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Finanzinformationen im Web 2.0

Neue Internetplattformen setzen auf "kollektive Intelligenz" der User und nutzergenerierte Inhalte

Finanzinformationen im Web 2.0

Von Franz Công Bùi, Frankfurt Immer mehr Anbieter drängen auf den Markt für Finanzinformationen im Internet. Dabei sollte man meinen, dass es bereits genügend Finanzportale im World Wide Web gibt. Die neuen Finanzportale beschreiten jedoch neue Wege im Vergleich zu den angestammten Anbietern, die entweder wie zum Beispiel Onvista oder boersen-zeitung.de auf redaktionell erstellte Inhalte vertrauen und weitgehend auf von Nutzern generierten Content verzichten, oder aber wie Wallstreet Online oder Ariva im Wesentlichen umfangreiche Diskussionsforen anbieten. Denn die neuen Portalbetreiber setzen auf die technologischen Innovationen des sogenannten Web 2.0 sowie auf die “kollektive Intelligenz” der Nutzer, das Wissen der Masse. Ein wesentliches Merkmal von Web-2.0-Plattformen besteht darin, dass sich die Nutzer mithilfe der neu entstandenen Technologien nun auf vielfältige Weise an Inhalt und Aufbau von Webplattformen beteiligen können. So entsteht “user generated content” durch Nutzerkommentare in geschriebener oder gesprochener Form sowie in bewegten Bildern, aber auch über neuartige Ranking- und Bewertungssysteme sowie über erweiterte Möglichkeiten der inhaltlichen und persönlichen Vernetzung zum Austausch finanzmarktrelevanter Informationen. Überprüfung und VergleichJüngst entstandene Anbieter wie Brokr, Myratings, Tradingbird, Sharewise oder Trendlink (siehe Tabelle) machen sich diese Möglichkeiten zunutze und versuchen so die Suche nach Wertpapierinformationen effizienter zu gestalten. Viele der angebotenen Dienste stellen hierbei eine evolutionäre Weiterentwicklung von klassischen Foren dar, in denen viele Nutzer sich schon seit jeher untereinander austauschen.Doch wo bei den gängigen Börsenforen zumeist eine Aktienempfehlung nach entsprechender Diskussion in Vergessenheit gerät, wollen einige der neuen Plattformen die Aktienempfehlungen von Nutzern sowie professionellen Analysten aggregieren, speichern und mit der realisierten Kurs-Performance vergleichbar machen. Auf diese Weise soll die Qualität der Empfehlungen nachträglich überprüfbar werden, und es soll ersichtlich sein, wessen Kauf- oder Verkaufsempfehlungen sich bewahrheitet haben und wer die bessere Rendite erwirtschaftet hat. Qualität entscheidetEin solcher Status- und Erfolgsausweis soll für Transparenz sorgen und die Qualität der Inhalte sichern. Damit wollen sich die neuen Plattformen abheben von den gängigen Börsen-Diskussionsforen, in denen weitgehend ungefiltert Informationen verbreitet werden, denen vielfach der Vorwurf mangelhaften Niveaus oder fehlender Seriosität bis hin zur Kurstreiberei anhängt.Das soll bei den neuen Anbietern vermieden werden, indem die Nutzer sich gegenseitig überprüfen und einstufen mithilfe mannigfaltiger Bewertungs- und Alarmfunktionen sowie Rankings und Einsicht in die Investmentprofile. Dabei sollen die Mitglieder gleichzeitig vom Wissen der anderen Teilnehmer der jeweiligen Finanz-Community profitieren. Das Mitteilungsbedürfnis der Mitglieder beziehungsweise ihr Wunsch, das eigene Können zur Schau zu stellen, soll hierbei eine wesentliche Triebfeder für die Entstehung von Inhalten auf diesen Portalen bilden. Bei allen Gemeinsamkeiten der neuen Plattformen gibt es aber doch zwischen ihnen einige Unterschiede. *Brokr ist im Wesentlichen eine Börsenspielplattform, bei der registrierte Nutzer bis zu 250 000 Euro gewinnen können. Die Webseite richtet sich an Einsteiger und bietet derzeit zwei Börsenspiele an, die mit Community- und Ranking-Funktionen kombiniert sind. Hier können alle an der Börse Stuttgart gelisteten Aktien gehandelt werden.Betrieben wird Brokr von der Fidor AG, deren Vorstand unter anderem aus dem ehemaligen Vorstandschef der HVB-Tochter DAB Bank, Matthias Kröner, und Martin Kölsch, u. a. vormals Mitglied des HVB-Vorstands, besteht. Im Dezember 2007 erst hatte Kröner die Börsen-Community Brokr für 75 000 Euro in einer Ebay-Auktion erworben und einen Strategiewechsel hin zur jetzigen Plattform vollzogen. Zum damaligen Zeitpunkt verfügte Brokr über 3 300 registrierte Nutzer. Aktuelle Zahlen werden derzeit nicht kommuniziert, den Angaben eines Sprechers zufolge wächst die Community momentan wöchentlich um 1 000 User, vornehmlich “junge Leute, die über einen spielerischen Einstieg an das Thema Börse herangeführt werden”. *Ein Börsenspiel mit Geldgewinnen bietet auch der Onvista-Ableger Tradingbird, eigenen Angaben zufolge die “erste intelligente Börsen-Community im deutschsprachigen Internet”. Das Spiel steht jedoch nicht im Zentrum der vor zwei Monaten gestarteten Plattform, die mithilfe eines eigens entwickelten Bewertungssystems, Alarmfunktionen sowie mit Rankings und Investmentprofilen wertvolle, von Nutzern generierte Anlageinformationen bieten will. Tradingbird ist eine Tochter der Onvista-Mutterfirma Boursorama, die wiederum eine Tochter der französischen Société Générale ist. Bewertung à la EbayZentraler Punkt der Plattform ist das Ratingsystem, mit dem Nutzer ähnlich wie beim Internetauktionshaus Ebay die Tipps und Investmentinformationen der anderen Teilnehmer sowie einzelne Wertpapiere bewerten können. Je mehr Mitglieder beispielsweise eine Aktie bewerten, desto aussagekräftiger soll der Trend sein, der sich abzeichnet. Dabei können Nutzer eigene News und Analysen zu Wertpapieren verfassen oder auf externe Quellen verweisen. Die Qualität der Nutzerinhalte soll durch die Community-Mitglieder selbst ohne Moderation durch den Betreiber gesichert werden. Bei Tradingbird können Aktien, Fonds, Optionsscheine und diverse Zertifikatetypen gehandelt werden.Die Nutzung ist derzeit kostenlos, später wird es laut einer Tradingbird-Sprecherin Premiumkonten geben. Den Angaben zufolge liegt die Anzahl der registrierten Nutzer im mittleren vierstelligen Bereich. Die Zahl der unregistrierten User beträgt laut Tradingbird ein Vielfaches davon, denn auch als reiner Besucher kann man bereits auf die meisten Informationen zu Wertpapieren und Mitgliedern zugreifen. Das ist nicht zuletzt wichtig, da sich diese Plattform wie auch die anderen Anbieter durch die Vermarktung von Online- Werbung finanzieren soll.Eine Verzahnung mit der Transaktionsplattform der Onvista Bank (ehemals Fimatex, ebenfalls eine Boursorama-Tochter) zur Durchführung realer Wertpapierorders ist für das vierte Quartal geplant, so dass wie bei Onvista Banking- und Brokerage-Dienstleistungen in das Angebot integriert sein werden. * Die vor einem Jahr gestartete Plattform Sharewise verfolgt einen anderen Weg zu mehr Transparenz und hat sich das Anliegen des Anlegerschutzes auf die Fahne geschrieben. Die Betreiber speichern für Auswertungszwecke die Einschätzungen ihrer Nutzer, ob eine jeweilige Aktie steigt oder fällt, den Aktienkurs bei Abgabe der Einschätzung, das für in sechs Monaten angegebene Kursziel sowie die zugehörige Begründung, warum der Kurs sich so entwickeln wird. Im Nachhinein wird überprüft, wessen Kauf- oder Verkaufsempfehlungen sich bewahrheitet haben und wer somit die bessere Rendite erwirtschaftet hat. Bei Sharewise erweist sich eine Empfehlung als richtig, wenn der Kurs bei einer Kaufempfehlung in sechs Monaten um mindestens 5 % gestiegen ist. Die Einschätzungen der Nutzer werden zudem verglichen mit derzeit 7 150 Aktienempfehlungen von mehr als 30 Banken und Analysehäusern, die Erhebungen von Sharewise zufolge hierbei nicht sonderlich gut abschneiden. Im vergangenen Monat veröffentlichten die Betreiber der Plattform zum zweiten Mal eine Vergleichsstudie, der zufolge die besten Analysten eine Trefferquote von knapp 74 % erreichten, während die schlechtesten mit weniger als 20 % ihrer Einschätzungen richtig lagen. Im Schnitt hätten laut Studie nur 44 % der Empfehlungen “ins Schwarze getroffen”.Die Studie wird jedoch von professionellen Finanzmarktakteuren als rein quantitativ kritisiert. Die weiteren Abwägungen einer Analystenempfehlung würden bei einer Fokussierungen auf Kauf- oder Verkaufsempfehlungen vernachlässigt. Und auch das 5-%-Kriterium sei willkürlich gewählt. Sharewise-Mitbegründer Nicolas Plögert ist dennoch vom Wert der von den Nutzern getroffenen Einschätzungen überzeugt, denn ein User tue sich bei Analysen leichter als Analysten, schließlich habe er keinen Interessenkonflikt und weniger externe Zwänge. Hinzu komme, dass auf der Plattform das Wissen des Einzelnen gezielt mit dem der Community multipliziert werde. Nutzer vs. Analysten Derzeit gibt es Sharewise zufolge 27 879 Empfehlungen zu 9 000 an der Frankfurter Börse handelbaren Aktien auf der Plattform. Mehr als die Hälfte der Einschätzungen stammt von den Community-Mitgliedern. Was den Neubestand angeht, gab es im vergangenen Monat doppelt so viele Nutzerempfehlungen wie Analysteneinschätzungen. Laut Plögert liegt die Anzahl der registrierten Mitglieder “im guten fünfstelligen Bereich”.In der Geschäftsführung von Sharewise sitzt neben Plögert der andere Mitbegründer, Stefan Nothegger. Die Brokr-Mutterfirma Fidor AG ist an Sharewise ebenso beteiligt wie die Investorin Christiane zu Salm mit About Change Ventures. Plögert ist zuversichtlich, mit dem für Nutzer kostenlos verfügbaren Portal im Laufe des kommenden Jahres über Werbeeinnahmen in den schwarzen Zahlen zu landen. Über die Integration einer Transaktionsplattform werde zwar durchaus nachgedacht, aber derzeit sei in dieser Richtung nichts Konkretes geplant. * Einen anderen Ansatz verfolgt die gestern mit einem öffentlichen Betatest gestartete Plattform Trendlink. Bei diesem “Wissensportal” bilden Community-Angebote und von Nutzern generierte Inhalte lediglich einen Seitenaspekt. Zunächst einmal geht es dem Betreiber Holger Aßmann darum, über eine “semantische Informationsarchitektur” einen neuen Zugang zu Wertpapierinformationen zu schaffen. Der Gründer und Geschäftsführer der Trendlink GmbH beschäftigt sich seit Mitte der neunziger Jahre mit dem Thema Online-Börseninformationen und entwickelte seinerzeit die erste deutsche Börsen-Community Brokerboard für den Online-Anbieter Cortal Consors.Das kostenfreie Börseninformationsportal Trendlink richtet sich laut Aßmann insbesondere an Privatanleger, die einen interessanten Trend ausgemacht haben und themenorientiert dazu passende Aktien in Zukunftsmärkten für langfristige Anlagen suchen, Informationen zu den Wertpapieren eines solchen Trends benötigen sowie sich darüber mit anderen Anlegern austauschen möchten.Die Idee dazu kam Aßmann, als er für sein eigenes Portfolio nach Trends und damit verbundenen Aktien suchte. Dabei stellte er fest, dass bei den bestehenden Finanzplattformen eine themen- oder trendorientierte Suche zumeist nicht möglich ist. Gerade bei einem neuen Trend wäre es zudem sehr schwer, die richtigen Aktien dazu zu finden.Anhand einer semantisch verknüpften Suche nach Schlagwörtern werden bei Trendlink Aktien, Fonds oder Branchen zugeordnet und anzeigt. Die einzelnen Trends werden mit KGVs bewertet sowie verglichen und enthalten Untertrends sowie Aktien. Die Trends werden zueinander in Beziehung gesetzt, daher auch der Name Trendlink, und Aktien mit dem passenden thematischen Umfeld verknüpft. Dabei tauchen auch solche Trends auf, die nicht zwingend naheliegend sind oder eine Randexistenz am Finanzmarkt führen: “Bei einem Goldrausch ist es nicht nur lukrativ, dem Gold nachzugehen, sondern vielleicht auch, in den Schaufelhersteller zu investieren”, erklärt Aßmann.Bei der Suche nach dem Begriff “CO2” beispielsweise erhält der Nutzer verschiedene Trends aus dem Bereich “Klimaerwärmung”. Hier gibt es schon seit längerem die Untertrends Windkraft und Solarenergie. Dementsprechend hoch ist das KGV der zugehörigen Aktien und Branchen. Bei Trendlink findet der Nutzer aber auch den Trend Geothermie mit Wertpapieren, die über ein niedrigeres KGV verfügen. Damit verknüpft sind zudem Themen wie die Substitution von Erdöl und daran anhängend z. B. die Enzymbranche. Denn wenn Erdöl als Energieträger oder als Rohstoff im Chemiebereich ersetzt werden soll, werden Enzyme laut Aßmann mittelfristig relevant.Der Einstieg in einen Trend kann aber auch über ein einzelnes Aktienporträt erfolgen. Dann erfährt der Nutzer über die Suche nach einem Wertpapier, in welchen Trends die Aktie noch vertreten ist. Trends aus dem PrivatlebenZum nun erfolgten Start der Plattform werden bereits über 200 Trends zu mehr als 2 000 Aktien aufgeführt. Dabei liegt der Fokus auf Aktien. Zertifikate und Fonds sollen zu einem späteren Zeitpunkt in das Angebot mit aufgenommen werden. Die Trend- und Aktienlisten werden von einem festen redaktionellen Stab sowie mithilfe der Community zum Beispiel im moderierten Forum erweitert. Gerade Privatanleger könnten aus ihrer persönlichen Erfahrung heraus neue Trends und Zukunftsbranchen identifizieren, hofft Aßmann, der den Aufbau des Portals komplett privat ohne Wagniskapital finanziert hat.Trendlink soll sich wie alle anderen neuen Finanzplattformen über die Vermarktung von Online-Werbung tragen. Die Aussichten für die neuen Börsen-Communitys sind dabei nicht so schlecht. Angaben von Nielsen Media Research zufolge werden hierzulande die Ausgaben der Finanzdienstleister für Online-Werbung 2008 um fast 75 % im Vergleich zum Vorjahr auf knapp 80 Mill. Euro ansteigen. Um sich einen Anteil an diesem Kuchen zu sichern, müssen die Betreiber der Web 2.0-Finanzplattformen jedoch für die anhaltend hohe Qualität der von Nutzern erstellten Inhalte sorgen.