Recht und Kapitalmarkt

Erwerb eigener Aktien - ein Auslaufmodell?

Anlegerschutzverbesserungsgesetz erschwert Rückkäufe erheblich - Erweiterte Marktmanipulations- und Insiderregeln problematisch

Erwerb eigener Aktien - ein Auslaufmodell?

Von Andreas Wiedemann und Rainer Kögel *)Am 30. Oktober 2004 ist das sog. Anlegerschutzverbesserungsgesetz in Kraft getreten. Darin setzt der Gesetzgeber die Vorgaben der EU-Marktmissbrauchsrichtlinie um. Das Anlegerschutzverbesserungsgesetz hat insbesondere Änderungen des Wertpapierhandelsgesetzes (WpHG) in den Bereichen Insiderrecht und Kursmanipulation nach sich gezogen. Die neuen Regelungen sind mit einer Vielzahl unbestimmter Rechtsbegriffe “gespickt”. Sie führen börsennotierte Gesellschaften und ihre Berater in große Schwierigkeiten bei der praktischen Handhabung. Die vom Bundesfinanzministerium geplanten konkretisierenden Rechtsverordnungen liegen zum Teil erst im Entwurf vor. Dies gilt auch für den Leitfaden der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) zum WpHG, der die praktische Handhabung der neuen Vorschriften erleichtern soll. Besondere Schwierigkeiten bereiten die Vorschriften zum Erwerb eigener Aktien. Der Gesetzgeber gestattet bekanntlich Ermächtigungsbeschlüsse der Hauptversammlung an den Vorstand, eigene Aktien bis maximal 10 % des Grundkapitals zu erwerben. Der Zweck des Erwerbs ist durch das Gesetz nicht vorgegeben, lediglich der Handel in eigenen Aktien ist verboten. Verbreitete PraxisIn der Praxis lassen sich viele börsennotierte Gesellschaften heute ermächtigen, erworbene Aktien einzuziehen oder Mitarbeiterbeteiligungsprogramme zu bedienen. Häufig werden eigene Aktien aber auch als Akquisitionswährung für den Erwerb von Beteiligungen eingesetzt oder an Dritte, insbesondere institutionelle Anleger, verkauft. Das Bezugsrecht der Aktionäre kann hier regelmäßig ausgeschlossen werden, solange der Wiederverkauf zum aktuellen Börsenkurs erfolgt. Die kapitalmarktrechtliche Zulässigkeit gerade der beiden letztgenannten Erwerbszwecke ist nunmehr höchst fraglich geworden.Das gilt zunächst im Hinblick auf den Straftatbestand des Insiderhandels. Bislang war es verboten, unter Ausnutzung der Kenntnis von einer Insidertatsache mit Insiderpapieren zu handeln. Jetzt greift das Verbot bereits bei einem Handel “unter Verwendung” einer Insiderinformation ein. Danach reicht es schon, wenn der Abschluss des Geschäfts durch die Erlangung der Insiderinformationen nur mitverursacht war, also mehrere Motive für den Geschäftsabschluss bestanden. Der Zweck des Handels, z. B. die Erlangung eines wirtschaftlichen Vorteils, findet nur noch bei der Strafzumessung Berücksichtigung. Strikte HandelsbedingungenEine börsennotierte Gesellschaft wird in dem Zeitpunkt, in dem sie eigene Aktien zurückkauft, fast immer über insiderrelevante Kenntnisse verfügen, deren Veröffentlichung zulässigerweise aufgeschoben wurde. Der Gesetzgeber hat diese Problematik offenbar erkannt, sah sich aber durch die Vorgaben der EU gehindert, diese angemessen zu lösen. Das Gesetz sieht explizit vor, dass Rückkaufprogramme und Maßnahmen zur Kursstabilisierung in engen Grenzen zulässig sind. Jedoch sind die Anforderungen der EU-Verordnung (VO EG Nr. 2273/2003), die sog. “safe-harbour”-Regelungen, in der Praxis nur selten erfüllbar: So muss der Rückkauf eigener Aktien zum Zweck einer Kapitalherabsetzung, der Bedienung von Wandel- oder Optionsschuldverschreibungen oder der Bedienung von Mitarbeiterbeteiligungsprogrammen erfolgen, um in den sicheren Hafen der EU-Verordnung zu gelangen. Hinzu kommen strikte Handelsbedingungen bezüglich Volumen und Kaufpreis sowie rigide Publizitätsvorschriften. Gerade börsennotierte Familienunternehmen, die über einen geringen Free Float und kleine Handelsvolumina in ihren Aktien verfügen, können diese Handelsbedingungen in der Regel nicht erfüllen. Für Rückkaufprogramme, die einem anderen Zweck dienen, z. B. dem Einsatz der Aktien als Akquisitionswährung, gelten die Befreiungsvorschriften ohnehin nicht. Im Ergebnis ist der Erwerb eigener Aktien zwar nicht per se verboten, der Vorstand darf die Titel aber nur erwerben, wenn er nicht unter Verwendung einer Insiderinformation handelt. Allgemeine Kursstabilisierungsmaßnahmen – wie sie insbesondere börsennotierte Familienunternehmen mit geringer Marktkapitalisierung in den vergangenen Jahren regelmäßig durchgeführt haben – werden damit für die handelnden Organe brandgefährlich. Die BaFin hat anlässlich verschiedener Anfragen bestätigt, dass der Erwerb eigener Aktien für die Fälle, in denen kein “safe harbour” besteht, “besonders sensibel” zu handhaben ist. Maßnahmen zum Schutz des Vorstands sind nur eingeschränkt möglich. So könnte der Erwerb eigener Aktien zukünftig nur innerhalb zuvor angekündigter “trading windows” durchgeführt werden, die sich beispielsweise an die Veröffentlichung der Quartals- oder Halbjahreszahlen anschließen. Auf diese Weise könnte erreicht werden, dass der Erwerb nur in einem Zeitraum erfolgt, in dem das Informationsniveau zwischen Vorstand und Kapitalmarkt weitgehend angeglichen ist. Die Erteilung einer bindenden Order an ein Kreditinstitut könnte daneben verhindern, dass Insiderinformationen, die nach Erteilung der Order eintreten, zu einem unerlaubten Insiderhandel führen. Dieser Weg wird durch die BaFin in dem vorgenannten Leitfadenentwurf als einzige Maßnahme zum Schutz des Vorstands aufgezeigt.Damit jedoch nicht genug: Ein zweites Minenfeld enthalten die neugefassten Vorschriften zum Verbot der Marktmanipulation. Es ist nun bereits untersagt, Kauf- oder Verkaufsaufträge zu erteilen, die geeignet sind, irreführende Signale für den Börsenpreis von Aktien zu geben, oder die zu einem künstlichen Preisniveau führen. Zwar bestehen auch hier die “safe-harbour”-Regelungen des EU-Rechts, aufgrund ihrer eng gefassten Voraussetzungen dürften diese aber auch in der Frage der Marktmanipulation wenig Praxisrelevanz haben. Nach dem Entwurf des Bundesfinanzministeriums zur konkretisierenden Rechtsverordnung ist von einem künstlichen Preisniveau u. a. bereits dann auszugehen, wenn Kauf- oder Verkaufsaufträge einen bedeutenden Teil des täglichen Handelsvolumens der Aktie ausmachen. Gerade beim Erwerb eigener Aktien mit geringer Liquidität wird häufig zumindest der objektive Tatbestand der Marktmanipulation verwirklicht sein. Ein Erwerb eigener Aktien ist nur dann zulässig, wenn es hierfür legitime Gründe gibt und der Erwerb mit einer zulässigen Marktpraxis vereinbar ist. Die BaFin hat bisher die Möglichkeit, hier eine “allgemeine nicht wahrgenommene Marktpraxis” zu definieren. Dies wird wohl erst geschehen, wenn die entsprechende Rechtsverordnung in Kraft getreten ist. Bis dahin tappt die Praxis im Dunkeln. Leider gibt die BaFin auch in dem vorgelegten Leitfadenentwurf keine aufklärenden Hinweise zu dieser Problematik. Die Organe börsennotierter Familienunternehmen werden deshalb beim Erwerb eigener Aktien noch eine Weile mit dem Damoklesschwert der Ordnungswidrigkeit oder sogar Straftat Marktmanipulation leben müssen. Im Ergebnis wurde durch die Änderungen der Vorschriften über Insiderhandel und Marktmanipulation der Erwerb eigener Aktien durch börsennotierte Gesellschaften erheblich erschwert. Das Bundesfinanzministerium und die BaFin müssen hier dringend die von der Praxis benötigten Anwendungsvorschriften erlassen. Gegenwärtig kann betroffenen Gesellschaften nur höchste Zurückhaltung beim Erwerb eigener Aktien empfohlen werden. Übers Ziel hinausAber auch die Anwendungsvorschriften werden kaum etwas daran ändern, dass der Erwerb eigener Aktien in Zukunft erheblich an Attraktivität verlieren wird. Zu befürchten ist, dass ein übereifriger EU-Gesetzgeber in seinem Bemühen, mehr Schutz für Anleger zu schaffen, einmal mehr deutlich über das Ziel hinausgeschossen ist und gerade börsennotierten Familienunternehmen ein wichtiges, weil flexibles Finanzierungsinstrument aus der Hand geschlagen hat. Es bleibt allenfalls zu hoffen, dass sich in Abstimmung mit der BaFin möglichst bald eine praktikable Marktpraxis herausbilden wird.*) Dr. Andreas Wiedemann und Dr. Rainer Kögel sind Rechtsanwälte und Partner der Sozietät Hennerkes, Kirchdörfer & Lorz in Stuttgart.