Recht und Kapitalmarkt

Firmen mit neuer Durchbrechungsregel konfrontiert

Hindernisse für Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen - Große Bedeutung für börsennotierte Familiengesellschaften

Firmen mit neuer Durchbrechungsregel konfrontiert

Von Stephan Harbarth *) Die für Ende dieser Woche erwartete Verabschiedung des sog. Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetzes durch den Deutschen Bundestag führt zu keiner Generalrevision des Wertpapiererwerbs- und Übernahmegesetzes (WpÜG), sondern nur zu punktuellen Änderungen. Denn bereits bei Verabschiedung des am 1. Januar 2002 in Kraft getretenen WpÜG hatte die im Frühjahr 2004 beschlossene und nun umzusetzende EU-Übernahmerichtlinie deutliche Konturen angenommen, die vom nationalen Gesetzgeber seinerzeit berücksichtigt wurden. Einigen der zu erwartenden Änderungen kommt für die Praxis gleichwohl eine weitreichende Bedeutung zu. Dies gilt insbesondere für die sog. Europäische Durchbrechungsregel. Übernahmen erleichtertZiel der Europäischen Durchbrechungsregel ist es, im Rahmen der Übernahme einer börsennotierten Aktiengesellschaft (sog. Zielgesellschaft) die Wirksamkeit bestimmter Satzungsregeln sowie vertraglicher Vereinbarungen, die Übernahmen erschweren können, vorübergehend aufzuheben. Diese Wirksamkeitsbeschränkung betrifft zwei verschiedene Stadien eines Übernahmeverfahrens, nämlich zum einen die Zeit, in der das Angebot angenommen werden kann, zum anderen die erste vom Bieter nach Angebotsschluss einberufene Hauptversammlung. Im Hinblick auf die erste Phase sieht die Richtlinie vor, dass bestimmte Beschränkungen der Übertragbarkeit von Aktien sowie bestimmte Stimmrechtsbeschränkungen in einer über Abwehrmaßnahmen beschließenden Hauptversammlung keine Wirksamkeit besitzen. Hierdurch soll sichergestellt werden, dass die Aktionäre, denen ein Übernahmeangebot unterbreitet wird, in ihrer Entscheidungsfreiheit nicht beeinträchtigt werden. Während der zweiten Phase, also der ersten auf Initiative des Bieters abgehaltenen Hauptversammlung, sollen Satzungsbestimmungen und Stimmrechtsbeschränkungen, die den Bieter bei der Integration des erworbenen Unternehmens in seinen Konzern behindern könnten, keine Wirksamkeit entfalten.Der Regierungsentwurf zum voraussichtlich im Juni in Kraft tretenden Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz macht indes von der durch die Richtlinie eingeräumten Möglichkeit Gebrauch, von der Umsetzung der Europäischen Durchbrechungsregel im Sinne zwingender Vorgaben abzusehen (sog. “opt out” der Mitgliedstaaten). Entsprechend der Richtlinie räumt der Regierungsentwurf den Gesellschaften jedoch die Möglichkeit ein, freiwillig für die Durchbrechungsregel zu optieren (sog. “opt in” der Gesellschaften). Die einschlägigen Vorgaben der Übernahmerichtlinie gelten in Deutschland mithin nur für die Gesellschaften, die sich in ihrer Satzung der Durchbrechungsregel unterwerfen. Vielfältige Verträge betroffenOptiert die Gesellschaft für die Durchbrechungsregel, gelten während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots Beschränkungen, die die Satzung für die Übertragung vinkulierter Namensaktien vorsieht, nicht gegenüber dem Bieter. Sie können also ausnahmsweise auch ohne Zustimmung der Gesellschaft übertragen werden. Unwirksam sind in dieser Phase ferner Beschränkungen der Übertragbarkeit von Aktien, die zwischen der Zielgesellschaft und Aktionären oder zwischen Aktionären vereinbart wurden. Dies betrifft neben Abreden, wonach Aktien nicht oder nur unter bestimmten Voraussetzungen übertragen werden dürfen, insbesondere Vorkaufs- und Vorerwerbsrechte, nicht hingegen noch nicht erfüllte Kaufverträge. Weitreichende Auswirkungen hat das neue Recht vor allem im Bereich börsennotierter Familienaktiengesellschaften, in denen die einzelnen Familienmitglieder sich häufig wechselseitigen Übertragungsbeschränkungen und Vorkaufs- oder Vorerwerbsrechten unterwerfen. Diese gelten in Übernahmesituationen künftig grundsätzlich nicht mehr, wenn die Gesellschaft für die Nichtgeltung optiert. Insgesamt wird es in der juristischen Praxis hierdurch wesentlich schwieriger, in börsennotierten Familiengesellschaften übliche Vereinbarungen über Übertragungsbeschränkungen und Vorkaufs- oder Vorerwerbsrechte “wasserdicht” umzusetzen. Praktisch bedeutsam ist jedoch, dass mit Nichtaktionären vereinbarte Übertragungsbeschränkungen von der Gesetzesbestimmung grundsätzlich nicht erfasst werden. Zur Erlangung der “Übernahmeresistenz” solcher Vereinbarungen wird die Praxis deshalb danach streben, an ihnen auch Nichtaktionäre zu beteiligen; als nicht ausreichend dürfte sich indes die Beteiligung solcher Dritter erweisen, die einem Aktionär zuzurechnen sind (z. B. nahe Angehörige). Keine Wirkung entfalten während der Annahmefrist eines Übernahmeangebots ferner Stimmbindungsverträge in einer Hauptversammlung, die über die Ermächtigung des Vorstands zu Abwehrmaßnahmen beschließt.Weitreichende Auswirkungen hat eine Entscheidung der Gesellschaft für die Anwendung der Europäischen Durchbrechungsregel auch in der ersten Hauptversammlung, die auf Verlangen des Bieters einberufen wird, um die Satzung zu ändern oder über die Besetzung der Leitungsorgane der Gesellschaft zu entscheiden. Dort entfalten Stimmbindungsverträge keine Wirkung, sofern der Bieter nach dem Angebot über mindestens 75 % der Stimmrechte der Zielgesellschaft verfügt. Dies erleichtert dem Bieter die Durchsetzung seiner Vorstellungen in dieser Hauptversammlung und damit die Integration des erworbenen Unternehmens in seinen Konzern. SonderregelungKeine Anwendung findet die Durchbrechungsregel auf Vorzugsaktien ohne Stimmrecht sowie auf vor dem 22. April 2004 vereinbarte Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen. Gegenwärtig schwer prognostizierbar ist dabei das rechtliche Schicksal vor dem 22. April 2004 geschlossener, später geänderter Vereinbarungen über Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen. Insoweit dürfte viel dafür sprechen, dass jedenfalls solche Vertragsänderungen die “Übernahmeresistenz” der Vertragswerke nicht beeinträchtigen, die die Vertragsklauseln über die Übertragungsbeschränkungen und Stimmbindungen selbst unberührt lassen. Möchte man die “Übernahmeresistenz” bereits vor dem 22. April 2004 geschlossener Verträge nicht gefährden, muss bei Vertragsänderungen in jedem Fall behutsam vorgegangen werden.Werden aufgrund der Durchbrechungsregel Aktionären Rechte entzogen, hat der Bieter zwar eine angemessene Entschädigung in Geld zu leisten. Die entstandene Beeinträchtigung vermag dies jedoch deshalb nicht aufzuwiegen, weil Geldersatz oft nur eine unzureichende Kompensation der erlittenen Beeinträchtigung darstellt (z. B. wenn Vorkaufsrechte begründet wurden, um substantielle Veränderungen der Anteilseignerstruktur aus strategischen Gründen zu verhindern). Die diversen dargestellten Elemente der Europäischen Durchbrechungsregel können nicht einzeln, sondern nur “im Paket” für anwendbar erklärt werden. Eine Einschränkung ist lediglich unter dem Aspekt fehlender Gegenseitigkeit möglich: Die Hauptversammlung einer für die Durchbrechungsregel optierenden Zielgesellschaft kann beschließen, dass die Durchbrechungsregel keine Anwendung findet, wenn der Bieter oder ein ihn beherrschendes Unternehmen keiner entsprechenden Regelung unterliegt. Ein solcher “Befreiungsbeschluss” wird voraussichtlich für höchstens 18 Monate gelten. Dies verdeutlicht die unterschiedlichen Zwecke, die mit der statutarischen Anwendung der Europäischen Durchbrechungsregel verfolgt werden können. Bezweckt sein kann die möglicherweise kursstimulierende Erleichterung der Übernahme der eigenen Gesellschaft. Von größerer Bedeutung dürfte indes sein, dass die Anwendung der Regel die Übernahme anderer Gesellschaften erleichtern kann, weil ihnen die Möglichkeit genommen wird, sich ihrerseits auf die fehlende Gegenseitigkeit zu berufen.*)Dr. Stephan Harbarth ist Rechtsanwalt und Partner bei Shearman & Sterling. Der Autor war Sachverständiger vor dem Finanzausschuss des Deutschen Bundestags zum Übernahmerichtlinie-Umsetzungsgesetz.