RECHT UND KAPITALMARKT

Finanztransaktionssteuer vor dem Scheitern

Hohe rechtliche Hürden nicht zu überwinden - Zahlreiche Verstöße gegen geltende EU-Vorschriften - Verfahren in der Sackgasse

Finanztransaktionssteuer vor dem Scheitern

Von Jan Liepe und Hendrik Pielka *)Nachdem der Richtlinienvorschlag der Kommission zur Finanztransaktionssteuer (FTS) im Sommer nicht in sämtlichen EU-Mitgliedstaaten die nötige Zustimmung erreichte, haben Anfang Oktober elf Mitgliedstaaten einen Antrag auf Errichtung einer Verstärkten Zusammenarbeit zur Einführung der FTS gestellt. Eine Steuereinführung in der Gesamtunion war namentlich am Widerstand von Großbritannien, Schweden und Luxemburg gescheitert.Die Kommission gab jetzt grünes Licht für die Umsetzung im Kreise der “willigen” Staaten. Im weiteren Gesetzgebungsfahrplan müssen der Errichtung der Verstärkten Zusammenarbeit nun das EU-Parlament und der Rat (in der Zusammensetzung sämtlicher 27 Mitgliedstaaten) jeweils mit den vorgesehenen Mehrheiten zustimmen. Vorbehaltlich dieser zeitnah erwarteten förmlichen Ermächtigung hat die Kommission angekündigt, auf Grundlage ihres in der Gesamtunion gescheiterten Entwurfs bis Jahresende einen konkreten Richtlinienvorschlag zur Einführung der FTS im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit zu erarbeiten, um die FTS spätestens bis 2014 einzuführen. Die Annahme der Richtlinie bedarf der Anhörung des EU-Parlaments sowie der Zustimmung sämtlicher Teilnehmerstaaten im Rat.Entgegen dem Zeitplan der Kommission ist das Verfahren offenbar festgefahren. Jüngsten Berichten zufolge rechnet etwa das Bundesfinanzministerium mit erheblich langwierigeren Verhandlungen auf EU-Ebene. Mit der Steuereinführung ist demnach nicht vor 2016 zu rechnen. Diese Verzögerungen überraschen nicht. Selten war ein Gesetzgebungsvorhaben der EU einerseits von einem so populistischen Regelungseifer getrieben und stand andererseits rechtlich auf solch tönernen Füßen.Bereits die materiellen Voraussetzungen für die Errichtung der Verstärkten Zusammenarbeit sind nicht erfüllt. Nach Artikel 326 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ist die Zusammenarbeit nur zulässig, wenn sie den Binnenmarkt nicht beeinträchtigt, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten nicht behindert und zu keinen Wettbewerbsverzerrungen führt.Die Einführung einer FTS lediglich in einem beschränkten Kreis von gegenwärtig elf Mitgliedstaaten, die an zentralen Finanzplätzen der EU (z. B. London oder Luxemburg) nicht gilt, droht all diese Vorgaben zu verletzen. Sie konterkariert zugleich die Zielsetzung der Best-Execution-Vorgaben der Finanzmarktrichtlinie Mifid, einen fairen, europaweiten Wettbewerb zwischen den Handelsplätzen zu schaffen. Handelsplätze in Staaten, in denen die Steuer erhoben wird, sind gegenüber Wettbewerbern ohne FTS im Nachteil. Folgeanalyse fehltNoch 2011 war die Kommission in ihrem Richtlinienvorschlag auf Grundlage umfassender Auswirkungsstudien zu einer deckungsgleichen Bewertung gelangt, hatte wegen der befürchteten wettbewerbsverzerrenden Zersplitterung des Binnenmarktes für Finanzdienstleistungen Alleingänge einzelner oder mehrerer Mitgliedstaaten abgelehnt und die Einführung der Steuer in der gesamten Union gleichsam zur Vorbedingung einer schrittweisen globalen Vorhabenumsetzung erhoben, bei der die EU eine Vorreiterrolle einnehmen sollte. Es ist daher bemerkenswert, dass die Kommission ihre Bedenken aus dem Vorjahr nun bei der Antragsbilligung anscheinend zerstreut sieht, jedoch eine konkrete Folgenanalyse schuldig bleibt, zu der sie sowohl das EU-Parlament in einer Entschließung vom Sommer als auch zuletzt die Antragsteller selbst aufgefordert hatten.Jenseits der rechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit der Verstärkten Zusammenarbeit als solcher bestehen weitere durchgreifende Zweifel hinsichtlich der rechtlichen Eignung der FTS, über die angestrebte Verringerung risikoreicher Handelsgeschäfte das Lenkungsziel einer nachhaltigen Stabilisierung des Finanzsektors zu erreichen. Die mangelnde Tauglichkeit zur Krisenprävention hatte der IWF 2010 festgestellt und der Einführung der Steuer auf globaler Ebene daher eine Absage erteilt. Damit jedoch nicht genug: Auch die eigene Folgenabschätzung der Kommission bestätigt der FTS keinen nennenswerten Beitrag zur risikomindernden Finanzmarktstabilisierung.Ebenso kritisch verhält es sich mit dem weiteren Regelungsziel der Steuer, den Finanzsektor als ausgemachten Verursacher der Krise umfänglich für die Kosten der Krisenbewältigung heranzuziehen. Die Kommission räumt selbst ein, dass die Ursachen der Finanzkrise 2008 äußerst vielschichtig sind. Sofern man wirklich vermeintliche Verursacher in dem der Steuer allein unterliegenden Wertpapierhandel suchen will, würde allenfalls der häufig intransparente OTC-Handel von Derivaten ins Blickfeld rücken. Demgegenüber ist es in Anwendung des im Sonderabgabenrecht beheimateten Verursacherprinzips nicht nachvollziehbar, welchen konkreten Beitrag beispielsweise der Wertpapierhandel in Aktien und Anleihen über regulierte und transparente Börsenplätze zur Krise geleistet haben soll, der seine Heranziehung zur Kostentragung rechtfertigen könnte. Keine VerursacherDiese Erwägung gilt erst recht für die an organisierten Handelsplätzen tätigen Market Maker. Deren gesetzliche Aufgabe ist es, den Märkten über ihre fortlaufende Handelsbereitschaft dringend benötigte Liquidität bereitzustellen. Es handelt sich um eine volkswirtschaftlich erwünschte Funktion, die insbesondere in Krisenzeiten und volatilen Marktphasen gefragt ist. Daher sind diese Unternehmen beispielsweise von der EU-Leerverkaufsverordnung ausgenommen. Market Maker haben aufgrund ihrer den Wertpapierhandel lediglich unterstützenden Funktion nachweislich keinen Krisenverursachungsbeitrag geleistet, der einen tauglichen Anknüpfungspunkt für eine Steuerbelastung bilden könnte – im Gegenteil. Dennoch zählen die Marktintermediäre faktisch zu den Hauptbelasteten der geplanten Steuer. Diese würde die üblichen Courtagen und Serviceentgelte um ein Vielfaches übersteigen.Die FTS hätte daher einen verbotenen steuerlichen Erdrosselungseffekt und verstieße zugleich gegen die durch primäres EU-Recht geschützte Dienstleistungs- und Berufsfreiheit der betroffenen Unternehmen. Die Rechtswidrigkeit der Steuererhebung in einem wesentlichen Anwendungsfall der FTS stellt die rechtliche Eignung und Schlüssigkeit des Steuerkonzepts insgesamt infrage. Wesentliche AbweichungEin bislang nur wenig beachteter rechtlicher Stolperstein liegt schließlich in der Richtlinie 2008/7/EG. Diese erlaubt lediglich die Besteuerung der “Übertragung” von Wertpapieren, untersagt jedoch die von der FTS vorgesehene Besteuerung der Wertpapiertransaktion an sich. Für die geplante Einführung der Steuer im Rahmen der Verstärkten Zusammenarbeit führt dies in eine letztlich ausweglose Situation: Die zum für alle Mitgliedstaaten geltenden Unionsrecht zählende Richtlinie ist durch Maßnahmen im Rahmen einer Verstärkten Zusammenarbeit (die naturgemäß nur in einem Teil der Mitgliedstaaten umgesetzt werden) nicht abdingbar.Sollte hingegen in Übereinstimmung mit der Richtlinie 2008/7/EG nach dem Vorbild der britischen Stempelsteuer nur die eigentumsrechtliche Wertpapierübertragung von Aktien und Anleihen (nicht jedoch von Derivaten) besteuert werden, wie es jüngsten Berichten zufolge nun offenbar Berlin erwägt, läge hierin eine wesentliche Abweichung von dem ursprünglichen Richtlinienvorschlag zur FTS aus dem Jahr 2011. Die Einführung dieses rechtlich neuen Vorhabens müsste zunächst wieder europaweit in sämtlichen 27 Mitgliedstaaten angestrebt werden. Eine Verstärkte Zusammenarbeit wäre demgegenüber bis auf Weiteres gesperrt. Nüchtern betrachtet ist das laufende Gesetzgebungsvorhaben damit gescheitert.—-Jan Liepe ist Partner, Dr. Hendrik Pielka Counsel bei Waldeck Rechtsanwälte.