Recht und Kapitalmarkt

Europäischer Protektionismus rechtlich auf dünnem Eis

EU-Recht gibt glänzende Rüstung, aber wohl nur stumpfes Schwert bei nationalen Interventionen gegen Energieübernahmen

Europäischer Protektionismus rechtlich auf dünnem Eis

Von Tobias Bürgers und Heike Pauly *) Die spanische Regierung will Eon an der Übernahme von Endesa hindern. Frankreich schmiedet einen Mega-Konzern aus den Energieversorgern EdF und Suez, um den Einstieg der italienischen Enel bei Suez zu vereiteln. Für das vereinte Europa zeichnet sich eine Niederlage ab, die dem Scheitern der EU-Verfassung nicht nachsteht. Doch die EU-Kommission zeigt sich entschlossen, dem aufwallenden Protektionismus im Energiesektor entgegenzutreten. Das europäische Recht gibt ihr dafür zwar eine glänzende Rüstung, aber letztlich wohl nur ein stumpfes Schwert. Zentrale NormZentrale Norm für den Bieter ist Artikel 56 des EG-Vertrages (EGV). Er garantiert die Freiheit des Kapitalverkehrs im Binnenmarkt. Darunter fasst der Europäische Gerichtshof (EuGH) auch Direktinvestitionen wie den Erwerb von Anteilen an einer börsennotierten Gesellschaft. Kennzeichen einer Direktinvestition in diesem Sinne ist insbesondere die Möglichkeit, sich an der Verwaltung einer Gesellschaft und an deren Kontrolle zu beteiligen. Versucht ein Mitgliedstaat, dieses Recht einzuschränken, können die EU-Kommission und die Mitgliedstaaten ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH einleiten. Der Bieter kann es nicht selbst betreiben. Er kann nur die Kommission oder einen Mitgliedstaat dazu aufrufen. Der liberalen Regelung für Direktinvestitionen halten die Regierungen von Frankreich und Spanien ein nationales Interesse entgegen. Die heimische Energieversorgung dürfe nicht von Konzernen aus dem Ausland beherrscht werden. Man brauche “nationale Champions”. Die spanische Regierung hat sich mit einem ganzen Katalog möglicher Maßnahmen in Stellung gebracht. Zahlungen von 3,58 Mrd. Euro an nationale Stromkonzerne, die bislang zum Ausgleich der staatlich festgesetzten Preise für Haushaltsstrom gezahlt werden, sollen auslaufen. Die nationale Energiekommission wurde schnell mit dem Recht ausgestattet, ein Veto gegen Übernahmen durch ausländische Käufer einzulegen. Ins Spiel gebracht wurden außerdem ein Gesetz gegen Übernahmen durch ausländische Unternehmen mit staatlicher Beteiligung (Bayern hält 2,5 % der Eon-Anteile) und regulatorische Hindernisse wie Verzögerungen bei der Verlängerung der Genehmigungen für Kraftwerke. In seinen Entscheidungen zu Goldenen Aktien aus 2002 und 2003 stellte der EuGH indes klar: Wenn ein Mitgliedstaat eine Übernahme mit Hilfe von Sonderrechten verhindern kann, wäre der freie Kapitalverkehr letztlich illusorisch. Ob die Richter auch politische Schachzüge wie die französische Fusion als Verstoß gegen die Kapitalverkehrsfreiheit betrachten würden, ist den Urteilen nicht direkt zu entnehmen. Eine Rechtfertigung für die Einschränkung der Kapitalverkehrsfreiheit erkennt der EuGH nur in sehr engen Grenzen an. In seinen bislang fünf Entscheidungen zu Goldenen Aktien ließ er nur Erfordernisse der öffentlichen Sicherheit oder zwingende Gründe des Allgemeininteresses gelten. Die Maßnahmen müssen dabei geeignet und erforderlich sein, die mit ihr verfolgten Ziele zu erreichen. Die öffentliche Sicherheit kann nach der Rechtsprechung des EuGH als Rechtfertigungsgrund angeführt werden, wenn eine tatsächliche und hinreichend schwere Gefährdung vorliegt, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt. Ein legitimes Ziel kann die Sicherstellung der Energieversorgung im Krisenfall sein. Doch darum geht es Spanien und Frankreich höchstens in zweiter Linie. Und wahrscheinlich kann auch die EU dies sicherstellen. Rein wirtschaftliche Interessen oder pauschale Begründungen seitens der Mitgliedstaaten ließ der EuGH nicht gelten. Darüber hinaus müssen Übernahmehürden wie vorherige Genehmigungen oder Widerspruchsrechte nationaler Behörden so geregelt sein, dass der potenzielle Erwerber erkennen kann, wann eine Genehmigung erteilt oder versagt wird. Bislang hat der EuGH nur im Fall Belgiens die Goldene Aktie an einem ehemals staatlichen Energieunternehmen als europarechtskonform erachtet. Entscheidend war dabei, dass es sich um eine nachträgliche, an strenge Fristen gebundene Widerspruchsregelung handelte, die nur Entscheidungen über die strategischen Aktiva der Unternehmen erfasste – insbesondere über die Energieversorgungsnetze. Im Fall Spaniens, bezeichnenderweise in Bezug auf die Goldene Aktie an Endesa, beurteilte der EuGH 2003 die nationale Regelung als europarechtswidrig. Das Erfordernis einer vorherigen Genehmigung des Erwerbs von Anteilen an Endesa hielt der Gerichtshof für zu unbestimmt – ein Verstoß gegen die Rechtssicherheit. Die meisten Gegenmaßnahmen Spaniens würden insoweit wahrscheinlich nicht vor dem EuGH bestehen. Auch der Schachzug Frankreichs ist juristisch fragwürdig, wenn man sich den ordnungspolitischen Rahmen anschaut, in dem er stattfindet. Europa hat sich die Liberalisierung des Energiemarktes auf die Fahnen geschrieben. So können seit dem 1. Juli 2004 die Betreiber industrieller Anlagen ihre Energieversorger frei auswählen. Ab 1. Juli 2007 wird der Haushaltsmarkt für den Wettbewerb geöffnet. Die Versorgungssicherheit der Mitgliedstaaten ist dabei von wesentlicher Bedeutung. Die Abhängigkeit von Drittstaaten bei Energielieferungen – so Kommissionspräsident Juan Manuel Barroso – könnten EU und Mitgliedstaaten nur gemeinsam angehen. Insofern ist es konsequent, wenn die Sicherheit der Elektrizitätsversorgung und Infrastrukturinvestitionen auf EU-Ebene gewährleistet werden. Ausdrücklich sollen dabei der Binnenmarkt und die grenzüberschreitende Zusammenarbeit der Mitgliedstaaten ausgebaut werden. Darüber hinaus werden die Transeuropäischen Netze von der EU nachhaltig gefördert. Bessere MarktintegrationTrotz der europäischen Vorgaben für die Liberalisierung des Energiemarktes beurteilt die Kommission die Umsetzung der einschlägigen Bestimmungen jedoch als enttäuschend. Grund sei insbesondere der Mangel an Marktpräsenz ausländischer Unternehmen. Notwendig sei eine bessere Marktintegration und Verflechtung der Infrastruktur, so ein Besserungsvorschlag der Kommission: das Gegenteil dessen, was Spanien und Frankreich anstreben.Auch der europäische Rechtsrahmen für Übernahmen lässt kaum Spielraum für Protektionismus. Danach müssen die Mitgliedstaaten es jedem Bieter ermöglichen, Mehrheitsbeteiligungen an anderen Gesellschaften zu erwerben und eine vollständige Kontrolle auszuüben. Staatliche Sonderrechte an Gesellschaften dürfen also nicht einseitig von den Mitgliedstaaten als Übernahmehindernis angeführt werden, ohne dass gegebenenfalls die Europäische Kommission oder der EuGH dies zuvor gestattet hat.Im Kartellrecht gelten für Unternehmenszusammenschlüsse von gemeinschaftsweiter Bedeutung ebenfalls europäische Maßstäbe. Damit soll ein unverfälschter Wettbewerb im Gemeinsamen Markt gewährleistet werden. Mit all diesen Vorgaben müssen Spanien und Frankreich ihre Interventionen in Einklang bringen. Tun sie das nicht, bleibt der EU-Kommission als juristisches Mittel nur ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH. Doch das kann mehrere Jahre dauern. Eilentscheidungen trifft der EuGH nur sehr selten. Damit dürfen keine Fakten geschaffen werden, die unumkehrbar sind. Selbst wenn der Gerichtshof in seinem Urteil einen Vertragsverstoß feststellt, ist keine Besserung garantiert. Der EuGH kann die protektionistischen Maßnahme weder aufheben, noch den Mitgliedstaat dazu verpflichten. Es kommt nur ein weiteres Verfahren auf Initiative der Kommission in Betracht. Stellt der EuGH fest, dass der betroffene Mitgliedstaat dem ersten Urteil nicht nachgekommen ist, so kann das Gericht die Zahlung eines Pauschalbetrages oder Zwangsgelds verhängen. Die angegriffene Maßnahme ist damit aber noch nicht aus der Welt. So haben es letztlich Spanien und Frankreich in der Hand, Fakten zu schaffen. Eon bleibt die Hoffnung auf Aktionäre und Politik. *) Dr. Tobias Bürgers ist Partner im Münchner Büro, Heike Pauly ist Rechtsanwältin im Frankfurter Büro der internationalen Partnerschaft Nörr Stiefenhofer Lutz.