Eine professionelle Analyse aller Schwellenländer erweitert das Anlageuniversum und die Diversifikationsmöglichkeiten. Durch ein aktives Portfolio- und Risikomanagement können so die risikoadjustierten Renditen deutlich erhöht werden. Fest ins PortfolioAnleihen aus den Emerging Markets haben sich zu einer eigenen Assetklasse etabliert. Es handelt sich dabei nicht nur um eine taktische Wette in guten Börsenzeiten, um sich höheres Beta ins Portfolio zu kaufen. Allein die fundamentale Seite ist Grund, auch in schlechten Börsenphasen die Schwellenländer zu einem festen Bestandteil im Portfolio werden zu lassen. Das Verhältnis von Schulden zum Bruttoinlandsprodukt ist über alle Schwellenländer gesehen halb so hoch wie bei den Industrienationen.Vor einigen Jahren waren die Emerging Markets noch Auslöser für Krisen aufgrund ihrer wirtschaftlichen und politischen Instabilität. Die Abhängigkeit von ausländischen Geldgebern machte es unmöglich, gegen Krisen anzukämpfen. Das ist nun anders: Während der Finanzkrise konnten die Emerging Markets sich aus eigener Kraft gegen die konjunkturelle Talfahrt stemmen und sogar eigene Konjunkturpakete auflegen. Solide Staatsfinanzen, eine Liberalisierung der Wirtschaft, Rohstoffreichtum sowie eine wachsende Mittelschicht schaffen die Basis, um auch in einer erneuten Krise nachhaltig weiter zu wachsen und Wohlstand für die Bevölkerung zu schaffen. Mit einem wachsenden Pro-Kopf-Einkommen und einer wachsenden Mittelschicht besteht die Möglichkeit, über den Grundbedarf hinaus zu konsumieren und so die Weltwirtschaft weiter anzutreiben.Dabei ist die demografische Struktur besonders vorteilhaft: Die Bevölkerung ist im Schnitt jünger als in den westlichen Industrienationen und ihr Konsumhunger ist groß. Historisch betrachtet verfügen Brasilien, Indonesien, Russland und die Türkei über besondere Vorteile am Arbeitsmarkt. Dies schützt vor einem Wachstumsrückgang beim Bruttoinlandsprodukt. Aber auch in vielen anderen Emerging Markets in Asien, Lateinamerika und Osteuropa sind deutliche Verbesserungen auf der Lohnseite und am Arbeitsmarkt festzustellen. Dies führt zu einer steigenden Binnennachfrage und zu einem robusten Wirtschaftswachstum. Willkommene AbkühlungAuch nach vier Jahren sind die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise an den Kapitalmärkten ersichtlich. Die Risikobereitschaft der Anleger ist nach wie vor stark schwankend, und die Rohstoffpreise sind hoch. Mögliche Risikofaktoren für eine wirtschaftliche Eintrübung in den Emerging Markets sind Preissteigerungen, die Zuspitzung der Verschuldungskrise in der Eurozone sowie eine Verlangsamung der Weltkonjunktur. Dabei ist aus makroökonomischer Sicht eine Verlangsamung des globalen Wirtschaftswachstums fast willkommen, da die Dynamik der Schwellenländer etwas gebremst wird. So wird eine mögliche Überhitzung vermieden.In vielen Emerging Markets haben die Zentralbanken begonnen, ihre Leitzinsen zu senken, um so einer möglichen Verlangsamung des Wirtschaftswachstums entgegenzuwirken. Anders als in den westlichen Industrienationen sind weitere Zinssenkungen aufgrund des hohen Zinsniveaus problemlos möglich. Die Teuerungsraten hingegen liegen aufgrund der schnellen wirtschaftlichen Expansion in den Schwellenländern allgemein auf einem hohen Niveau. In der Vergangenheit haben die Notenbanken in einigen Emerging Markets ihre Geldpolitik gestrafft und diese Maßnahmen zeigen erste Wirkung: Die Inflation ist rückläufig. Dennoch werden hohe Preise für Rohstoffe, Energie und Nahrungsmittel die Inflation weiter antreiben. Dabei sind die Spielräume der Zentralbanken begrenzt, so dass eine deutliche Reduktion der Preise mittelfristig nicht zu erwarten ist. Dem Schicksal hingebenEinige Schwellenländer wie etwa Brasilien und die Türkei geben sich bewusst dem Schicksal höherer Verbraucherpreise hin und schlagen nicht den Weg einer konventionellen Geldpolitik ein. Das heißt, die aktuellen Verbraucherpreise liegen regelmäßig über dem eigentlichen Preisstabilitätsziel. In der Türkei wird dies besonders deutlich: Während das Inflationsziel 5 % beträgt, liegt die tatsächliche Preissteigerung bei über 11 %. Brasilien setzt mit den Leitzinssenkungen ein klares Signal: Obwohl die Wirtschaft boomt, hat die Notenbank ihre Leitzinsen deutlich erneut gesenkt. In Indien, Rumänien und Ungarn ist mit weiteren Leitzinssenkungen zu rechen. In Mexiko, in der Türkei und in Südafrika hingegen werden die Notenbanken ihre Zinspolitik bis Ende 2013 nahezu unverändert lassen.Investoren erhalten einen Risikozuschlag, den Spread (Zinsdifferenz in Basispunkten), für das Halten von Emerging-Markets-Anleihen. Theoretisch müsste der Spread den Anleger genau für sein zusätzliches Risiko entschädigen. Je nach Einschätzung der Investoren weisen die Anleihen unterschiedlicher Emerging Markets individuelle Spreads auf, die im Verlauf der Zeit erheblich variieren können. Gerade die starken Schwankungen der Spreads im Zeitablauf zeigen, dass die Renditeaufschläge nicht allein auf das Länderrisiko (und damit auf fundamentale Faktoren) zurückzuführen sind – folglich spielen bei der Vergütung des Risikos auch andere Faktoren eine große Rolle wie Marktliquidität und Risikobereitschaft der Anleger. Defensive StrategieDie anhaltenden Unsicherheiten an den Kapitalmärkten erfordern eine defensive Strategie. Unter Risiko-Rendite-Gesichtpunkten sind High-Beta-Länder wie Venezuela, Argentinien und Ukraine derzeit am attraktivsten. Im Durchschnitt sind die Risikoprämien in den vergangenen Monaten weiter zurückgegangen. Jedoch treffen die Turbulenzen an den Kapitalmärkten auch die Emerging Markets. Diese sind nach wie vor schwankungsanfälliger als westliche Industrienationen. Bestimmte Anleihenmärkte der Schwellenländer können sich trotz Euro-Krise und Verlangsamung der Weltkonjunktur relativ robust behaupten. Hierzu gehören zum Beispiel die US-Dollar-Staatsanleihen aus Mexiko oder die lokalen Währungsanleihen aus Kolumbien.Stürzen die Kurse an den Weltbörsen, leiden auch die Emerging Markets. Daher kann ein Investment in Emerging Markets nicht als sicherer Hafen eingestuft werden. Dennoch hat sich das Profil vieler Schwellenländer stark gewandelt. Der fundamentale Ausblick sowie die richtige Einschätzung des Risikos sind bei der Investmentauswahl von zentraler Bedeutung. Eine breite Asset-Allokation über verschiedene Länder und Regionen sowie ein aktives Risikomanagement sind notwendig, um von dem wirtschaftlichen Konvergenzprozess der Schwellenländer zu profitieren. Zudem tragen Staatsanleihen aus Industrieländern neben dem Zinsrisiko inzwischen auch ein erhöhtes Kreditrisiko. Konvergenzprämie locktSo empfiehlt es sich, etwaige große Engagements in Staatsanleihen von Industrieländern mittels Diversifizierung zu verringern. Währungsanleihen und US-Dollar-Staatsanleihen aus den Schwellenländern verfügen über einen enormen Zinsvorsprung gegenüber Industrieanleihen, die in Euro oder US-Dollar lauten. Darüber hinaus bieten sie die Chance auf Währungsgewinne und locken mit einer Konvergenzprämie. Insofern ist es bei Schwellenländer-Anleihen besonders wichtig, die länderspezifischen Chancen und Risiken jederzeit im Auge zu behalten.