Recht und Kapitalmarkt

EU fordert Änderung der Vorschriften zur Organschaft

Verstoß der Regelungen gegen Gemeinschaftsrecht - Klage der Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof bis Jahresende möglich

EU fordert Änderung der Vorschriften zur Organschaft

Von Nina Kuntschik *)Die steuerliche Organschaft ist für Konzerne von erheblicher Bedeutung, ermöglicht sie es doch, Gewinne und Verluste zwischen einer Konzernmutter und ihren Tochtergesellschaften zu verrechnen. Auf diese Weise kann die Gesamtsteuerlast effektiv gesenkt werden. Denn im Rahmen der Organschaft bleiben die einzelnen Unternehmen zwar zivil- und steuerrechtlich selbständige Rechtsträger. Allerdings verpflichtet sich hier die Tochter (Organgesellschaft) aufgrund eines Gewinnabführungsvertrages zur Abführung ihres Gewinnes an die Muttergesellschaft (Organträger) und die Muttergesellschaft umgekehrt zum Ausgleich eines eventuellen Verlustes der Tochtergesellschaft. Steuerlich werden diese Verpflichtungen unter bestimmten Bedingungen nachvollzogen, indem die Ergebnisse beider Gesellschaften auf Ebene des Organträgers konsolidiert und gemeinsam dort versteuert werden. “Rein deutsch”Neben dem Gewinnabführungsvertrag erfordert die Organschaft allerdings, dass die Tochter sowohl ihren Verwaltungssitz als auch ihre Geschäftsleitung im Inland hat. Damit können nach ausländischem Recht gegründete Gesellschaften mit dortigem Verwaltungssitz trotz inländischer Leitung und somit unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland keine Organgesellschaften sein und damit im Vergleich zu “rein deutschen” Unternehmen nicht dieselben Steuervorteile in Anspruch nehmen. Mit Blick auf den Organträger wurde diese Ungleichbehandlung bereits aufgehoben. Das hier zunächst ebenfalls bestehende Erfordernis des doppelten Inlandsbezugs von Verwaltungssitz und Geschäftsleitung wurde wegen der zunehmenden gemeinschaftsrechtlichen Kritik mit Wirkung ab 2001 abgeschafft. Seitdem reicht es aus, wenn der Organträger lediglich über eine inländische Geschäftsleitung verfügt.Nun ist der doppelte Inlandsbezug bei der Organgesellschaft ins Blickfeld der Europäischen Kommission gerückt. Die Kommission sieht diese Voraussetzung als Diskriminierung gegenüber inländischen Wettbewerbern und somit als Beeinträchtigung der Niederlassungsfreiheit an. VertragsverletzungDaher hat sie Deutschland am 30. September förmlich aufgefordert, die bestehenden Vorschriften zur steuerlichen Organschaft aufzuheben bzw. entsprechend zu ändern. Mit dieser Aufforderung ist das Vorverfahren eines Vertragsverletzungverfahrens eröffnet. Geht innerhalb der Frist von zwei Monaten keine zufriedenstellende Antwort ein, könnte die Kommission vor dem Europäischen Gerichtshof klagen. Deutschland befindet sich somit im Zugzwang. Dabei dürfte der doppelte Inlandsbezug bei der Organgesellschaft nicht weiter aufrechterhalten werden können.Das aktuelle Verfahren wirft mehrere Folgefragen auf. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Notwendigkeit des Gewinnabführungsvertrages. Laut Gesetz muss es sich um einen Gewinnabführungsvertrag im Sinne des Aktiengesetzes handeln, wobei auch die dort vorgesehenen Form- und Inhaltsvorschriften zu beachten sind. Diese Verpflichtung gilt für sämtliche Organgesellschaften, mithin auch für solche in der Rechtsform einer GmbH. Gewinnabführungsverträge sind dem Gesellschaftsrecht der meisten europäischen Mitgliedsstaaten jedoch fremd. Eine Tochter, die aufgrund ihres Verwaltungssitzes einem anderen Gesellschaftsrecht unterliegt, kann somit regelmäßig auch aus zivil- bzw. gesellschaftsrechtlichen Gründen keine Organgesellschaft sein. In einem im Februar 2010 veröffentlichten Urteil hat das Niedersächsische Finanzgericht daher die Ansicht vertreten, dass das Erfordernis des gesellschaftsrechtlichen Gewinnabführungsvertrages unter gemeinschaftsrechtlichen Gesichtspunkten nicht hinnehmbar sei.Daher seien die deutschen Regeln zur deutschen Organschaft so auszulegen, dass anstelle des formalen Gewinnabführungsvertrages eine rechtlich verbindliche Gewinnabführungs- bzw. Verlustübernahmeverpflichtung zwischen Organgesellschaft und Organträger ausreicht. In dem Streitfall – der im Übrigen die weiterreichende Frage eines grenzüberschreitenden Verlustausgleichs betraf – kamen die Organschaftsvorschriften gleichwohl nicht zur Anwendung, da die deutsche Muttergesellschaft sich gegenüber ihrer ausländischen Tochtergesellschaft nicht zu einer rechtlich bindenden Verlustübernahme verpflichtet hatte. Inzwischen ist in diesem Verfahren Revision eingelegt worden, sodass sich der Bundesfinanzhof mit dem Fall zu beschäftigen hat.Kommt es allerdings zur Aufhebung des doppelten Inlandsbezuges, wäre mittelbar wohl auch die Frage nach dem Gewinnabführungsvertrag beantwortet. In diesem Fall kann an dem Erfordernis des Gewinnabführungsvertrages jedenfalls in der bestehenden Form nicht festgehalten werden.Diese gemeinschaftsrechtlich bedingten Bewegungen haben wiederum erhebliche Bedeutung für rein deutsche Unternehmen. Denn das Erfordernis eines Gewinnabführungsvertrages im Sinne des Aktiengesetzes ist immer wieder Gegenstand höchstrichterlicher Entscheidungen. Dabei wird die Grenze der bloßen Förmelei oft überschritten. VerlustübernahmepflichtDauerstreitthema ist beispielsweise die Vereinbarung der Verlustübernahmeverpflichtung. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf Gewinnabführungsverträge mit Gesellschaften in der Rechtsform einer GmbH: Hier sieht das Gesetz derzeit noch die Notwendigkeit einer ausdrücklichen Bezugnahme auf die Vorschriften des Aktiengesetzes vor, obwohl diese Vorschriften aus zivilrechtlicher Sicht ohnehin Anwendung finden. Die Problematik, dass in diesem Punkt fehlerhafte Verträge nicht anerkannt werden, liegt mittlerweile sogar dem Bundesverfassungsgericht vor.Erst im vergangenen Jahr sorgten bundeseinheitlich abgestimmte Verfügungen der Oberfinanzdirektionen zur Nichtanerkennung eines Gewinnabführungsvertrages aufgrund einer bestimmten, in der Praxis geläufigen Formulierung für große Verunsicherung und Beratungsbedarf. Hinsichtlich dieser Verfügungen ist inzwischen der Bundesfinanzhof eingeschritten und hat die Sichtweise der Finanzverwaltung verworfen.Aber auch dem Bundesrat geht der Formalismus langsam zu weit. Im Rahmen seiner Stellungnahme zum Entwurf des Jahressteuergesetzes 2010 hat er daher vorgeschlagen, bei der GmbH auf den vorgeschriebenen Verweis auf die aktienrechtlichen Bestimmungen zu verzichten. Auch vor diesem Hintergrund ist die Entwicklung auf europäischer Ebene somit spannend. Sollte der doppelte Inlandsbezug und das Erfordernis des gesellschaftsrechtlichen Gewinnabführungsvertrages entfallen, würde dies auch aus nationaler Sicht für erhebliche Erleichterungen sorgen. Zudem könnte das Kommissionsverfahren die bereits im Koalitionsvertrag vorgesehene und derzeit auf Bund-Länder-Ebene diskutierte Einführung eines neuen Gruppenbesteuerungssystems beschleunigen. Dem Vernehmen nach wurde diesem Projekt bislang keine erhöhte Dringlichkeit zugewiesen, und es soll erst die Umsetzung anderer Projekte abgewartet werden. Dies dürfte sich nun ändern.Ausdrücklich nicht Gegenstand des durch die Kommission betriebenen Verfahrens ist die Frage nach der Möglichkeit und den Voraussetzungen für eine grenzüberschreitende Verlustverrechnung, da es sich nur auf in Deutschland unbeschränkt steuerpflichtige Gesellschaften konzentriert. KlärungsbedarfDer vom Finanzgericht Niedersachsen entschiedene und nun dem Bundesfinanzhof vorgelegte Fall, der die Verlustverrechnung mit italienischen Tochtergesellschaften betrifft, dürfte daher höchstens mittelbar von den Bewegungen auf EU-Ebene profitieren. Hier sind noch weitergehende Punkte zu klären, die sich auch durch eine Aufhebung des doppelten Inlandsbezuges oder des Erfordernisses eines Gewinnabführungsvertrages nicht beantworten lassen. Klärung hierzu kann allenfalls eine geänderte Gruppenbesteuerung bieten.—-Dr. Nina Kuntschik ist Rechtsanwältin und Steuerberaterin bei Oppenhoff & Partner in Köln.