Recht und Kapitalmarkt

Gerichte wenden strengere Bankenhaftung an

Erste Urteile zu Lehman-Zertifikaten erweitern Pflichtenumfang von Kreditinstituten

Gerichte wenden strengere Bankenhaftung an

Von Kim Lars Mehrbrey und Thomas Sevenheck *)Die langsam einsetzende Klagewelle wegen der Haftung von Banken und Sparkassen für den Verkauf von Lehman-Zertifikaten hat erste überraschende Entscheidungen hervorgebracht. Zwei jüngst veröffentlichte Urteile des Landgerichts (LG) Hamburg werden nicht nur Bedeutung für mögliche Schadenersatzpflichten beratender Banken im Zusammenhang mit dem Verkauf von Lehman -Zertifikaten gewinnen. Vielmehr setzen sie eine aktuelle Entwicklung in der Rechtsprechung fort, die die Aufklärungspflichten der Banken im Hinblick auf Existenz und Umfang von Rückvergütungen (“Kick-backs”) kontinuierlich verschärft.Urteile zur Bankenhaftung wegen des Verkaufs wertlos gewordener Lehman-Zertifikate gab es bis zu den Entscheidungen des LG Hamburg nur wenige. So hatte das LG Frankfurt am Main in einer Entscheidung vom November 2008 die Schadenersatzklage eines “Lehman-Opfers” abgewiesen und in einer Entscheidung aus dem April 2009 einer anderen Klage stattgegeben. Aufklärung angemahntMit Urteilen vom 23. 6. 2009 (Az. 310 O 4/09) und 1. 7. 2009 (Az. 325 O 22/09) haben nun zwei unterschiedliche Kammern des LG Hamburg den Klagen von Bankkunden entsprochen. Zwar sahen beide Kammern keine Pflichtverletzung der beklagten Sparkasse darin, dass diese in den Beratungsgesprächen, die im Dezember 2006 bzw. September 2007 erfolgten, nicht gesondert über das seinerzeit äußerst fernliegende Insolvenzrisiko von Lehman Brothers aufgeklärt habe. Wohl aber hätte die Sparkasse nach Auffassung beider Kammern die Kunden über das Fehlen eines Einlagensicherungssystems bei einer Anlage in (Lehman-) Zertifikate aufklären müssen.Dabei bestand allerdings die Besonderheit, dass beide betroffenen Kunden zuvor über eine Anlage verfügten, die von einem Einlagensicherungssystem umfasst war (so im Urteil der 10. Kammer) bzw. andernfalls zur Überzeugung des Gerichts ein Festgeldkonto eröffnet oder eine Spareinlage abgeschlossen hätten (so im Urteil der 25. Kammer) und jeweils in eine in dem Insolvenzfall ungesicherte Anlage “hereinberaten” wurden. Darüber hinaus stellte das Gericht entscheidend darauf ab, dass die Sparkasse die Kunden darüber hätte informieren müssen, welchen Profit sie mit dem Geschäft erzielte. Dabei lag in beiden Urteilen die weitere Besonderheit vor, dass die betroffene Sparkasse die verkauften Zertifikate zuvor von Lehman Brothers erworben hatte und somit das Absatzrisiko trug, die Zertifikate aus ihrem Eigenbestand weiter an ihre Kunden zu veräußern.Das Gericht begründete diese Aufklärungspflicht mit einer Ausdehnung der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zu verdeckten Rückvergütungen (“Kick-backs”) auf Gewinnmargen beim Eigenvertrieb von Finanzmarktprodukten. Nach dieser in den vergangenen Jahren mehr und mehr ausgeweiteten Kick-back-Rechtsprechung des BGH trifft ein Bankinstitut vereinfacht gesprochen die Pflicht, den Kunden über Rückvergütungen aufzuklären, die es – sei es über eine konzerneigene Gesellschaft oder einen Dritten – bei Abschluss des Geschäfts erzielt.Nach Auffassung des Hamburger Gerichts muss sich diese Aufklärungspflicht auch auf die konkret bestehende Gewinnmarge erstrecken. Denn andernfalls könnten die Grundsätze der Kick-back-Rechtsprechung dadurch umgangen werden, dass Provisionen als Margen ausgestaltet würden. Der Kunde dürfe bei einem Beratungsgespräch erwarten, objektiv beraten zu werden, und müsse daher wissen, wenn für bestimmte Empfehlungen ein wirtschaftliches Eigeninteresse der Bank maßgeblich sei.Der Haftung der Bank stehe auch nicht entgegen, dass sie zum Zeitpunkt der Beratung diese Rechtsfort bildung noch gar nicht gekannt habe. Denn bei “Anwendung bankenüblicher Sorgfalt” ist die spätere Erweiterung dieses Pflichtenkatalogs nach Auffassung beider Kammern absehbar gewesen, weil sie bereits in der ersten Entscheidung des BGH aus 2001 zu verdeckten Rückvergütungen angelegt gewesen sei.Beide Kammern nahmen ferner an, dass die jeweiligen Kunden im Fall einer ordnungsgemäßen Aufklärung vom Erwerb der Zertifikate abgesehen hätten. Dabei ließ das Gericht im Wesentlichen die allgemeine Erwägung genügen, dass der jeweilige Kunde bei Kenntnis der Gewinnmarge die Anlage zumindest stark hinterfragt hätte, und nahm eine Umkehr der Beweislast zulasten der Sparkasse an.Die Urteile setzen eine Entwicklung fort, die – parallel zu fortlaufenden Haftungsverschärfungen seitens des Gesetzgebers – zu einer stetigen Ausweitung der Beratungspflichten von Banken führt. Bedenken ruft insbesondere die übereinstimmende Annahme der Kammern hervor, die Kick-back-Rechtsprechung des BGH sei auf die Aufklärung über eine durch ein Geschäft zu erzielende “Gewinnmarge” (so die 10. Kammer) bzw. “Handelsspanne” (so die 25. Kammer) zu übertragen.Dass diese neuen Haftungsgrundsätze in einer freien Marktwirtschaft nicht als genereller Pflichtenstandard taugen, dürfte offenkundig sein. So wird gewiss niemand etwa einen Gebrauchtwagenhändler für verpflichtet halten wollen, einem Kaufinteressenten ungefragt seine Gewinnmarge offenbaren zu müssen. Beide Kammern räumen in ihren Urteilsbegründungen daher auch ein, dass Banken Privatkunden gegenüber ihrer Gewinnmarge lediglich in Beratungsgesprächen, nicht aber in eindeutig als solche erkennbaren Verkaufsgesprächen offenbaren müssten. Doch auch in derartigen Fällen kann eine solche Offenbarungspflicht nicht bestehen.Zum Ersten wird entscheidend sein, ob die Beratung objektiv im Sinne des Kunden erfolgte. Der Umstand, dass daneben auch Interessen der Bank verfolgt wurden, berechtigt nicht schon den Gegenschluss, den Interessen des Kunden sei nicht gedient worden. Besonders offenkundig wird dies anhand der Entscheidung der 10. Kammer, die ausdrücklich feststellte, dass das durch die betroffene Sparkasse empfohlene Produkt zum Anlegerprofil passte und bei einem hohen Kapitalschutz eine vergleichsweise hohe Rendite bot. Abstrakte AbwägungZum Zweiten erscheint nicht bedenkenfrei, dass sich diese Rechtsprechung zunehmend von ihren gesetzlichen Grundlagen entfernt und letztlich nur noch aus abstrakten, kaum prognostizierbaren Interessenabwägungen besteht. Das aufsichtsrechtliche Gebot, sich um die Vermeidung von Interessenkonflikten zu bemühen und dem Kunden Art und Herkunft der Interessenkonflikte eindeutig darzulegen ( 31 Abs. 1 Nr. 2 WpHG), bietet nicht die erforderliche Rechtsgrundlage. Seit dem 1. 11. 2007 regelt 31d Wertpapierhandelsgesetz (WpHG), in welchem Umfang Kreditinstitute noch Zuwendungen von Dritten annehmen dürfen und inwieweit in diesem Zusammenhang eine Offenlegung gegenüber den Kunden zu erfolgen hat. Derart weitreichende Offenbarungspflichten wie nun vom LG Hamburg angenommen enthält selbst diese Sonderregelung, die erst nach den fraglichen Beratungsgesprächen in Kraft trat, nicht.Zum Dritten beruhen die vorgenannten Regelungen auf Richtlinien der EU und sind in ihrer Auslegung daran zu messen. Es bestehen ernsthafte Zweifel, ob die zunehmend großzügiger werdende Auslegung der deutschen Gerichte noch mit Gemeinschaftsrecht vereinbar ist und vom hierfür zuständigen Europäischen Gerichtshof goutiert wird.Schließlich ist die Annahme beider Kammern des LG Hamburg zu hinterfragen, deren Rechtsfortbildung sei für die betroffenen Banken vorhersehbar gewesen. Derartige richterliche Neuschöpfungen sind regelmäßig nicht vorhersehbar. Erhebliche KonsequenzenWirtschaftliche Konsequenz dieser Schadenersatzansprüche ist, dass der Kunde zumindest den investierten Betrag vollständig zurückerhält. Letztlich werden solche vermeintlichen Pflichtverletzungen daher, wie schon anlässlich des Börsencrashs 2000 bis 2002 zu beobachten war, zunehmend als Vehikel benutzt werden, um infolge der Wirtschaftskrise unrentabel gewordene Anlagen rückabzuwickeln. Vereinzelt frohlocken Anlegeranwälte schon, mit Hilfe der geänderten Rechtsprechung sei es ihnen nun möglich, Anlageentscheidungen der letzten 30 Jahre rückgängig zu machen. Möglicherweise werden einige Gerichte sich schon bald im Goetheschen Sinne über die Geister wundern, die sie jüngst gerufen haben.—-*) Dr. Kim Lars Mehrbrey ist Rechtsanwalt und Counsel, Thomas Sevenheck, LL.M., ist Rechtsanwalt und Associate. Beide sind im Bereich “Dispute Resolution” bei Lovells LLP in Düsseldorf tätig.