Geschäftsführer in Krisenzeiten mit Haftungsrisiken konfrontiert
Herr Wolff, Herr Dr. Tamcke, Geschäftsleiter von Unternehmen, also Geschäftsführer und Vorstände, sind in Krisenzeiten besonders gefordert. Die Risiken nehmen zu. Jetzt ist zum 1. Januar noch ein neues Gesetz zur Restrukturierung in Kraft. Was ändert sich?Wolff: Das Unternehmensstabilisierungs- und Unternehmensrestrukturierungsgesetz (StaRUG) fordert zunächst ein Früherkennungssystem für Unternehmenskrisen einzurichten. Ganz neu ist das nicht: Geschäftsleiter mussten bislang auch schon laufend im Auge haben, ob eine Überschuldung oder Zahlungsunfähigkeit in der nahen Zukunft drohe. Ziel der nun ausdrücklichen Anordnung ist, Unternehmen frühzeitig in einen Restrukturierungsprozess zu bringen, um Insolvenzsituationen so zu vermeiden. Im Restrukturierungsverfahren selbst müssen Geschäftsleiter dann darauf hinwirken, dass auch die Gläubigerinteressen hinreichend berücksichtigt werden. Werden die Gläubigerinteressen nur unzureichend berücksichtigt, haften die Geschäftsleiter der Gesellschaft in Höhe der entstehenden Gläubigerschäden. Eine zunächst geplante direkte Haftung den Gläubigern selbst gegenüber ist vom Gesetzgeber aufgegeben worden. Können Geschäftsleiter aus dem StaRUG vermehrt Risiken oder eher Chancen für sich ableiten?Tamcke: Wie so oft im Leben beides: Es ergibt sich die Chance Unternehmen frühzeitig, ohne Insolvenz zu sanieren, und zwar mit neuen Instrumenten auch gegen den Willen einzelner störender Gläubiger. Damit einher geht aber der Aufruf, diese Instrumente auch wirklich zu nutzen und nicht zu lange zu warten. Das Haftungsrisiko für Geschäftsleiter ist größer geworden. In welchem Umfang?Wolff: Die Geschäftsleiter müssen nunmehr nicht nur im Gesellschaftsinteresse handeln, sondern im Restrukturierungsverfahren auch auf die Berücksichtigung der Gläubigerinteressen hinwirken. Das ist ein Spagat, da diese Interessen häufig gegenläufig sind. Im Regierungsentwurf sollten sogar die Gläubigerinteressen schon vor dem Sanierungsverfahren primär zu berücksichtigen gewesen sein, was bei den gegenläufigen Interessen fast automatisch zu Schadensersatzpflichten geführt hätte. Aber auch jetzt bleibt abzuwarten, wie weit ein “Hinwirken” aus Sicht der gerichtlichen Praxis konkret gehen muss. Die abgemilderte Haftung sollte Geschäftsleiter aber nicht in falscher Sicherheit wiegen. Das größte Problem wird sein, dass bei einem Verstoß nicht die Gesellschaft ein Fehlverhalten der Geschäftsleiter nachweisen muss. Vielmehr müssen sie nachweisen, dass ein Schaden nicht pflichtwidrig verursacht wurde. Spätestens, im Falle des Scheiterns der Sanierungsbemühungen wird ein Insolvenzverwalter all das genau prüfen. Wie können sich Geschäftsleiter vor dieser Haftung schützen?Tamcke: Der geforderte Schritt ist die Einrichtung eines funktionierenden Früherkennungssystems. “Augen zu und durch” ist lange vorbei. Zusätzlich sollten Verantwortliche in Krisensituationen die tatsächliche Lage, die Sanierungskonzepte und den Entscheidungsprozess unbedingt dokumentieren, um später einen Entlastungsbeweis führen zu können. Hat sich in dem Zusammenhang sonst seit 1. Januar etwas Wichtiges geändert?Wolff: Ja, die Insolvenzantragspflicht ist neu geregelt. Sie war für überschuldete Unternehmen, die aufgrund der Covid-19-Pandemie in Schwierigkeiten geraten waren, bis zum 31. Dezember 2020 ausgesetzt. Anders als beabsichtigt greift die Insolvenzantragspflicht ab 1. Januar 2021 aber nicht wieder voll. Für Unternehmen, die Hilfsgelder für November oder Dezember beantragt, aber noch nicht erhalten haben, wird die Insolvenzantragspflicht – zumindest zunächst – bis zum 31. Januar 2021 ausgesetzt, und zwar unabhängig davon, ob sie zahlungsunfähig oder überschuldet sind. Voraussetzung ist, dass eine gute Perspektive auf Erhalt dieser Gelder besteht. Ulrich H. Wolff ist Partner und Dr. Christoph Tamcke ist Associate bei Linklaters. Die Fragen stellte Sabine Wadewitz.