„ETF-Boom hilft großen Assetmanagern“
Herr Moeller, welche Folgen hat der ETF-Boom für börsennotierte Assetmanager?
Das überproportionale Wachstum der ETFs erzeugt Druck auf die Bruttomargen der Assetmanager – sowohl durch den veränderten Produktmix als auch durch den Preisdruck im aktiven Management. Im Gegensatz zum aktiven Geschäft, in dem die Zuflüsse performanceabhängig sind und oft zyklisch verlaufen, ist das passive Geschäft durch Volumen und Zugang zu Vertriebskanälen getrieben. Der ETF-Boom hilft also vor allem großen Assetmanagern, die über attraktive Benchmarks verfügen und den Bruttomargendruck durch Skaleneffekte wettmachen. Einige Nischenprodukte wurden hingegen wegen zu geringen Volumens wieder geschlossen.
Was bedeutet dies für die Aktien der Fondsbranche, insbesondere im Vergleich mit anderen Finanzwerten?
Insgesamt haben sich Aktien von Assetmanagern in den vergangenen Jahren wegen des stärkeren Wachstums und höherer Wertschöpfung weltweit deutlich besser als Bank- und auch Versicherungsaktien entwickelt. Führend sind dabei der größte Assetmanager der Welt BlackRock, der sowohl passive als auch aktive Produkte anbietet, und einige auf das Assetmanagement von Private Equity spezialisierte Häuser. Nicht zu vergessen ist die starke Performance der Benchmark-Anbieter S&P und MSCI, die von den passiven ETFs Gebühren für die Nutzung der Benchmark-Familien erhalten.
Einige Assetmanager sehen indes keinen Sinn mehr darin, ETFs auf Benchmark-Indizes anzubieten, sondern wollen sich durch Smart-Beta-Produkte von der Konkurrenz abheben.
Aktive Faktor-ETFs und Smart-Beta-Produkte konnten nicht mit Performance überzeugen und sind eher ein Nischenprodukt. So hat zum Beispiel Vanguard seine vor fünf Jahren gestarteten aktiven Faktor-ETFs wegen zu geringen Volumens in Europa wieder geschlossen. Weil die innere Funktionsweise solcher Produkte schwierig nachzuvollziehen ist und die Performance in jüngeren Marktphasen zu wünschen übrig ließ, sind Faktor-Strategien insbesondere für kleinere Assetmanager risikoreich in der Ausführung.
Welche Bedeutung kommt in der Fondsbranche neuen Vertriebswegen, etwa über Neobroker, zu?
Neobroker weisen ein starkes Wachstum aus, verwalten aber derzeit noch geringe Volumina. Allerdings könnten insbesondere thematische ETFs hier einen zusätzlichen Vertriebsweg finden. Es gibt in Bezug auf Neobroker allerdings auch einige kritische Punkte, die Aufsichtsbehörden auf den Plan rufen und durch die resultierenden regulatorischen Eingriffe auch den Vertrieb von ETFs beeinflussen.
Zum Beispiel?
Einerseits ist da die sogenannte „Gamification“ – also der Versuch, die Geldanlage durch übersichtlich gestaltete Apps und andere Instrumente spielerischer zu gestalten und somit mehr Privatinvestoren anzuziehen. Problematisch ist, dass Kleinanleger dadurch aktiver werden, als ihrer Performance guttut, und Risiken eingehen, die sie eigentlich nicht verantworten können. Auch die Praxis des „payment for order flow“ ist kritisch zu betrachten. Dabei zahlt ein Marketmaker Kompensationen an Broker, damit diese die Orders ihrer Klienten hin zu diesem Marketmaker umleiten. In der Folge ist es möglich, dass die Orders von Privatanlegern nicht mehr zum bestmöglichen Kurs ausgeführt werden.
Sie sprechen die Effekte strengerer Regulierung auf die Fondsbranche an. Wie wirkt sich die seit März geltende EU-Offenlegungsverordnung aus?
Der Trend in Richtung ESG beschäftigt die Industrie bereits seit Jahren, erreicht aber derzeit seinen Siedepunkt. Die EU-Verordnung führt sowohl zu einer Neuausrichtung bestehender Produkte als auch zu einer erhöhten Berichtstiefe von bereits existierenden ESG-Strategien und zur Auflegung neuer Produkte. Steigende Assets under Management im ESG-Bereich sind zu großen Teilen nicht aus Umschichtungen aus anderen Produkten, sondern eher durch die Neudefinition und Umpositionierung existierender Produkte zu erklären. Hunderte Fonds werden dieses Jahr gemäß der EU-Taxonomie als konform mit Artikel 8 oder Artikel 9 definiert, nur wenige sind Neuprodukte.
Welche Chancen bietet der europäische Markt für große internationale Vermögensverwalter?
Der europäische Markt ist attraktiv durch seine Größe, aber nicht einfach für Neugeschäft zu erobern. Viele Vertriebspartnerschaften sind langfristig ausgerichtet, die Konkurrenz ist erheblich. Unterschiedliche Sprachen und lokale Rechtsvorschriften sowie Vertriebswege machen den Markteintritt sowohl für nordamerikanische als auch für asiatische Anbieter komplex. Letztere sollten eigentlich insbesondere aufgrund der höheren Zinsen auf asiatische Anleihen attraktiv für europäische Kunden sein. Allerdings bieten auch die europäischen und US-Assetmanager entsprechende und auf den europäischen Markt angepasste Produkte an, weshalb sich der Erfolg asiatischer Anbieter in Grenzen hält.
Das Interview führte Alex Wehnert.