Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Tobias Stirnberg

Finanzierung von Töchtern in Lateinamerika über Bovespa-Listing

Bewährte Strategie mit Bermuda-Holding und Brazilian Depositary Receipts

Finanzierung von Töchtern in Lateinamerika über Bovespa-Listing

– Herr Dr. Stirnberg, europäische Konzerne bringen lateinamerikanische Geschäftszweige an die brasilianische Börse, was bringt ein Listing von Tochterfirmen an der Bovespa?Die Bovespa hat sich in den letzten Jahren zu einer der größten und liquidesten Börsen der Welt entwickelt. Ein Listing ermöglicht die eigenständige Finanzierung, Bewertung und Visibilität der Töchter in Lateinamerika und am internationalen Kapitalmarkt. Es schafft für das Mutterunternehmen eine zusätzliche Liquiditätsquelle, ohne die Kontrolle über die Beteiligung aufzugeben. – Welche rechtlichen Strukturen sind für ein Listing notwendig?Gerne wird als Listingvehikel eine Bermuda-Holding, die das lateinamerikanische Geschäft bündelt, benutzt. Diese Struktur bringt Corporate-Governance-Flexibilität und hat steuerliche Vorteile, da Bermuda in der Regel keine Quellensteuer, Wertzuwachssteuer oder Ertragsteuern erhebt. Da die Bovespa ein Primärlisting nur für brasilianische Gesellschaften erlaubt, erfolgt ein Primärlisting der Aktien an einer Börse außerhalb Brasiliens, etwa am EuroMTF-Segment der Luxemburg Stock Exchange. An der Bovespa folgt dann das Sekundärlisting von Brazilian Depositary Receipts (BDR), die die Aktien repräsentieren. – Welchen Corporate-Governance- Regeln unterwirft sich die brasilianische Tochter? Die vergleichsweise strengen Regeln des Hauptlistingsegments der Bovespa – des Novo Mercado – gelten für eine Bermuda-Holding nicht. Der Emittentin mit Sitz außerhalb Brasiliens ist rein rechtlich nahezu freigestellt, wie sie ihre Corporate Governance in der Satzung ausgestalten will. In der Praxis verlangen allerdings die Investmentbanken, die das Listing begleiten, bestimmte für den Markt akzeptable Mindeststandards in den Statuten der Holding. – Wie läuft die Vermarktung der BDR und welche Genehmigungspflichten bestehen?Die Vermarktung der BDR erfolgt mit je einem Prospekt in portugiesischer und in englischer Sprache. Die Papiere werden nur in Brasilien öffentlich angeboten. Außerhalb Brasiliens können nur institutionelle Anleger die Papiere erwerben. Damit entfallen die Registrierung bei der SEC, die Compliance nach dem US-Sarbanes-Oxley Act sowie die Prospektanforderungen der EU-Prospektrichtlinie. Das Angebot in Brasilien muss von der nationalen Finanzmarktaufsicht (CVM) und von der Bovespa genehmigt werden. Für das Listing am EuroMTF-Markt ist die Genehmigung durch die Luxemburger Behörden notwendig. Die Verfahren bei den beteiligten Behörden laufen parallel. Etwa 70 bis 80 % der angebotenen BDR werden von US- und EU-Investoren erworben. – Gibt es Besonderheiten zu beachten, wenn die europäische Muttergesellschaft selbst in ihrem Heimatland börsennotiert ist? Das Listing einer Tochter oder der Verkauf eines wesentlichen Anteils daran an den Markt führt in der Regel zu Ad-hoc-Berichtspflichten der gelisteten Mutter. Die Mitteilungen müssen so koordiniert werden, dass kein öffentliches Angebot bzw. keine Marktkonditionierung bezüglich der BDR vorliegt. Das könnte sonst zu Registrierungsanforderungen in der EU und den USA führen. Nach dem Listing sind die Berichtspflichten von Mutter- und Tochtergesellschaft zu koordinieren. Das wirft in der Regel keine großen Probleme auf, da an der Bovespa in IFRS berichtet werden kann. Zu prüfen ist, ob die Aktionärsversammlung der Mutter dem Floating der Tochter zustimmen muss. Anders als zum Beispiel im englischen Recht sollte dies aber im Normalfall nach deutschem Recht nicht notwendig sein. – Wie leicht ist der Rückzug von der Bovespa möglich?Die gesellschaftsrechtlichen Anforderungen an ein Delisting, vor allem die Zustimmung der Aktionärsversammlung, sind in der Satzung festgelegt. Sie sind damit relativ flexibel innerhalb der für den Markt akzeptablen Standards ausgestaltbar. Ist ein Delisting beschlossen, muss den Minderheitsaktionären ein Pflichtangebot für die ausstehenden BDR zu einem fairen Preis gemacht werden.Dr. Tobias Stirnberg ist Anwalt der Kanzlei Shearman & Sterling in Frankfurt und SÒo Paulo. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.