Recht und Kapitalmarkt

Gegen feindliche Übernahmen hilft individuelle Vorsorge

Es geht nicht um Errichten von Abwehrbastionen - Aktienrecht als Hemmschuh für Tauschangebote - Konkurrierende Angebote positiv

Gegen feindliche Übernahmen hilft individuelle Vorsorge

Von Stephan Oppenhoff *) In der Vergangenheit waren deutsche Unternehmen nur in Einzelfällen an feindlichen Angeboten beteiligt. In jüngster Zeit haben gleich vier deutsche als Bieter großvolumige feindliche Übernahmen unternommen: Linde mit der Übernahme von BOC Group, Merck mit dem Übernahmeversuch auf Schering, BASF mit der Übernahme von Engelhard und MAN mit der versuchten Übernahme von Scania. Dazu kommen die Übernahme von Schering durch Bayer, das laufende Angebot von Eon für Endesa und das schon etwas länger zurückliegende Angebot von ThyssenKrupp für Dofasco, wo die deutschen Unternehmen jeweils als “Weiße Ritter” in Aktion traten. 2006 war das Jahr, in dem feindliche Übernahmen in Deutschland salonfähig wurden – und das jüngste Rennen um Techem zeigt, dass diese Entwicklung sich fortsetzt. Geld statt AnteilenEs fällt auf, dass die deutschen Bieter in diesen Verfahren immer nur Geldzahlung und keinen Aktientausch angeboten haben. Keineswegs liegt der Grund nur darin, dass sich die Bieter von der Geldleistung eine höhere Akzeptanz ihres Angebots versprachen. Vielmehr birgt das deutsche Aktienrecht einen Hemmschuh, der sich international als Wettbewerbsnachteil auswirkt. Die Unternehmen hätten für Tauschangebote zumeist eine ordentliche Kapitalerhöhung durchführen müssen, und die muss die Hauptversammlung für den konkreten Einzelfall beschließen. Der Hauptversammlungsbeschluss ist aber, auch bei überwältigender Zustimmung, der Anfechtung durch Minderheitsaktionäre ausgesetzt, die zu erheblichen Verzögerungen führen kann. Dies hat zur Folge, dass der Bieter keine Sicherheit hat, die Aktien auch liefern zu können, wenn er das nach den Bedingungen des Angebots muss. Das durch das Gesetz zur Unternehmensintegrität und Modernisierung des Anfechtungsrechts (UMAG) 2005 eingeführte Freigabeverfahren für die Eintragung von Kapitalerhöhungen vor Abschluss des Anfechungsverfahrens hat diesbezüglich keine Verbesserung bewirkt.Schon der gesetzlich gesteckte Rahmen ist für Übernahmeverfahren zu lang, in der Praxis werden die Verfahren selten innerhalb des gesetzlichen Zeitrahmens abgeschlossen. Damit wird die Finanzierung großer Übernahmen für die Gesellschaften teilweise zu einem enormen Kraftakt. Die Unternehmen brauchen zur Überbrückung bis zur endgültigen Finanzierungsstruktur teure Zwischenfinanzierungen. Die Ratings bei Kreditratingagenturen sinken, was zum Anstieg der Fremdkapitalkosten führt. Schließlich ist zur Refinanzierung häufig auch noch die Veräußerung von Tochtergesellschaften erforderlich, zum Beispiel bei Linde die Gabelstaplersparte Kion und bei Bayer Wolff Walsrode und HC Starck. Gejagter statt Jäger?Ist die Übernahme großer Konkurrenten für deutsche Unternehmen schwieriger als für ausländische Gesellschaften, fragt sich, ob sie nicht selbst zu Zielen feindlicher Übernahmen werden. Im vergangenen Jahr lagen feindliche Übernahmen deutscher Unternehmen als Ziel nicht im Trend. Mit Mercks Angebot auf Schering und Macquaries Übernahmeversuch von Techem gab es nur zwei spektakuläre feindliche Übernahmeversuche, die beide gescheitert sind: Merck am konkurrierenden Angebot von Bayer und Macquarie an der fehlenden Abgabebereitschaft der Techem-Aktionäre. Daraus kann man aber nicht ableiten, dass deutsche Unternehmen keine feindliche Übernahmeversuche zu befürchten hätten. Sie werden sich als fester Bestandteil des deutschen Kapitalmarktgeschehens etablieren – und das gilt für beide Positionen, die Unternehmen auf diesem Spielfeld einnehmen können.Für die Unternehmen heißt das: vorbereitet sein. Entgegen verbreiteten Ansichten ist die Vorbereitung auf einen feindlichen Übernahmeversuch nicht das Errichten eines Abwehrbollwerks zum Erhalt von Vorstandspositionen. Im Gegenteil: Ein feindlicher Bieter verwendet viel Vorbereitungszeit und Sorgfalt darauf, seinen Angriff möglichst überraschend und zielgenau zu setzen. Darauf kann die Gesellschaft nur dann vernünftig reagieren, wenn sie auf Übernahmeversuche umfassend vorbereitet ist. Die Unternehmensleitung muss dies bereits im Rahmen ihrer Sorgfaltspflichten tun, um die Interessen der Gesellschaft und ihrer Aktionäre zu wahren. Dass eine besonnene Abwehrhaltung den Aktionären durchaus zum Vorteil gereicht, haben zuletzt die Übernahmeverfahren Schering und Techem gezeigt; dort wurden den Aktionären durch konkurrierende Angebote bzw. Angebotserhöhungen wesentlich höhere Preise geboten als zu Beginn. Umsicht statt BollwerkUmsichtige Vorstände erstellen ein Abwehr-Handbuch (Defence Manual), in dem mindestens die organisatorischen Abläufe für den Fall eines Übernahmeversuchs festgelegt werden. Die Gesellschaft sollte sich außerdem einen möglichst genauen Überblick über ihre Aktionärsstruktur verschaffen und Veränderungen und Auffälligkeiten im Handel mit ihren Aktien verfolgen. Durch das gerade in Kraft getretene Transparenzrichtlinie-Umsetzungsgesetz sind weitere Vorschriften in das Wertpapierhandelsgesetz eingefügt worden, die ein unbemerktes Anschleichen an börsennotierte Gesellschaften weiter erschweren sollen. Bereits Beteiligungen ab 3 % der stimmberechtigten Aktien müssen einer börsennotierten Gesellschaft mitgeteilt werden. Außerdem wurde ein zusätzliches Melderegime für Finanzinstrumente geschaffen, die zum Erwerb stimmberechtigter Aktien berechtigen. Klauseln statt AbwahlAuch ein Blick in die Satzung der Gesellschaft kann sich lohnen. Fast alle Satzungen börsennotierter Gesellschaften enthalten aus praktischen Erwägungen eine Klausel, nach der alle Beschlüsse, die nicht zwingend einer größeren Mehrheit bedürfen, mit einfacher Mehrheit gefasst werden können. Dabei wird immer wieder übersehen, dass das dann auch für die Abwahl von Aufsichtsratsmitgliedern gilt. Einige wenige Gesellschaften nutzen die Möglichkeit, diese Mehrheit verändern zu können, in die entgegengesetzte Richtung: Sie legen für die Abwahl der Aufsichtsratsmitglieder eine noch höhere Mehrheit als die im Gesetz vorgesehene Dreiviertelmehrheit fest. Aufsichtsratsmitglieder erhalten damit in einem Übernahmeversuch zusätzliche Unabhängigkeit.Ein Klassiker sind nach wie vor noch die Kontrollwechsel-Klauseln in Vorstandsverträgen: Sie verleihen den Vorständen die notwendige Unabhängigkeit, sich nachhaltig gegen Anliegen eines Bieters zu stellen, die dem Gesellschaftsinteresse widersprechen. Schwieriger und wohl nicht generell zu beantworten ist die Frage, welche Abfindungshöhe die zur Erreichung dieses Zwecks angemessene ist. Zurückhalten statt nutzenIn der Reaktion auf feindliche Übernahmeversuche haben sich deutsche Unternehmen bisher im wohlverstandenen Gesellschaftsinteresse nicht mit Strukturmaßnahmen wie Kapitalerhöhungen und Ähnlichem gewehrt. Sie haben damit der Versuchung widerstanden, von den vielfältigen Verteidigungsmöglichkeiten, die das Übernahmegesetz zulässt, Gebrauch zu machen – und sich auf Verteidigungsmethoden beschränkt, die auch in Ländern mit weitergehenden Neutralitätsverpflichtungen zulässig sind. Ohne praktische Bedeutung ist bislang auch die im Gesetzgebungsverfahren heftig umstrittene Möglichkeit, sich durch die Hauptversammlung Vorratsermächtigungen zur Verteidigung einräumen zu lassen. Angesichts des relativ weiten Spielraums des Gesetzes hätten die Ermächtigungen wohl auch nur ergänzende Bedeutung, wie auch die beiden großen feindlichen Übernahmeversuche zeigen: Bei Schering und bei Techem kamen Weiße Ritter zur Hilfe – diese Figur hatte bis dahin in Deutschland kaum eine Rolle gespielt. Noch keine spürbaren Auswirkungen auf Abwehr und Angriff hatte bislang die europäische Übernahmerichtlinie, die in Deutschland längst, in anderen Mitgliedstaaten mitunter noch nicht umgesetzt ist. Sie ermöglicht dem nationalen Gesetzgeber wie Gesellschaften, bestimmte Abwehrmechanismen ein- und auszuschalten. Über eine Reziprozitätsklausel kann das im konkreten Übernahmefall Auswirkungen auch auf die andere Seite haben. Es bleibt abzuwarten, in welcher Weise die europäischen Unternehmen davon Gebrauch machen werden. In jedem Fall werden sich Deutschlands Vorstände auch 2007 wieder verstärkt mit feindlichen Übernahmen zu beschäftigen haben. *) Stephan Oppenhoff ist Rechtsanwalt und Partner im Frankfurter Büro von Linklaters.