RECHT UND KAPITALMARKT

Energiewende als legislativer Rundumschlag

Gesetzgebungspaket verändert hiesige Energielandschaft - Weitere Novellierungen sind bereits angekündigt

Energiewende als legislativer Rundumschlag

Von Christopher Bremme *)Das Bundeskabinett hat am 6. Juni ein umfangreiches Paket mit acht Gesetzen und Verordnungen beschlossen, das unter dem Eindruck der Ereignisse in Fukushima die Energieversorgung in Deutschland grundlegend umbauen soll. Bundestag und Bundesrat haben das Paket im Wesentlichen durchgewunken. Schwerpunkte sind der Ausstieg aus der Kernenergie, der zügige Ausbau der erneuerbaren Energien, beschleunigte Genehmigungsverfahren zum Ausbau der Energieinfrastruktur sowie die Energieeffizienz. Weitere Anpassungen des Energiewirtschaftsgesetzes (EnWG) dienen der Umsetzung des Dritten Energiebinnenmarktpakets der EU zur weiteren Marktöffnung. Frage der EntschädigungDer weitestreichende Schritt der Energiewende ist das 13. Gesetz zur Änderung des Atomgesetzes. Hiernach sollen alle deutschen Kernkraftwerke stufenweise bis Ende 2022 abgeschaltet werden. Die sieben ältesten Kraftwerke, die bereits während des sog. Moratoriums vom Netz genommen wurden, sowie das Kraftwerk Krümmel werden nicht wieder in Betrieb gehen.Zweifelhaft ist, ob die Stilllegung der Kraftwerke und der Entzug von Reststrommengen verfassungsrechtlich Bestand haben werden und ob den Betreibern nicht eine Entschädigung zusteht. Diese Klippe hofft die Bundesregierung zu umschiffen: Sie argumentiert, dass die übertragbaren Restlaufzeiten den Betreibern die Amortisation ihrer Investitionen sowie einen angemessenen Gewinn ermöglichen. Hieran sind Zweifel angebracht. Schützenhilfe könnte das Bundesverfassungsgericht geben – sollte es zu dem Schluss kommen, dass die Laufzeitverlängerung von 2010 wegen fehlender Zustimmung des Bundesrats unwirksam war. Dann hätten die Betreiber u. U. keine Vermögensposition verloren. Problematisch erscheint auch die Aufrechterhaltung der Kernbrennstoffsteuer trotz Atomausstiegs.Die entstehende Energielücke soll durch einen forcierten Ausbau der erneuerbaren Energien geschlossen werden, um bis 2020 einen Anteil erneuerbarer Energien von mindestens 35 % zu erreichen. Hierzu setzt die Bundesregierung insbesondere auf die Windenergie, deren Vergütung im Wesentlichen nun doch nicht geändert wird. Um die mitunter schwierige Finanzierung von Offshore-Windparks zu erleichtern, soll zudem ein kostenneutrales Stauchungsmodell eingeführt werden, nach dem eine höhere Anfangsvergütung gewählt werden kann, die dann jedoch bereits nach acht statt bisher zwölf Jahren auf die niedrigere Grundvergütung abgesenkt wird.Änderungen der Seeanlagenverordnung sollen den Genehmigungsprozess beschleunigen und verhindern, dass sich Investoren begehrte Standorte reservieren, ohne das Projekt dann umzusetzen. Bis 2030 will die Regierung die Kapazität der Offshore-Windanlagen auf 25 000 Megawatt erhöhen (zum Vergleich: Die Gesamtkapazität der 17 deutschen Kernkraftwerke beträgt rund 20 500 Megawatt).Die hohen Vergütungen für Solarenergie bleiben weitestgehend unangetastet. Lediglich über das bereits vorhandene Instrument des “atmenden Deckels”, d. h. eine vom Zubau abhängige Vergütungsdegression, könnte es zu einer Senkung der Vergütung über die bestehenden Degressionssätze hinaus kommen. Neu strukturiert wird die Vergütung für Strom aus Biomasse. Es bleibt abzuwarten, wie sich dies auf die Finanzierbarkeit von Biomasseanlagen auswirkt.Eine wichtige Neuerung stellt die Einführung einer optionalen Marktprämie neben der garantierten Festvergütung dar, die die Anlagenbetreiber an ein marktorientiertes Einspeiseverhalten heranführen soll. Sie ist ein kleiner, aber wichtiger Schritt zur besseren Systemintegration der erneuerbaren Energien. Hierauf zielen auch Änderungen am sog. Grünstromprivileg ab, wonach Energielieferanten von der Zahlung der EEG-Umlage befreit werden können: Zusätzlich zu dem bisherigen Erfordernis eines Anteils von 50 % Grünstrom am Stromportfolio muss für eine Befreiung nun eine Teil-menge von 20 % aus den fluktuierenden Erzeugungsquellen Strom und Wind stammen. Durch die Energiewende ist der Ausbau der Stromnetze dringlicher denn je: Neue Regelungen im EnWG sowie das neue Netzausbaubeschleunigungsgesetz Übertragungsnetz (NABEG) sollen dafür sorgen, dass die derzeit fehlenden ca. 3 600 km Stromleitungen schnellstmöglich realisiert werden können. Zu diesem Zweck soll auf Basis jährlicher, durch die Betreiber aufzustellender Netzentwicklungspläne ein Bundesbedarfsplan für Stromleitungen erstellt werden.Dieser setzt die energiewirtschaftliche Notwendigkeit und den vordringlichen Bedarf der Vorhaben verbindlich fest, sodass diese im anschließenden Planfeststellungs- und Plangenehmigungsverfahren nicht mehr in Frage gestellt werden können. Letztere sollen künftig statt auf Landes- auf Bundesebene stattfinden und bei der Bundesnetzagentur gebündelt werden. Hierdurch erhofft sich der Gesetzgeber, das Genehmigungsverfahren maßgeblich zu beschleunigen. Ob sich dies – auch mit Blick auf die Klagebefugnis, die der EuGH Naturschutzverbänden zuerkannt hat – bewahrheiten wird, bleibt abzuwarten. Es ist geplant, für konkrete Höchstspannungsleitungen eine erst- und letztinstanzliche Zuständigkeit des Bundesverwaltungsgerichts zu schaffen.Die Einführung einer eigentumsrechtlichen Entflechtung von Übertragungs- bzw. Fernleitungsnetzbetreibern von Erzeugern und Vertrieb ist eine der grundlegenden Neuerungen des EnWG. Alle drei im dritten EU-Energiebinnenmarktpaket vorgesehenen Entflechtungsmodelle wurden in nationales Recht umgesetzt, sodass sog. vertikal integrierte Energieversorgungsunternehmen, die Energie erzeugen und verteilen, nicht von vornherein gezwungen werden, ihr Transportnetz zu verkaufen. Stattdessen können sie dessen Betrieb – ohne Möglichkeit der weiteren Einflussnahme – auf einen sog. Independent System Operator (ISO) übertragen. Nicht zuletzt wegen der Pflicht, diesen umfassend von jeder Haftung freizustellen, werden sie eher für das Modell des sog. Independent Transmission Operator (ITO) optieren. Hier bleibt der Transportnetzbetreiber Teil des vertikal integrierten Unternehmens – es sind jedoch strenge, über die derzeitigen Anforderungen wesentlich hinausgehende Vorgaben zur finanziellen, technischen, physischen und personellen Entflechtung einzuhalten.Die ITO- oder ISO-Lösung steht jedoch nur für solche Netze offen, die am 9. September 2009 Teil eines vertikal integrierten Unternehmens waren. Es ist damit sehr fraglich, ob ein neues, über die vorhandenen Trassen der Deutschen Bahn führendes Stromnetz (“Overlay-Netz”), das derzeit viel diskutiert wird, im Eigentum eines vertikal integrierten Energieunternehmens stehen könnte. Das würde den Kreis potenzieller Investoren erheblich einschränken. FehlerbeseitigungDas EnWG enthält auch Neuregelungen zu intelligenten Stromzählern (Smart Meters), die dem Verbraucher das Verbrauchsverhalten verdeutlichen und seine Anpassung ermöglichen sollen. Einbau- und Nachrüstpflichten sind lediglich als Grundkonzept vorgesehen, deren Konkretisierung anschließend z. B. in Rechtsverordnungen oder Festlegungen der Bundesnetzagentur erfolgen muss. Smart Meters sind nicht der einzige Bereich, in dem weitere Gesetzgebungstätigkeit zu erwarten ist. In ihrem Eckpunktepapier zur Steigerung der Energieeffizienz kündigt die Bundesregierung u. a. Maßnahmen an, um den Primärenergieverbrauch zu senken. Hinzu kommt, dass die Eile, mit der das Energiewende-Paket durch die Gremien getrieben wird, beinahe zwangsläufig zu handwerklichen Fehlern führen wird, die dann nachträglich behoben werden müssen. Bereits jetzt schon ist das erste Änderungsgesetz in Arbeit. Auch nach der Sommerpause wird die Energiewende dem Gesetzgeber deshalb reichlich Arbeit bescheren.—-*) Christopher Bremme ist Partner bei Linklaters LLP in Berlin.