RECHT UND KAPITALMARKT - IM INTERVIEW: BINER BÄHR

"Für Gläubiger ist der Entwurf eine gute Nachricht"

Neuregelung für Konzerninsolvenzverfahren bestätigt die Praxis - Europa arbeitet in die gleiche Richtung

"Für Gläubiger ist der Entwurf eine gute Nachricht"

– Herr Dr. Bähr, Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger will Insolvenzverfahren großer Unternehmensgruppen besser koordinieren und damit mehr Werte erhalten als heute möglich. Das stellt die Ministerin in einem Beitrag für die heutige Ausgabe der Börsen-Zeitung (Seite 8) dar. Was sagt denn die Praxis zu dem Vorstoß?Es ist zu begrüßen, dass das Bundesministerium der Justiz nunmehr auch das Konzerninsolvenzrecht in den Blick nimmt. Bislang kennt das deutsche Insolvenzrecht keine besonderen Regelungen hierfür. Und das, obwohl die volkswirtschaftlich bedeutsamsten Unternehmen oft Konzerne sind. Gerät ein solcher Konzern in eine wirtschaftliche Schieflage, sollte unsere Rechtsordnung Lösungen parat haben, die eine größtmögliche Gesamtsanierungschance bieten und den Gläubigern eine optimale Befriedigung gewährleisten.- Was ist das Problem an der derzeitigen Rechtslage?Unser Insolvenzrecht ist zugeschnitten auf die Bewältigung der Insolvenz einzelner Unternehmen. Bei einer Konzerninsolvenz mit zahlreichen Tochtergesellschaften wird also über das Vermögen jeder Gesellschaft ein Insolvenzverfahren eröffnet, um die einzelnen Haftungsmassen aus Sicht der Gläubiger voneinander abzugrenzen. Dies kann dazu führen, dass Insolvenzverfahren deutschlandweit an unterschiedlichen Gerichten und mit verschiedenen Verwaltern eröffnet werden, obwohl die zum Konzern zusammengeschlossenen Unternehmen eigentlich eine wirtschaftliche Einheit sind. Durch diese Dezentralisierung und die fortan fehlende Konzernleitungsmacht wird es schwieriger, einen Konzern als Ganzes zu erhalten. Reibungsverluste zwischen den Insolvenzverfahren sind keine Seltenheit. Im schlimmsten Fall droht der unkontrollierte Konzernzusammenbruch.- Wo setzt die von Leutheusser-Schnarrenberger angedachte Gesetzesreform genau an?Wichtig ist: Es bleibt auch künftig bei dem Grundsatz: eine Gesellschaft, ein Vermögen, ein Insolvenzverfahren. Schon aus verfassungsrechtlichen Gründen ist es nicht möglich, ein konsolidiertes Verfahren einzuführen, bei dem die Vermögen aller Konzerngesellschaften in einem einzigen Insolvenzverfahren verwertet werden. Der vorliegende Diskussionsentwurf setzt aber zu Recht auf eine bessere Abstimmung zwischen den Insolvenzverfahren, etwa indem sämtliche Insolvenzverfahren eines Konzerns an nur einem Gericht und mit nur einem Verwalter durchgeführt werden. Für die Fälle, in denen Insolvenzverfahren an unterschiedlichen Gerichten eröffnet oder in denen verschiedene Verwalter bestellt werden, schafft der Entwurf Rechtsgrundlagen für die Zusammenarbeit zwischen Verwaltern, Gerichten und Gläubigerorganen.- Brauchen die Insolvenzgerichte den Anstoß aus Berlin oder leiten sie nicht schon heute zumindest teilweise Verfahren aus einem Guss ein?Die Praxis versucht natürlich auch heute schon, fantasievolle Lösungen zu finden. Denken Sie an die Fälle Kirch Media, Babcock Borsig, Arcandor/Quelle oder Teldafax. Diese Konzerninsolvenzverfahren sind nicht zufällig bei nur einem Gericht und nur einem Verwalter anhängig. Die angedachte Neuregelung wird diese Improvisation der Praxis auf eine sichere Grundlage stellen und Rechtssicherheit schaffen.- Wie ist die Resonanz bei den Gläubigern, die ja schließlich auch nicht immer zugleich bei Mutter und Tochter etwas zu verlieren haben?Für Gläubiger ist der Diskussionsentwurf eine gute Nachricht. Ihre Befriedigungsaussichten werden verbessert und ihre Einflussmöglichkeit auf das Verfahren vergrößert.- Gibt es Bestrebungen, Insolvenzverfahren auch grenzüberschreitend zu vereinheitlichen?Ja, der europäische Verordnungsgeber hat sich ebenfalls auf die Fahne geschrieben, die Behandlung von Konzerninsolvenzfällen zu regeln. Erst vor kurzem hat die Europäische Kommission vorgeschlagen, die Europäische Insolvenzverordnung (EuInsVO), die einen rechtlichen Rahmen für grenzüberschreitende Insolvenzverfahren in Europa bietet, zu ergänzen. Vorgesehen ist auch hier eine Koordinierung der Insolvenzverfahren, an denen Mitglieder derselben Unternehmensgruppe beteiligt sind. Die an den einzelnen Hauptverfahren beteiligten Verwalter und Gerichte sollen verpflichtet werden, miteinander zusammenzuarbeiten und zu kommunizieren. Die Verwalter erhalten in solchen Verfahren darüber hinaus die Befugnis, eine Aussetzung der anderen Verfahren zu beantragen und einen Sanierungsplan für die Mitglieder der Unternehmensgruppe vorzuschlagen, gegen die ein Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Nationale und europäische Gesetzgebung arbeiten insoweit beide in die gleiche Richtung.- Die Gilde der Insolvenzverwalter ist ja bekanntlich nicht immer einer Meinung, um es vorsichtig auszudrücken. Wird es nicht böses Blut geben, wenn künftig eine Person für mehrere oder alle Verfahren eines Konzerns als Verwalter bestellt werden soll? Fallen da nicht zahlreiche kleinere Büros hinten runter?In der Tat ist heute schon ein Konzentrationsprozess bei den Verwalterkanzleien zu beobachten. Letztlich geht es um die Interessen der Gläubiger und um bestmögliche Sanierungslösungen, und da ist eine zunehmende Professionalisierung nur gut.—-Dr. Biner Bähr ist Partner bei White & Case. Er war u. a. befasst mit den Insolvenzen von Hertie, Teldafax, Schieder und Hein Gericke. Die Fragen stellte Walther Becker.