RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: ASTRID KRÜGER

EU-Initiative zur Regelung der Sitzverlegung sorgt für Hoffnung

Unternehmen fehlt Rechtssicherheit beim Umzug über die Grenzen

EU-Initiative zur Regelung der Sitzverlegung sorgt für Hoffnung

– Frau Dr. Krüger, die Rechtslage zum grenzüberschreitenden Umzug deutscher Unternehmen ist unklar. Woran hapert es?Hinter der Frage verbergen sich zwei verschiedene Umzugsarten. Zum einen zieht eine Gesellschaft praktisch über die Grenze, wenn die Geschäftsleitung ihre Entscheidungen in einem anderen Land als dem Gründungsland trifft, also die Geschäftsführer einer deutschen GmbH ihre Sitzungen zum Beispiel tatsächlich in London oder Mailand abhalten. Diesen Ort nennt man Verwaltungssitz und man spricht von einer Verwaltungssitzverlegung. Zum anderen kann ein grenzüberschreitender Umzug in einer Umwandlung von einer deutschen in eine ausländische Rechtsform bestehen, zum Beispiel GmbH zu Sàrl. Dabei wird unter anderem der in der Satzung der Gesellschaft bestimmte Sitz verlegt. Man spricht daher von einer Satzungssitzverlegung oder einem grenzüberschreitendem Formwechsel.- Beide Arten des Umzugs sind nicht klar geregelt?Ja, beide Arten des Umzugs sind weder im deutschen noch im europäischen Recht ausdrücklich geregelt. Es gibt, vereinfacht gesprochen, nur zwei ungeschriebene Theorien, welche Folgen eine Verlegung des Verwaltungssitzes für den Bestand einer Gesellschaft hat – Auflösung nach der so genannten Sitztheorie und Fortbestand nach der Gründungstheorie. In der EU werden diese Theorien teilweise durch die Niederlassungsfreiheit überlagert. Die Folgen einer Verwaltungssitzverlegung hängen daher von mehreren Faktoren ab wie Richtung des Umzugs, lokal angewandte Theorie, Wirkung der Niederlassungsfreiheit. Für Verlegungen des Satzungssitzes muss man sich an vergleichbaren Prozessen wie nationalen Formwechseln und grenzüberschreitenden Verschmelzungen orientieren.- Es gab aber doch über die Jahre Entscheidungen des EuGH zu Sitzverlegungen, ist damit nicht für Rechtssicherheit gesorgt worden?Bis vor kurzem ging man tatsächlich auf der Basis dreier EuGH-Entscheidungen – Centros, Überseering, Inspire Art – davon aus, dass Verwaltungssitzverlegungen innerhalb der EU ohne Auswirkungen auf den Fortbestand der Gesellschaft möglich sind. Für Satzungssitzverlegungen sah man daher kaum Bedarf. In jüngster Zeit sind jedoch durch weitere EuGH-Entscheidungen – besonders Cartesio und Vale – Zweifel aufgekommen, ob tatsächlich alle Verwaltungssitzverlegungen innerhalb der EU folgenlos möglich sind oder ob man je nach Ursprungs- und Zielland unterscheiden muss.- Inwiefern?Der EuGH nimmt darin an, dass ein EU-Land einer seinem Recht unterliegende Gesellschaft beim Wegzug ihres Verwaltungssitzes die Existenz nehmen darf. Nur die Verlegung des Satzungssitzes in ein anderes EU-Land darf das Land nicht verbieten, wenn es vergleichbare innerstaatliche Formwechsel zulässt. Damit ist auch die Bedeutung der zuvor unbedeutenden Satzungssitzverlegungen gestiegen.- Weshalb gibt es keine deutsche Regelung?Der deutsche Gesetzgeber hatte 2008 einen Entwurf für ein Gesetz sowohl zu Verwaltungssitz- als auch zu Satzungssitzverlegungen über die Grenze vorgelegt. Der Entwurf wurde jedoch nicht weiter verfolgt. Man kann nur mutmaßen, dass der Gesetzgeber eine gesetzliche Regelung wegen der genannten EuGH-Entscheidungen und der Umsetzung der Richtlinie zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen nicht mehr für nötig hielt. Auch die EU hat eine Initiative zur Sitzverlegung Ende 2007 aufgegeben.- Der Aktionsplan der EU-Kommission zielt auf Regelungen zur grenzüberschreitenden Sitzverlegung, wird diese Initiative eine Lösung finden?Ich denke, die Karten dafür stehen nicht schlecht. Der Bedarf besteht und praktische Fälle sowie die Parallele der grenzüberschreitenden Verschmelzung zeigen, wie es gehen könnte.- Gibt es erste Ansatzpunkte für die rechtliche Gestaltung?Auf europäische Ebene könnte für Satzungssitzverlegungen die Richtlinie zu grenzüberschreitenden Verschmelzungen Pate stehen. Es wäre jedoch wünschenswert, dass das Verfahren, zum Beispiel die Beteiligung von Arbeitnehmern, deutlich vereinfacht und beschleunigt würde. Zudem sollte zumindest auf nationaler Ebene eine Regelung getroffen werden, die die Unsicherheit über die Folgen von Verwaltungssitzverlegungen beendet. Dafür könnte der Entwurf von 2008 Vorbild sein.—-Dr. Astrid Krüger ist Partnerin bei Allen & Overy in München. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.