Recht und Kapitalmarkt

Frühes Informationsbedürfnis bei Übernahmeplänen

Britische Regulierung gegen Anschleichen gelungen - Deutscher Reformvorschlag greift kürzer - Unsicherheit über Schadenersatzregeln

Frühes Informationsbedürfnis bei Übernahmeplänen

Von Philipp Mohr und Arndt Stengel *)Das deutsche Übernahmerecht hat sich seit 2002 vielfach bewährt und wird international als gelungen eingeschätzt. Allerdings fehlen Regeln, die sich auf eine erwogene Übernahme beziehen, fast ganz. Die letzten Fälle, in denen das deutsche Kapitalmarktrecht Schlagzeilen im In- und Ausland, Stirnrunzeln und Schmunzeln hervorrief, betrafen den Aufbau von Interessenpositionen zur Vorbereitung von Übernahmen, vulgo “Anschleichen” genannt. Grund genug zu fragen, ob Konzepte aus anderen Rechtsordnungen in das deutsche Umfeld übernommen werden könnten. Dabei ist insbesondere die britische Regulierung interessant, da sie etabliert, detailreich und – um dies vorwegzunehmen – gelungen ist.Die Fälle Porsche/Volkswagen und Schaeffler/Continental haben den Gesetzgeber auf den Plan gerufen. Die Bieter erwarben bekanntlich bar abzuwickelnde (cash settled) Derivate, um eine wirtschaftliche Interessenposition an den Zielgesellschaften zu erlangen, ohne einen maßgeblichen Stimmrechtsbesitz melden zu müssen. Das ist rechtlich zulässig. Die geltenden Meldepflichten beschränken sich auf solche derivativen Positionen, bei denen der Inhaber verlangen kann, dass ihm Aktien übertragen werden. Neue MeldepflichtenWie vielfach berichtet, soll sich das ändern. Am 3. Mai hat das Bundesfinanzministerium den Diskussionsentwurf für ein Gesetz zur Stärkung des Anlegerschutzes und Verbesserung der Funktionsfähigkeit des Kapitalmarktes vorgelegt. Der Entwurf sieht Meldepflichten für bislang nicht vom Gesetz erfasste Finanzinstrumente vor, die eine wirtschaftliche Interessenposition von mindestens 5 % aufbauen. Damit wird der deutsche Gesetzgeber voraussichtlich in der zweiten Jahreshälfte nachvollziehen, was in anderen Rechtsordnungen bereits gilt, z.B. in Großbritannien. Die Meldepflichten sind hier wie dort unabhängig von einem bevorstehenden Übernahmeangebot.Das britische Kapitalmarktrecht geht deutlich weiter: Es verbietet den Einsatz von bar abgewickelten Derivaten zur Förderung von Übernahmen praktisch ganz, indem es diese dem Insiderhandelsverbot unterwirft. Systematisch fällt es schwer nachzuvollziehen, warum der Kauf einer Kurssicherung auf eine Aktie Insiderverhalten sein soll, wenn der Kauf der Aktie keins ist: Auch in Großbritannien stellt die Umsetzung der eigenen Absicht, eine Beteiligung aufzubauen, kein Insiderverhalten dar. Doch kann man ordnungspolitisch durchaus befürworten, dass auf Seiten des Bieters möglichst klare Verhältnisse herrschen sollen, weshalb er nur in Aktien und nicht in Derivate investieren soll.Außerdem werden in Großbritannien bar abgewickelte Derivate mitgezählt bei der Berechnung der 30 %-Schwelle, ab der ein Pflichtangebot vorgelegt werden muss.Ein potentieller Bieter muss in Deutschland in aller Regel nicht melden, ob er eine Übernahme plant. Das Wertpapierübernahmegesetz (WpÜG) sieht eine förmliche Meldung erst dann vor, wenn der Bieter entschieden hat, das Angebot zu machen. Das Informationsbedürfnis des Markts beginnt früher. Der Gesetzgeber hat mit dem Risikobegrenzungsgesetz auf den Fall des Aufbaus größerer Beteiligungen reagiert: Wer 10 % der Aktien an einer börsennotierten Gesellschaft erwirbt, muss inzwischen zwar melden, welche Ziele er mit seiner Beteiligung verfolgt. Die weitaus häufigsten Fälle von Marktgerüchten und Spekulationen zu Übernahmen werden aber nicht erfasst. Börsennotierte potentielle Bieter müssen häufig Informationen zu Übernahmeabsichten im Rahmen der Erfüllung eigener kapitalmarktrechtlicher Pflichten vornehmen. Bieter, die diesen Regeln nicht unterworfen sind, etwa private Investoren, Familienunternehmen und Beteiligungsfonds, können schweigen.Der britische City Code on Takeovers and Mergers (Rule 2) gibt dagegen dem Takeover Panel, das als Regulierungsinstanz fungiert, das Recht, vom möglichen Bieter eine Stellungnahme zu verlangen. Meist genügt eine unverbindliche Stellungnahme. In besonderen Fällen jedoch kann das Takeover Panel dem Bieter im sogenannten put up or shut up eine Frist setzen, innerhalb derer er das Angebot entweder formal ankündigen oder absagen muss. An die Absage ist er sechs Monate gebunden.Diese Regelung ist in der Praxis von hoher Bedeutung wie die Fälle National Express, Anglo American, Forth Ports (in diesen drei Fällen kein Angebot durch die jeweiligen Bieter) und Cadbury (erhöhtes und letztlich erfolgreiches Angebot von Kraft) in den letzten zwölf Monaten gezeigt haben.Wer eine Übernahme plant und hierzu eine Beteiligung aufbaut, tut dies in der Regel nicht nur über die Börse, sondern auch über Paketerwerbe. Die Verkäufer von Aktienpaketen knüpfen ihre Bereitschaft zu verkaufen häufig an eine sog. top up-Regelung: Ist der Käufer binnen eines bestimmten Zeitraums mit einem Übernahmeangebot erfolgreich, für das er mehr bezahlt als für das Aktienpaket, so erhält der Paketverkäufer die Differenz. Nach deutschem Recht ist das klar möglich, denn der Paketverkäufer kann durch diese Regelung nie einen höheren Kaufpreis erhalten als derjenige, der das öffentliche Angebot annimmt. Insoweit scheint der Gleichbehandlungsgrundsatz, der ein Herzstück des WpÜG ist, gewahrt.Der City Code (Rule 16) verbietet hingegen solche Geschäfte für Situationen, in denen eine Übernahme vorbereitet wird. Der Verkäufer des Pakets erhält den Verkaufserlös sicher und sofort, während derjenige, der das Angebot annimmt, zwar den womöglich besseren Preis bekommt, aber den Eintritt der Bedingungen und den Zeitablauf abwarten muss. Diese Balance werde gestört, so die Überlegung, wenn der Paketverkäufer die besten Elemente aus beiden Welten kombinieren könnte.Gelegentlich verspricht eine Vertragspartei der anderen für den Fall, dass eine Transaktion nicht zustande kommt, pauschalierten Schadensersatz. Solche Regelungen kommen häufig bei Übernahmen vor, mitunter auch in Deutschland – wenn etwa die Zielgesellschaft einen sogenannten weißen Ritter bestärkt, ein als feindlich empfundenes Übernahmeangebot eines anderen Bieters zu überbieten (so im Fall BC Partners/Techem 2006).Im deutschen Übernahmerecht fehlt der Ordnungsrahmen für solche break fees völlig. Die meisten Marktteilnehmer erachten sie in gewissem Rahmen für zulässig, doch die Rechtsunsicherheit ist groß. Regulierung kann für Klarheit sorgen: Der City Code (Rule 21) sieht vor, dass break fees bei öffentlichen Übernahmen bis zur Grenze von 1 % des Transaktionsvolumens zulässig sind. Im Fall Kraft/Cadbury blieb die break fee von 117 Mill. Pfund in diesem Rahmen.Wir unterscheiden in Deutschland zwischen den allgemeinen Regeln des Kapitalmarktrechts, die immer gelten, und dem Übernahmeverfahren, das erst durch die förmliche Ankündigung eines Angebots eingeleitet wird. Die Kapitalmarktregeln gehen davon aus, dass die Marktteilnehmer sich mit ähnlichen Interessenlagen einigermaßen gleichwertig gegenüberstehen. Die Übernahmeregeln schränken den Handlungsspielraum des Bieters zum Schutz der übrigen Marktteilnehmer ein. Der Zeitraum vor der förmlichen Ankündigung des öffentlichen Angebots, die Vorbereitungsphase also, wird nur von den allgemeinen Regeln erfasst, die nicht auf die besondere Interessenlage des möglichen Bieters abstellen. Dadurch wird das Anschleichen ungewollt erleichtert.In anderen Rechtsordnungen erprobte Lösungsansätze können helfen, die deutsche Regelung zu optimieren. Besonders die britischen Regeln erkennen die Vorbereitungsphase als Übergang zwischen den Regelungsgegenständen des allgemeinen Kapitalmarktrechts einerseits und des Übernahmeverfahrens andererseits und unterwerfen den möglichen Bieter besonderen Regeln. Dieser Ansatz ist überzeugend und nachahmenswert – unabhängig von der Frage, welche dieser Regeln im deutschen Recht wünschenswert wären.—-*) Dr. Philipp Mohr ist Managing Director und Head of M & A Advisory der Commerzbank. Dr. Arndt Stengel ist Partner von Clifford Chance und leitet den Bereich Corporate in Deutschland.