Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Michael Weigel

"Gegen Blockade-Taktik hilft vor allem Schnelligkeit"

Primacom mit Angriff auf Gerichtsstandsvereinbarung gescheitert

"Gegen Blockade-Taktik hilft vor allem Schnelligkeit"

– Herr Dr. Weigel, Sie haben JPMorgan in den Verfahren gegen Primacom vor den Landgerichten Frankfurt und Mainz sowie bei einem anschließenden Vergleich über die fraglichen Forderungen beraten. Worum ging es?JPMorgan führt ein Konsortium von Kreditgebern, die als Second Secured Lenders Forderungen gegen Primacom aus einem 2002 in Höhe von 375 Mill. Euro geschlossenen Kreditvertrag haben. Primacom wehrte sich gegen die Rückzahlung des Darlehens – u. a. weil angeblich der Zinssatz wucherisch sowie Management und Aktionäre durch die Nebenbedingungen des Vertrages (sog. Covenants) in ihren Rechten unzulässig eingeschränkt seien. Das Unternehmen klagte vor den deutschen Gerichten auf Feststellung, dass der Kreditvertrag bzw. die dafür vereinbarten Pfandrechte nichtig oder zumindest nicht durchsetzbar seien – allerdings ohne Erfolg. – Warum hat das angerufene Landgericht Mainz die Klage bereits als unzulässig abgewiesen?In den zugrunde liegenden Kreditverträgen war England als exklusiver Gerichtsstand vereinbart worden. Solche Klauseln sind seit vielen Jahren gerade bei internationalen Verträgen nach englischem Recht die Regel; diese Möglichkeit der Gerichtsstandswahl ist in Art. 23 EuGVVO (EG-Verordnung über Zuständigkeit, Anerkennung und Vollstreckung im Handels- und Zivilrecht) festgeschrieben. Danach müssen bestimmte formelle Voraussetzungen bezüglich des Sitzes der Vertragsparteien, Schriftform etc. erfüllt sein; das war hier der Fall. – Mit welchem Argument hat Primacom dennoch in Deutschland Klage erhoben? Das Unternehmen argumentierte, dass Art. 23 EuGVVO eine ungeschriebene Missbrauchskontrolle enthalte; danach soll z. B. bei Ansprüchen aus Knebelverträgen oder beim sittenwidrigen Ausnutzen wirtschaftlicher Überlegenheit bei Vertragsschluss die Gerichtsstandklausel unwirksam sein. Der Gerichtsstand richte sich dann nach den gesetzlichen Vorschriften. Allerdings hat der EuGH bereits mehrfach sinngemäß entschieden, dass eine solche Missbrauchskontrolle nicht vorgesehen sei. Gerichtsstandsvereinbarungen haben gerade den Zweck, Rechtsklarheit zu schaffen. Für alle Beteiligten soll sofort klar sein, ob ein Gericht zuständig ist oder nicht. Wenn zunächst ein möglicher Missbrauch geprüft werden muss, ist das nicht mehr möglich. Zudem geht die EuGVVO davon aus, dass die Parteien vor allen Gerichten Europas gleich behandelt werden; daher ist eine Missbrauchskontrolle gar nicht erforderlich. Dieser Argumentation sind die Richter an den Landgerichten Mainz und Frankfurt gefolgt. – Haben die Entscheidungen Bedeutung über den Einzelfall hinaus? Würde man der Argumentation von Primacom folgen, dann öffnete man das Einfallstor für ein zivilrechtliches Forum Shopping in Europa – trotz Gerichtsstandsvereinbarungen könnten Unternehmen Verfahren in Mitgliedstaaten vor Gericht bringen, in denen sie bessere Bedingungen vermuten. – Können Sie das noch näher erklären?Die EuGVVO schreibt in Art. 27 vor, dass innerhalb der Gemeinschaft angerufene Gerichte zunächst eine Entscheidung über ihre Zuständigkeit treffen müssen, ehe in anderen Mitgliedstaaten angestrengte Verfahren fortgesetzt werden können. Soll heißen: Schon jetzt können Sie mit einer Klage in einem Staat, in dem die Justizmühlen langsamer als anderswo mahlen, eine Rechtsstreitigkeit für lange Zeit auf Eis legen. Im konkreten Fall konnten Klagen von JPMorgan gegen Primacom, die vertragsgemäß in England eingereicht wurden, bis zur rechtskräftigen Entscheidung der zuvor in Deutschland eingeleiteten Verfahren nicht verhandelt werden. Die Parteien haben allerdings in den vergangenen Wochen einen umfassenden Vergleich geschlossen, bei dessen Wirksamwerden die Verfahren ohnehin obsolet werden. – Noch mal zur Gerichtsstandswahl: Wie können sich Firmen gegen Blockade-Taktiken wehren?Hier zählt vor allem Schnelligkeit: Wenn es Anhaltspunkte für anstehende Rechtsstreitigkeiten gibt, sollte man schnellstmöglich beim richtigen Gerichtsstand eine Klage anhängig machen. Das Verfahren JPMorgan gegen Primacom hat außerdem gezeigt, dass eine ordentliche Gerichtsstandsklausel sehr viel wert sein kann. Und schließlich sind in dieser Sache Gerichte und Gesetzgeber in Deutschland gefordert: Die Zivilprozessordnung (ZPO) macht ein beschleunigtes Entscheidungs-verfahren über die Zulässigkeit von Klagen möglich. Richter sollten dies regelmäßig nutzen. Der Gesetzgeber sollte zudem überlegen, ob er Verfahren dieser Art praktisch als Gegenstück zum Art. 27 EuGVVO zwingend einem beschleunigten Verfahren unterzieht. Dr. Michael Weigel ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Linklaters Oppenhoff & Rädler. Die Fragen stellte Walther Becker.