Recht und Kapitalmarkt - Interview mit Claudius Dechamps

Gegen die Folgen der Insolvenz von Softwarefirmen ist Schutz möglich

Vertragliche Regelungen für Zugriff auf Entwicklungsunterlagen notwendig

Gegen die Folgen der Insolvenz von Softwarefirmen ist Schutz möglich

– Herr Dr. Dechamps, nach dem großen Zusammenbruch vor einigen Jahren hat sich die IT-Industrie inzwischen zwar konsolidiert. Dennoch geraten immer wieder Softwareunternehmen ins Straucheln und müssen Konkurs anmelden, Insolvenzverwalter übernehmen das Ruder. Was bedeutet das für die Kunden dieser Unternehmen? Müssen sie ihre Computer abstellen?Die Frage hat eine rechtliche und eine praktische Seite. Die Rechtsfrage lautet, ob in der Insolvenz des Softwareunternehmens der Insolvenzverwalter trotz eines wirksam geschlossenen Lizenzvertrages verlangen kann, dass der Kunde die Software nicht mehr nutzt. Diese Frage lässt sich nicht eindeutig beantworten. Juristen, die die Auffassung vertreten, dass der Insolvenzverwalter das verlangen kann, können sich auf eine vereinzelt gebliebene Entscheidung des Landgerichtes Mannheim (Az. 7 O 127/03) stützen. Ich halte das mindestens in Bezug auf Software für falsch, die “gekauft”, also zeitlich unbefristet lizenziert ist. Für Programme, die nur für eine bestimmte Dauer benutzt werden dürfen, trifft das eher zu. Die vertraglichen Absprachen sind wesentlich. – Und wie sieht die praktische Seite aus?Auf der praktischen Seite ist die Pflege der Software das Problem. Anwendungssoftware kann häufig nicht betrieben werden, ohne dass Fehler behoben, vor allem aber die Software an Änderungen des Betriebssystems oder geänderte rechtliche, tarifliche, regulatorische oder betriebliche Abläufe angepasst wird. Das gilt beispielsweise für Programme zur Abrechnung von Gehältern oder zur Erfüllung von Berichtspflichten von Kreditinstituten gegenüber der BaFin. Ist das Softwarehaus insolvent, ist häufig auch die Pflege und Aktualisierung der Software gefährdet. – Besteht diese Gefahr für alle Arten von Software in gleichem Maße?Besonders gefährdet ist Software, die speziell für ein Unternehmen entwickelt worden ist. Auch Standardsoftware, die entsprechend speziellen Anforderungen verändert oder ergänzt wurde, ist betroffen. Bei massenhaft genutzter Software werden sich hingegen Entwickler finden, die anstelle des insolventen Softwareinhabers die Pflege der Software übernehmen. – Wie kann man sich gegen die Gefahr der ausbleibenden Pflege absichern?Entscheidend ist es sicherzustellen, dass im Falle der Insolvenz des Lizenzgebers das, was zur Pflege und Weiterentwicklung der Software notwendig ist, verfügbar bleibt. Dies betrifft vor allem den Source Code mit einer ausreichenden Kommentierung, nach Möglichkeit aber auch die Entwicklungsunterlagen und das benötigte Know-how. Wichtig ist, dass dieses Material für die jeweils aktuelle, im Unternehmen tatsächlich eingesetzte Version der Datenverarbeitungsprogramme greifbar ist. Rechtlich sind dafür entsprechende vertragliche Regelungen notwendig. – Wie kann das aussehen? Unternehmen, die sich Software individuell entwickeln lassen, müssen im Entwicklungsvertrag vereinbaren, dass ihnen ein kommentierter Source Code und die Entwicklungsunterlagen ausgeliefert werden. In den zugehörigen Pflegevertrag gehört eine entsprechende Regelung. Bei der Lizenzierung von Standardsoftware – auch solcher, die entsprechend den Anforderungen des Unternehmens angepasst wurde – sollte vereinbart werden, dass der Lizenzgeber das für die Pflege notwendige Material hinterlegt. Das ist heute übliches Geschäftsgebaren, eine Reihe von Softwareanbietern wirbt sogar damit. Wichtig ist zu vereinbaren, dass das Material für die jeweils aktuelle, von den Nutzern eingesetzte Version der Software hinterlegt wird. – Wo kann hinterlegt werden?Es gibt eine Reihe von Unternehmen, sogenannte “Escrow Agents”, die die Hinterlegung von Software anbieten. Grundlage ist entweder eine dreiseitige Vereinbarung zwischen Lizenzgeber, Lizenznehmer und Escrow Agent oder ein zweiseitiger Vertrag zwischen Escrow Agent und hinterlegendem Lizenzgeber zugunsten der Lizenznehmer. Eine häufig gewählte Alternative ist die Hinterlegung bei einem Notar. Beide Arten der Hinterlegung sind vergleichsweise kostenträchtig. Verfügt der Lizenznehmer über hinreichend eigene IT-technische Expertise, bietet sich eine Hinterlegung in versiegelter Form beim Lizenznehmer selbst an. Das ist ebenso effektiv wie die externe Hinterlegung, aber weitaus kostengünstiger. Entscheidend ist in jedem Falle, dass die Hinterlegung insolvenzsicher gestaltet ist. *) Dr. Claudius Dechamps ist Rechtsanwalt und Partner bei Waldeck Rechtsanwälte in Frankfurt.Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.