RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: HENDRIK HAAG

EU-Taxonomie muss Markterwartungen abbilden

Klassifikationssystem für nachhaltige Finanzinstrumente braucht Akzeptanz

EU-Taxonomie muss Markterwartungen abbilden

Herr Dr. Haag, der europäische Gesetzgeber hat ein EU-weites Klassifikationssystem für nachhaltige Finanzinstrumente auf den Weg gebracht. Worum geht es bei dieser sogenannten Taxonomie?Anleihen, bei denen der Erlös zur Finanzierung nachhaltiger Investitionen verwendet wird, erfreuen sich seit einigen Jahren wachsender Beliebtheit. Seit Ausgabe der ersten Green Bonds durch die Weltbank vor über zehn Jahren ist dieses Marktsegment explosionsartig gewachsen. Es fehlt aber weiterhin an einheitlichen Regeln, welche Finanzierungszwecke wirklich als nachhaltig einzustufen sind. Diese Lücke will die neue EU-Taxonomie schließen, um dadurch den Markt transparenter zu machen. Dabei beschränkt sich die EU nicht nur auf den Klimaschutz als Nachhaltigkeitsziel, sondern definiert weitere Bereiche wie Gewässerschutz, Kreislaufwirtschaft, Umweltschutz und Biodiversität. Für diese Investitionszwecke sollen letztlich jeweils eigene Marktsegmente entstehen, in denen sich spezialisierte Investoren bewegen können. Wo sehen Sie besondere Herausforderungen?Das Ziel besteht darin, ein Etikettierungssystem zu schaffen, auf das sich Investoren verlassen können, ohne dem Verwendungszweck einer Emission im Einzelfall nachgehen zu müssen. Dies setzt eine flexible Taxonomie voraus, die nicht zu detailliert, aber auch nicht zu generisch sein darf und die sich an den Erwartungen der Investoren orientiert. Auch muss darauf geachtet werden, technische Neuentwicklungen im Zuge regelmäßiger Überprüfungen zu berücksichtigen. Die Einzelheiten dazu werden in den technischen Evaluierungskriterien festgelegt, die in den nächsten Jahren noch zu entwickeln sein werden. Die Kriterien für den Klimaschutz sollen noch vor Ende dieses Jahres in Kraft treten. Haben sich im bisherigen Prozess bereits Meinungsverschiedenheiten zwischen den EU-Mitgliedstaaten gezeigt?Ein besonderer Streitpunkt ist das Thema, ob Übergangstechnologien auf dem Weg zu einer klimaneutralen Stromerzeugung, wie vor allem die Kernenergie, zu den förderungswürdigen Investitionen gehören sollen. Hier laufen die Interessen der Mitgliedstaaten weit auseinander. Die Diskussion entzündete sich an der im Entwurf der Taxonomieverordnung enthaltenen, zusätzlichen Anforderung, wonach als klimafreundlich anerkannte Technologien nicht an anderer Stelle erhebliche negative Auswirkungen auf die Umwelt haben dürfen. Da kann man in Hinblick auf die Entsorgungsproblematik bei Atomkraft durchaus unterschiedlicher Auffassung sein. Im Dezember 2019 wurde ein politischer Kompromiss gefunden, der die Kernenergie jedenfalls nicht von vorherein als möglicherweise förderungswürdige, klimafreundliche Form der Stromerzeugung ausschließt. Damit wurde das Thema aber nur vertagt, weil man spätestens bei Aufstellung der technischen Evaluierungskriterien Farbe bekennen muss. Was bedeutet das für die Akzeptanz der Taxonomie?Investoren werden die Zertifizierungslabel durch die EU nur dann als hilfreich und transparenzfördernd ansehen, wenn sich die Vorstellungen des EU-Gesetzgebers über das, was als klimafreundliche Investition anzusehen ist, mit denen der Investoren weitgehend decken. Da habe ich gerade bei der Atomkraft meine Zweifel. So wird mancher am Klimaschutz orientierte Fonds, der gerne in Wind- und Solarenergieerzeugung investiert, von einem als klimafreundlich zertifizierten Anlageprodukt die Finger lassen, wenn er damit rechnen muss, dass mit seinem Geld möglicherweise auch Kernkraftwerke gebaut oder ertüchtigt werden, weil sich dies nicht mit seinen Anlagerichtlinien verträgt. Denkbar ist jedoch, dass sich der Markt selbst hilft und Untergruppen bildet, wie etwa EU-Klimaschutz, einmal mit und einmal ohne Kernkraft. Aber dies würde letztlich nur belegen, dass die Taxonomie in diesem Punkt an den Erwartungen der Investoren vorbei konstruiert wurde. Dr. Hendrik Haag ist Partner von Hengeler Mueller in Frankfurt. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.