Gebot der Transparenz schwächt deutschen Anleihemarkt
Die Bundesregierung hat jüngst den Entwurf eines Schuldverschreibungsgesetzes (SchVG) vorgelegt, mit dem das geltende Gesetz aus dem Jahr 1899 modernisiert werden soll. – Herr Bartsch, der Gesetzestext geht beim neu eingefügten Transparenzgebot an der Praxis vorbei und benachteiligt im Ergebnis Anleger. – Herr Bartsch, was sieht der Entwurf vor?Er sieht vor, dass in Anleihebedingungen die vom Schuldner versprochene Leistung durch einen Anleger, der hinsichtlich der jeweiligen Art der Schuldverschreibung sachkundig ist, ermittelt werden können muss. Das fordert nicht absolute Transparenz: Für den Manager eines Publikumsfonds werden also – insoweit sachgerecht – andere Maßstäbe angelegt, als für das sprichwörtliche “Lieschen Müller”. Nach der Gesetzesbegründung soll ein Verstoß “nach allgemeinen Vorschriften” einen Anspruch auf Schadenersatz begründen oder zur Nichtigkeit wegen Verstoßes gegen ein gesetzliches Verbot führen. – Sind Verstöße möglich?Schuldverschreibungen entstehen rechtlich erst durch den Ersterwerb. Anleihen – die im Gegensatz zu Anleihebedingungen im Gesetz nach wie vor nicht vorkommen – werden in der Praxis zunächst von den arrangierenden Banken erworben, auch um sie rechtssicher entstehen zu lassen, und erst dann weiterplatziert. Damit ist der “erste Anleger” immer sachkundig. – Läuft dadurch das Gesetz ins Leere?Natürlich könnte man auf die Sachkunde desjenigen abstellen, der die Anleihe später erwirbt. Allerdings kann der Schuldner der Anleihe – den in der Praxis üblichen Begriff Emittent sucht man im Gesetz vergeblich – nicht kontrollieren, wer die Anleihe später erwirbt. Dann kann aber nach allgemeinem Recht kein Schadenersatz verlangt werden, wenn keine Gefährdungshaftung eingeführt werden soll, denn den Emittenten trifft kein Verschulden. – Was sind die Auswirkungen der geplanten Nichtigkeitsfolge?Die Nichtigkeitsfolge erweist sich bei näherem Hinsehen als ebenso problematisch. Erstens träfe die Nichtigkeit alle Anleihegläubiger gleichermaßen. Wenn die Anleihe breit gestreut ist, kann man nicht ausschließen, dass nur ein Anleger als “Lieschen Müller” qualifiziert und dadurch die Nichtigkeit für alle, auch für den Fondsmanager, droht. Zweitens führt im AGB-Recht die Nichtigkeit dazu, dass anstelle der nichtigen Vertragsregelung die gesetzliche Regelung greift. Bei Anleihen fehlt aber – anders als beispielsweise im Kauf- oder Werkvertragsrecht – eine gesetzliche Risikoverteilung. – Und drittens?Es ist unklar, was die Folge sein soll, wenn die Schuldverschreibung und damit das Kaufobjekt nichtig ist. Sind Regelungen in einem Kaufvertrag über ein Auto nichtig, dann betrifft dies nur das Vertragsverhältnis zwischen Käufer und Verkäufer, nicht aber das Auto selbst. Rechtsmängel von Gesellschaftsverträgen führen regelmäßig zu einer “fehlerhaften Gesellschaft”, die zum Schutz des Rechtsverkehrs vermeidet, Gesellschaftsverträge für nichtig zu erklären. Das ähnlich gelagerte Problem wird also sachgerecht gerade nicht über Nichtigkeit gelöst. – Wie schätzen Sie die Folgen ein?Emittent und Arrangeure verlangen üblicherweise ein Rechtsgutachten, welches bestätigt, dass die Anleihebedingungen rechtswirksam und durchsetzbar sind. Wenn das Transparenzgebot wie jetzt vorgeschlagen Gesetz wird, dann muss – bis zur Klärung der Rechtsfolgen des Transparenzgebots durch den BGH, mit der im Zeitraum von zehn Jahren zu rechnen wäre – das Gutachten insoweit darauf hinweisen, dass vor Gericht und auf hoher See wir alle in Gottes Hand sind. Alles andere wäre ein Haftungsfall für den Gutachter. Damit kann die notwendige Bestätigung nach deutschem Recht nicht gegeben werden. Ein Gesetz, das das deutsche Recht kapitalmarktfähig machen will, liefert so ein weiteres Argument für die Flucht ins ausländische – insbesondere ins englische – Recht, das erfahrungsgemäß Nichtigkeit vermeidet und Anlegerschutz auf anderem Weg sicherstellt. – Was wäre zu tun?Wäre das Transparenzgebot nur auf Kaufverträge über die Anleihe anzuwenden, um so insbesondere die Rechte des Anlegers auf Aufklärung zu stärken, wären Anleger geschützt, ohne dass Emittent oder Arrangeur die Nichtigkeit oder Schadenersatz fürchten müssten. Da englisches Recht in Kaufverträgen mit deutschen Anlegern am Markt kaum durchsetzbar sein dürfte, wäre auch Ausweichtendenzen ein Riegel vorgeschoben. —– Andreas Bartsch ist Partner im Frankfurter Büro von Freshfields Bruckhaus Deringer.Die Fragen stellte Walther Becker.