EU vereinfacht Aufnahme von Eigenkapital
Von Julian Schulze De la Cruz und Philip M. Schmoll *)Am 19. November 2020 hat der Ausschuss für Wirtschaft und Währung des Europäischen Parlaments (Committee on Economic and Monetary Affairs, Econ) seinen Bericht zum Vorschlag der Europäischen Kommission über die Einführung eines EU-Wiederaufbauprospekts (EU Recovery Prospectus) vorgelegt. Damit ist ein wesentlicher Schritt zur Einführung einer neuen, vereinfachten Prospektart getan, die noch dieses Jahr in die EU-Prospektverordnung implementiert werden soll.Ziel des EU-Wiederaufbauprospekts ist der Abbau regulatorischer Hürden für die Eigenkapitalaufnahme von Emittenten vor dem Hintergrund der Coronakrise. Hierfür soll der typischerweise anfallende Kosten- und Zeitaufwand einer Prospekterstellung für Sekundäremissionen von Aktien, d. h. Kapitalerhöhungen, für eine begrenzte Zeit deutlich verringert werden. Mit dem EU-Wiederaufbauprospekt will die Europäische Kommission “unbedingt dafür Sorge tragen”, dass eine Prospekterstellung für Emittenten in den derzeit herausfordernden Zeiten “kein Hindernis” bei der Eigenkapitalaufnahme darstellt. Zudem soll ein Anreiz für Emittenten geschaffen werden, ihre Eigenkapitalbasis zu stärken und ihren Verschuldungsgrad zu verbessern, hatten diese doch bislang überwiegend Fremdkapitalmittel zur Liquiditätssicherung bevorzugt, etwa durch die Aufnahme von KfW-Krediten. Rigide SeitenbeschränkungBei dem EU-Wiederaufbauprospekt handelt es sich um eine Art “Kurzprospekt”, der nach dem Bericht des Econ insgesamt nicht mehr als 30 DIN-A4-Seiten, einschließlich einer verpflichtenden Prospektzusammenfassung von maximal zwei DIN-A4-Seiten, umfassen darf. Damit wird der Umfang eines EU-Wiederaufbauprospekts den üblichen Umfang von Wertpapierprospekten für Aktienemissionen deutlich unterschreiten, die regelmäßig hunderte von Seiten umfassen. Diese gesetzlich vorgegebene Seitenbeschränkung, die das Prospektrecht nur für die Erstellung eines Wertpapier-Informationsblattes im Rahmen von prospektfreien (Kleinst-)Emissionen kennt, stellt für prospektpflichtige Aktienemissionen ein echtes Novum dar. Befristung und AdressatenDurch die Umfangsbegrenzung soll der Prospekt für Emittenten leicht zu erstellen, für Anleger leicht zu verstehen und für die zuständige Billigungsbehörde leicht zu prüfen sein. Für die Praxis wird die Einhaltung dieser rigiden Umfangsbeschränkung jedoch eine echte Herausforderung darstellen. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass weiterhin die wesentlichsten Risiken zum Emittenten und den angebotenen Aktien in den EU-Wiederaufbauprospekt aufzunehmen sind, die regelmäßig bereits eine Vielzahl von Seiten in Anspruch nehmen.Nach dem Bericht des Econ soll die Möglichkeit zur Nutzung des EU-Wiederaufbauprospekts zunächst nur bis zum 31. Dezember 2022 bestehen und ausschließlich für Sekundäremissionen von Aktien am Kapitalmarkt genutzt werden können. Im Rahmen der Sekundäremission kann der EU-Wiederaufbauprospekt dabei sowohl für das öffentliche Angebot der neuen Aktien als auch für deren Zulassung zum Handel an einem regulierten Markt erstellt werden. Eine Verwendung des EU-Wiederaufbauprospekts für Anleihen oder im Rahmen eines Börsengangs ist hingegen nicht vorgesehen.Der Adressatenkreis des EU-Wiederaufbauprospekts soll auf bestehende Emittenten im regulierten Markt sowie in KMU-Wachstumsmärkten (in Deutschland das Segment “Scale” der Frankfurter Wertpapierbörse) beschränkt sein. Deren Aktien müssen mindestens während der letzten 18 Monate ununterbrochen zum Handel im regulierten Markt zugelassen sein bzw. am KMU-Wachstumsmarkt gehandelt werden. Damit orientiert sich die EU-Kommission weitestgehend am bekannten Adressatenkreis für vereinfachte Prospektschemata nach der EU-Prospektverordnung.Zur Beschleunigung des Prospektbilligungsverfahrens soll die Prüfungsfrist für einen EU-Wiederaufbauprospekt bei der zuständigen Behörde lediglich fünf statt zehn Arbeitstage betragen, wie es für Prospekte nach der EU-Prospektverordnung eigentlich vorgesehen ist. Die zuständige Behörde soll jedoch mindestens fünf Arbeitstage vor Antragstellung zu informieren sein, um sich auf das verkürzte Billigungsverfahren angemessen vorbereiten zu können. Zwar mag dies auf den ersten Blick eine deutliche Vereinfachung darstellen. Letzten Endes wird die konkrete Verfahrensdauer in der Praxis aber – wie üblich – maßgeblich von der Verfahrenspraxis und Auslastung der BaFin als zuständiger Behörde in Deutschland abhängen. Aufgrund der zuletzt teilweise sehr hohen Auslastung der Prospektreferate der BaFin wird daher auch die Erstellung und Billigung eines EU-Wiederaufbauprospekts einer sorgfältigen Vorbereitung und möglichst frühzeitigen Vorabstimmung mit der BaFin bedürfen.Mit Blick auf den Prospektinhalt soll die neue Prospektart im Wesentlichen nur solche Informationen enthalten, die nicht bereits öffentlich verfügbar sind, beispielsweise infolge von Regelberichterstattung, Ad-hoc-Mitteilungen und anderen Zulassungsfolgepflichten des Emittenten. Hinsichtlich der bereits öffentlich verfügbaren Informationen soll es für den Anleger bei den in Betracht kommenden Emittenten zumutbar sein, sich selbstständig zu informieren. Im Vergleich zu den bisherigen Vereinfachungen für Sekundäremissionen nach der EU-Prospektverordnung stellt dies eine erhebliche Erleichterung dar. Der derzeitige Vorschlag zu den Mindestangaben eines EU-Wiederaufbauprospekts beinhaltet etwa – neben der Darstellung der Risiken – insbesondere Angaben über die Aussichten des Emittenten und bedeutende Änderungen seiner Geschäfts- und Finanzlage seit Ablauf des letzten Geschäftsjahres, wesentliche Informationen über die angebotenen Aktien, die Gründe für die Emission und ihre Auswirkungen auf die Kapitalstruktur des Emittenten insgesamt sowie die Verwendung der Erlöse. Prospektangaben, die der Vermarktung der neuen Aktien dienen (z. B. zur Geschäftstätigkeit des Emittenten und dessen Wettbewerbsumfeld) sind nicht vorgesehen.Unklar und zweifelhaft ist die ebenfalls erforderliche Angabe des endgültigen Emissionskurses in einem EU-Wiederaufbauprospekt. Bei wortgetreuer Auslegung würde eine solche Pflichtangabe dazu führen, dass ein EU-Wiederaufbauprospekt nur für Kapitalerhöhungen mit einem im Prospekt festgelegten Platzierungspreis genutzt werden kann. Für eine Bezugsrechtsemission, bei der eine aktienrechtlich zulässige Festlegung des Bezugspreises erst während der Bezugsfrist erfolgt, wäre die neue Prospektart dann nicht nutzbar. Ferner ist auch die vom Econ geforderte Übersicht zur Kapitalausstattung und Verschuldung, die nicht älter als 90 Tage sein darf, mit einem nicht unerheblichen Aufwand seitens des beteiligten Wirtschaftsprüfers verbunden, wodurch sich der Aufwand der Prospekterstellung im Vergleich zum Kommissionsentwurf wieder merklich erhöht. Überraschung im NebensatzNach der Berichterstattung des Econ haben nunmehr noch das Plenum des Europäischen Parlaments und der Rat über die Einführung des EU-Wiederaufbauprospekts zu beschließen. Die bevorstehende Einführung gibt Emittenten daher bereits jetzt Anlass, diese interessante Alternative zum üblichen Prospektregime für eine mögliche Kapitalerhöhung zu prüfen. Der EU-Wiederaufbauprospekt bietet den Emittenten eine Option zur kurzfristigen Eigenkapitalaufnahme in großen Volumina, indem die hohe Hürde einer Prospekterstellung erheblich gesenkt und damit der Weg für eine prospektpflichtige Kapitalerhöhung im Eiltempo geebnet wird.Für die Zukunft nach der Coronakrise hält der Bericht des Econ ebenfalls eine Überraschung bereit: In einem Nebensatz lässt der Econ durchblicken, dass er auch künftig für eine vereinfachte Prospektart für Sekundäremissionen von Aktien am Beispiel des EU-Wiederaufbauprospekts offen sei. Die Einführung einer solchen Prospektart könne bereits in der geplanten Überarbeitung der EU-Prospektverordnung im Jahr 2022 unter Berücksichtigung der bis dahin möglicherweise etablierten Praxis des EU-Wiederaufbauprospekts geprüft werden. *) Dr. Julian Schulze De la Cruz ist Partner und Dr. Philip M. Schmoll Senior Associate bei Noerr.