Recht und Kapitalmarkt

Emittenten-Leitfaden bietet Orientierung für die Praxis

Keine Aufweichung des Anlegerschutzes - Flexibilität der BaFin positiv für internationalen Kapitalmarkt-Wettbewerb

Emittenten-Leitfaden bietet Orientierung für die Praxis

Von Markus Pfüller *)Der von der BaFin Ende 2004 zunächst als Entwurf herausgegebene Emittentenleitfaden wurde jetzt in seiner Endfassung veröffentlicht. Börsennotierte Unternehmen, Verbände und andere Betroffene haben in den vergangenen Monaten die Möglichkeit zur Kritik am Entwurf genutzt und Stellungnahmen eingereicht. Das Ergebnis ist beachtlich. Die neue Fassung des Leitfadens weicht in wesentlichen Punkten vom ersten Entwurf ab. Dabei kann von einer Aufweichung des Anlegerschutzes nicht die Rede sein. Vielmehr stand die praktische Umsetzbarkeit der Vorgaben der BaFin auf dem Prüfstand. Dem Zweck des Leitfadens, praktische Lösungen aufzuzeigen und wichtige Orientierung bei der Anwendung und Auslegung unbestimmter Rechtsbegriffe zu bieten, kommen die Änderungen ein gutes Stück näher. Der Leitfaden richtet sich an notierte Emittenten und gibt die Rechtsauffassung der BaFin zu wesentlichen Themen des Wertpapierhandelsgesetztes (WpHG) nach den Änderungen durch das Anlegerschutzverbesserungsgesetz wieder. Dazu gehören u. a. Insiderrecht, Ad-hoc-Publizität und die Pflicht zur Führung von Insider-Verzeichnissen. Mehrfach relevantDer Leitfaden behandelt zunächst den Begriff des Insiderpapiers. Dieser durchzieht das WpHG und ist mehrfach relevant: Das Verbot von Insidergeschäften, die Veröffentlichungs- und Mitteilungspflicht von Insiderinformationen, die Führung von Insiderverzeichnissen und schließlich Schadenersatzansprüche sowie Straf- und Bußgeldvorschriften hängen von ihm ab.Nach dem WpHG gehören zu den Insiderpapieren insbesondere auch Derivate. Der Entwurf des Leitfadens ordnete in diesem Zusammenhang die in der Praxis bedeutsamen virtuellen Vergütungsinstrumente, wie z. B. Stock Appreciation Rights, als Derivate ein. SARs werden als variable Vergütung von Führungskräften eingesetzt, gewähren aber im Gegensatz zu Aktienoptionen nicht das Recht zum Aktienbezug. Es wird lediglich die errechnete Differenz zwischen Ausübungs- und Marktpreis ausgezahlt. Damit entfalten SARs keine Außenwirkung im Markt der Wertpapiere, auf die sie Bezug nehmen. Einen eigenen Markt für SARs gibt es mangels Übertragbarkeit nicht. Es erschien daher sinnlos, sie den WpHG-Pflichten zu unterwerfen. Die neue Fassung nimmt deshalb zu Recht Abstand von dieser Einordnung und stellt klar, dass SARs, wie Phantom Stocks oder andere Wertsteigerungsrechte, nicht zu Insiderpapieren zu rechnen sind. AktienoptionenDemgegenüber fallen “klassische” Aktienoptionen weiterhin unter den Begriff des Insiderpapiers. Dies hat Bedeutung für die Meldepflicht von Führungspersonen gemäß § 15a WpHG. Auch hier stellt der Leitfaden klar, dass der Erwerb oder die Gewährung von Optionen oder anderen Derivaten auf arbeitsvertraglicher Grundlage oder als Vergütungsbestandteil noch nicht der Mitteilungspflicht unterliegen sollen, da hier meist außerbörsliche, langfristige Vereinbarungen zugrunde liegen. Mitteilungspflichtig bleibt die Veräußerung der bei Aktienoptionsplänen erworbenen Finanzinstrumente.Unglücklich ist allerdings die Einordnung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen. Zwar handelt es sich um kein verbotenes Insidergeschäft, wenn einem Mitarbeiter nach Ablauf des Programms Aktien oder Optionen ins Depot gebucht werden, unabhängig davon, ob er zu diesem Zeitpunkt Insiderinformationen besitzt. Für den Zeitpunkt der Entscheidung über die Teilnahme an einem Programm soll die Beurteilung jedoch anders ausfallen. Verfügt ein Mitarbeiter zu diesem Zeitpunkt über Insiderinformationen und sind diese zumindest Teil seiner Motivation, am Programm teilzunehmen, soll das Verbot von Insidergeschäften greifen. Da sich ein mitursächlicher Zusammenhang jedoch nur schwer ausschließen lässt, führt diese Sichtweise im Ergebnis dazu, dass bestimmte Mitarbeitergruppen, die im Besitz von Insiderinformationen sind, nicht an den Programmen teilnehmen können. Eine solche Ausschlusswirkung kann nicht Absicht des Gesetzgebers sein. Deshalb ist zu überlegen, ob es zumindest bei Programmen, die langfristig angelegt sind, auf die Insiderkenntnis zum Zeitpunkt der Teilnahme nicht ankommt. In solchen Fällen dürfte auszuschließen sein, dass das Insiderwissen ein Teil der Motivation ist.Zu den in der Praxis wichtigen Themen zählt die Pflicht zur Ad-hoc-Publizität. Danach sind Insiderinformationen, die einen Emittenten unmittelbar betreffen, von diesem unverzüglich zu veröffentlichen. Insbesondere die Pflicht zur Ad-hoc-Veröffentlichung von Geschäftsergebnissen hat nach der Veröffentlichung des Entwurfs des Leitfadens zu erheblicher Verunsicherung in der Praxis geführt. Hier war eine zunehmende Vorverlegung des Veröffentlichungszeitpunkts zu beobachten. Hintergrund war eine Formulierung, wonach Geschäftsergebnisse ggf. bereits vor dem Zeitpunkt der Aufstellung des Jahresabschlusses durch den Vorstand zu veröffentlichen seien. Ein weiteres Zuwarten bis zur Zustimmung des Aufsichtsrats sollte regelmäßig nicht in Betracht kommen. Diese mangelnde Berücksichtigung der Organzuständigkeiten von Vorstand und Aufsichtsrat im Zusammenhang mit der Aufstellung von Geschäftsabschlüssen wird durch die Endfassung des Leitfadens korrigiert. Der Leitfaden stellt klar, dass im Rahmen der Ad-hoc-Publizität lediglich solche Informationen ad hoc zu veröffentlichen sind, denen ein erhebliches Preisbeeinflussungspotenzial zukommt, also nicht etwa der gesamte Jahresabschluss. Im Hinblick auf das Selbstbefreiungsrecht des Emittenten stellt die neue Fassung des Leitfadens klar, dass bei mehrstufigen Entscheidungen, also etwa Vorstandsentscheidungen, die eine Zustimmung des Aufsichtsrates erfordern (und hierzu gehört die Feststellung des Jahresabschlusses), eine Selbstbefreiung von der Ad-hoc-Publizitätspflicht bis zum Aufsichtsratsbeschluss zulässig ist. Insider-VerzeichnisseEmittenten oder für ihre Rechnung handelnde Personen sind verpflichtet, Insiderverzeichnisse über Personen zu führen, die für sie tätig sind und bestimmungsgemäß Zugang zu Insiderinformationen haben. Der Entwurf des Leitfadens ergänzte hierzu, dass Geschäftsführer von Tochtergesellschaften, die einen direkten Arbeitsvertrag mit dem Emittenten haben, allein aufgrund dieses Umstands in das Insiderverzeichnis aufzunehmen sind. Das erschien für in Deutschland tätige Großunternehmen mit Tochterunternehmen im In- und Ausland unangemessen. Hier erlangen regelmäßig nur Geschäftsführer von Tochterunternehmen einer bestimmten Größenordnung Insiderkenntnisse. Der Gefahr der Unübersichtlichkeit der Verzeichnisse begegnet der Leitfaden deshalb nun durch das Erfordernis, dass Geschäftsführer von Tochtergesellschaften bestimmungsgemäßen Zugang zu Insiderinformationen der börsennotierten Konzernmutter haben müssen. Anlass- und Regel-InsiderUnglücklich ist im Zusammenhang mit der Pflicht zur Anlage von Insiderverzeichnissen eine “Klarstellung” des Leitfadens, dass Verzeichnisse für Anlass-Insider schon zu einem Zeitpunkt angelegt werden müssen, zu dem die betroffene Tatsache noch nicht die Qualität einer Insiderinformation erlangt hat. Im Interesse der begrifflichen Einheitlichkeit wäre es vorzugswürdig gewesen, Anlass-Insider und damit die Pflicht zur Anlage entsprechender Verzeichnisse erst dann anzunehmen, wenn auch die Schwelle zur Insiderinformation überschritten ist. Für davor liegende Zeitpunkte sollte die Erfassung der Regel-Insider genügen. So bietet der Leitfaden nach den grundlegenden Änderungen des WpHG eine wichtige Orientierung für die Praxis – nicht weniger, aber auch nicht mehr. Praktische Erfahrungen mit der Umsetzung bleiben abzuwarten, und noch ist nicht absehbar, inwieweit der Leitfaden gerichtsfest ist. Es ist für die künftige Entwicklung des kapitalmarktrechtlichen Umfelds in Deutschland aber gar nicht positiv genug einzuschätzen, dass sich die BaFin gegenüber berechtigter Kritik der Marktteilnehmer offen gezeigt hat. Mit der ebenfalls klargestellten weiteren Anpassung des Leitfadens an künftige Entwicklungen und Bedürfnisse zeigt die BaFin die notwendige Flexibilität im internationalen Wettbewerb.*) Markus Pfüller ist Partner der Sozietät Clifford Chance.