PORTFOLIO - GASTBEITRAG

Gefährliche Sicherheiten

Börsen-Zeitung, 16.2.2013 Der Unterschied zwischen "sicher" und "gefährlich" ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Nehmen wir den Formel-1-Rennfahrer. Wenn er nicht mit riskant erscheinender Geschwindigkeit in eine Kurve fährt, besteht die...

Gefährliche Sicherheiten

Der Unterschied zwischen “sicher” und “gefährlich” ist nicht immer auf den ersten Blick erkennbar. Nehmen wir den Formel-1-Rennfahrer. Wenn er nicht mit riskant erscheinender Geschwindigkeit in eine Kurve fährt, besteht die Gefahr, dass sein Fahrzeug nicht genügend aerodynamischen Abtrieb erreicht, um auf der Rennstrecke zu bleiben. Investoren ergeht es ähnlich: Manchmal kann die Beschleunigung eines Portfolios durch eine höhere Allokation mit scheinbar risikoreichen Anlagen wie Aktien die richtige Strategie sein, um die nächste Kurve richtig zu nehmen – während vermeintlich sichere Anlagen wie beispielsweise Anleihen sich als die gefährlichsten erweisen können. Dies war zum Beispiel der Fall, als 1994 der Markt für Staatsanleihen zusammenbrach, als 2007 der Subprime-Markt für Collateralized Debt Obligations (CDO) – strukturierte, festverzinsliche Wertpapiere – mit einem “AAA”-Rating in Schwierigkeiten geriet und als die Staatsschuldenkrise in der Eurozone ausbrach. Hohe RisikenIn all diesen Situationen glaubten Investoren, sichere Anlagen zu tätigen. In Wirklichkeit setzten sie ihre Portfolios jedoch deutlichen Risiken aus. Viele Portfolios sind auch heute noch stark auf “sichere” Staatsanleihen ausgerichtet und vermeiden möglichst “riskante” Anlagekategorien wie Aktien.Das Gefühl der Sicherheit könnte sich jedoch als trügerisch erweisen. Viele Investoren fahren derzeit ein zu hohes Risiko, ohne dass sie es wissen. Die Renditen von Staatsanleihen befinden sich in vielen wichtigen Märkten beinahe auf 100-Jahres-Tiefs. Es besteht die Gefahr, dass die heutigen Portfolios unter künftig steigenden Zinsen erheblich an Wert verlieren werden. Schon eine geringe Renditeerhöhung einer fünfjährigen US-Staatsanleihe um nur 15 Basispunkte reicht aus, um den gesamten Zinsertrag eines ganzen Jahres aufzuzehren. Ein Anstieg gar um 250 Basispunkte, wie wir ihn 1994 gesehen haben, hätte verheerende Folgen für die “sicheren” Staatsanleiheportfolios. Fortsetzung der GeldpolitikUm Missverständnisse auszuschließen: Wir erwarten auf kurze Sicht keine Massenflucht aus Anleihen. Die Zentralbanken sind entschlossen, den Schuldenabbau zu unterstützen, indem sie ihre extrem lockere Geldpolitik fortsetzen. Dadurch werden die Zinsen und Anleiherenditen nahe ihrer Rekordtiefs gehalten. Die angespannte Lage am Arbeitsmarkt, die allmählich anziehende Inflation und ein schnelleres Wirtschaftswachstum werden die Anleger letztlich dazu bewegen, von Anleihen in Aktien umzuschichten. Die Frage ist nur wann.Viele entscheidende Merkmale, die für eine Übergewichtung von Aktien sprechen, sind derzeit vorhanden. Das Marktmomentum ist positiv, die langfristigen Aktienbewertungen sind attraktiv und die weltweite Wachstumsdynamik verbessert sich.So lassen etwa die Konjunkturdaten in der Eurozone erste Anzeichen einer Verbesserung erkennen. Der Gesamt-Einkaufsmanagerindex (PMI) kletterte von 47,2 im Dezember 2012 auf 48,2 im Januar 2013. Der Index befindet sich nun auf dem höchsten Stand seit zehn Monaten, auch wenn er weiterhin auf einen Konjunkturabschwung deutet. In China hat sich das Wirtschaftswachstum im vierten Quartal auf 7,9 % beschleunigt. Wir erwarten für 2013 eine weitere Zunahme auf 8,0 %. Antriebsmotoren sind vor allem der solide Anstieg des Privatkonsums, die erhöhten Infrastrukturinvestitionen und der anhaltende Effekt früherer geldpolitischer Lockerungsmaßnahmen. Indikatoren verbessern sichDie sich aufhellenden Wachstumsaussichten sorgten bereits für Optimismus an den chinabezogenen Anlagemärkten. In den USA kehrte der ISM-Index für den Fertigungssektor Anfang Januar in positives Terrain zurück, und die Beschäftigungszahlen sind mit 155 000 neu geschaffenen Stellen im Dezember 2012 weiterhin relativ solide. Wir erwarten, dass die US-Notenbank Fed ihren äußerst expansiven geldpolitischen Kurs weiterverfolgen wird.Obwohl die unmittelbare Gefahr der fiskalischen Klippe hinter uns liegt, müssen die USA noch eine Reihe hoher fiskalischer Hürden überwinden, etwa die Erhöhung der Schuldenobergrenze. Zumindest stimmte jüngst das Repräsentantenhaus einer vorübergehenden Erhöhung zu, auch der Senat und das Weiße haben ihre Zustimmung angedeutet. Dadurch verringert sich ein bedeutendes politisches Risiko, das die Finanzmärkte bislang belastet hat. Dies ist eine positive Nachricht für die Akteure. Positiver TrendEin kräftigeres Wirtschaftswachstum kann über steigende Umsätze die Gewinne der Unternehmen ankurbeln. Dazu gehört auch eine positive Margenentwicklung. Nachdem in den vergangenen Monaten die globalen Gewinnmargen der Industrie gesunken waren, sind erste Zeichen einer Stabilisierung erkennbar.Weiter deutet das positive Momentum an den Aktienmärkten klar auf eine Übergewichtung dieser Anlageklasse hin. Das Bewertungspotenzial von US-Aktien ist im Vergleich zu Staatsanleihen, die eine erwartete reale Rendite von fast 0 % bieten, derzeit sehr gut. Unsere Berechnungen ergeben, dass die zyklisch bereinigten amerikanischen Gewinnrenditen – der Kehrwert des Kurs-Gewinn-Verhältnisses (KGV) und ein Maß für das Renditepotenzial von Aktien – bei 5,9 % liegen.Im Aktiensegment erscheint eine Übergewichtung der Vereinigten Staaten und der Schwellenmärkte denkbar, die beide für dieses Jahr günstigere Wachstumsaussichten als Europa aufweisen. Überlegenswert ist neben dem direkten Engagement in den Schwellenmärkten zudem die Anlage in Blue-Chip-Unternehmen, die von der wachsenden Zahl der Mittelschichtkonsumenten in diesen Ländern profitieren.Weiterhin scheinen US-Mid-Cap-Aktien Potenzial zu haben. Für Anleger könnte es Sinn machen, ihren Kernanteil an US-Aktien durch eine Beimischung von Mid Caps zu ergänzen. Hintergrund: Mid-Cap-Aktien sind konjunkturabhängiger und haben ein höheres Wachstumspotenzial als Large Caps. Umschichtung empfohlenBei Anleihen erwarten wir, dass die Renditen von Staatstiteln in den nächsten Monaten steigen. Daher empfehlen wir, aus Staats- in Unternehmensanleihen umzuschichten. Letztere erscheinen attraktiver bewertet und sind weniger zinssensitiv. Darüber hinaus profitieren sie stärker vom Wirtschaftswachstum.Unternehmensanleihen aus Schwellenländern bieten Renditen, die rund 3 % über jenen von US-Staatsanleihen liegen. Bei der Betrachtung des gesamten Marktumfeldes liegt also eines nahe: Zu viel Sicherheit durch eine extrem hohe Allokation in Staatsanleihen dürfte gefährlicher sein, als auf die Ertragskraft von Aktien zu setzen. Die Ausgangsvoraussetzungen, um positiver für Aktien gestimmt zu sein, sind vorhanden. Daher erscheinen Aktien derzeit sicherer und weniger gefährlich als Anleihen.