Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Thomas Niessen

"EU-Vorschläge eröffnen neue Wege zur Kurspflege und in Übernahmen"

Kommission will Regeln zum Aktienrückkauf liberalisieren

"EU-Vorschläge eröffnen neue Wege zur Kurspflege und in Übernahmen"

– Herr Dr. Nießen, auf EU-Ebene sind Neuregelungen zum Aktienrückkauf geplant. Worauf haben sich die Unternehmen einzustellen?Nach geltendem Recht darf eine Aktiengesellschaft eigene Aktien nur aufgrund eines höchstens 18 Monate geltenden Ermächtigungsbeschlusses der Hauptversammlung erwerben. Die Gesellschaft darf nicht mehr als 10 % des Grundkapitals in Form eigener Aktien halten. Der Richtlinienvorschlag der EU-Kommission vom 29. Oktober 2004 zur Änderung der 2. Gesellschaftsrechtlichen Richtlinie sieht dagegen vor, dass die AG aufgrund einer fünf Jahre geltenden Ermächtigung durch die HV eigene Aktien erwerben kann, und zwar ohne eine auf einen bestimmten Anteil am Grundkapital orientierte Obergrenze. Vielmehr darf die Gesellschaft eigene Aktien erwerben, solange dadurch das Nettoaktivvermögen erhalten bleibt. – Sind die Rahmenbedingungen für Aktienrückkäufe in anderen europäischen Ländern bislang weiter gefasst?Die bisherige Regelung legt auch für die anderen europäischen Mitgliedstaaten eine Höchstgrenze von 10 % und eine maximale Dauer der Ermächtigung von 18 Monaten fest; die deutsche Regelung schöpft den gesteckten Rahmen also voll aus. Die restriktiven Regeln wurden in der Vergangenheit immer wieder kritisiert. Allerdings werden selbst die geltenden Grenzen bislang nur sehr zurückhaltend ausgenutzt; mit VW ist in Deutschland nur eine Gesellschaft bekannt, die sich der 10 %-Grenze annähert. – Welche Ziele verfolgt die Kommission mit dem Richtlinienvorschlag?Kapitalbezogene Maßnahmen sollen erleichtert werden, Aktiengesellschaften rascher und mit geringerem Kostenaufwand auf für ihren Aktienkurs relevante Marktentwicklungen reagieren können. – In welcher Hinsicht profitieren die Gesellschaften davon?In den USA werden eigene Aktien zum Teil in großem Stil zur Kurspflege zurückgekauft. Zahlreiche Studien haben belegt, dass dies regelmäßig mit signifikanten Kursgewinnen einhergeht, die jedenfalls dann nachhaltig sein können, wenn das Unternehmen tatsächlich unterbewertet war. Ebenso ist zu erwarten, dass die Unternehmen zunehmend – wie in den USA – nicht benötigte Liquidität an die Aktionäre zurückgeben werden und eigene Aktien zur Bedienung von Aktienoptionsprogrammen nutzen werden. Eigene Aktien werden bereits jetzt als Akquisitionswährung in Deutschland vielfach genutzt; diese Entwicklung könnte sich verstärken. In größerem Umfang als bisher könnte der Erwerb eigener Aktien als Verteidigungsmittel in Übernahmesituationen eingesetzt werden, um den Kurs zu erhöhen. Schließlich können Unternehmen versuchen, durch den Erwerb die Aktionärsstruktur zu beeinflussen, indem sie die Breite des Streubesitzes verringern. – Sind exzessive Anteile am eigenen Unternehmen nicht auch mit Risiken verbunden?Hat das Unternehmen die Maximalgrenze, bis zu der ein Erwerb eigener Aktien zulässig ist, ausgeschöpft oder sich dieser Grenze genähert, kann ein späterer Kursverfall zu einer Unterbilanz führen. Das Unternehmen ist dann gezwungen, die Unterbilanz durch geeignete Maßnahmen zu beseitigen. Das kann die übrige Unternehmensentwicklung nachhaltig beeinträchtigen, etwa weil erforderliche Investitionen nicht getätigt werden können. Aktienrückkäufe müssen deshalb mit Augenmaß geschehen und eignen sich typischerweise für Situationen, in denen die Aktien der Gesellschaft unterbewertet sind und ein weiteres Nachgeben der Kurse nach vorhandenen Erkenntnismöglichkeiten unwahrscheinlich ist. – Derzeit wird diskutiert, ob Rückkäufe als kursmanipulierende Maßnahme vom Anlegerschutzverbesserungsgesetz (AnSVG) erfasst und somit verboten sind . . . Bislang war man einhelliger Auffassung, dass aktienrechtlich zulässige Rückkäufe auch marktrechtlich zulässig sein müssen. Mit Inkrafttreten des AnSVG ist die Rechtslage nicht mehr so eindeutig. Nunmehr werden Rückkäufe erstmals ausdrücklich im Zusammenhang mit Marktmanipulation genannt. Danach sind Aktienrückkäufe jedenfalls dann nicht als manipulativ anzusehen, wenn bestimmte Offenlegungs- und Handelsanforderungen beachtet werden. Dies gilt aber nur dann, wenn die Aktienrückkäufe für bestimmte Zwecke durchgeführt werden, namentlich zu Zwecken der Bedienung von Umtausch- oder Optionsanleihen, von Stock Options oder der Kapitalherabsetzung. Aktienrückkäufe zur Liquiditätssteuerung werden davon nicht erfasst. Das bedeutet nicht, dass dies nunmehr unzulässig ist. Es wäre aber wünschenswert, dass der Gesetzgeber in Brüssel auf diese Zweckbestimmung bei den Safe-Harbour-Regeln verzichtet.Dr. Thomas Nießen ist Rechtsanwalt und Partner im Kölner Büro von Linklaters Oppenhoff & Rädler. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.