Finanzen persönlich

Gesundheitsreform trifft die private Krankenversicherung heftig

Ab 2009 müssen Privatversicherte mit höheren Beiträgen rechnen - Wechselrecht in Basistarif im ersten Halbjahr 2009 - Viele Details noch zu klären

Gesundheitsreform trifft die private Krankenversicherung heftig

Von Ellen Bocquel In Sachen Krankenversicherung müssen die Bundesbürger umdenken: Die aktuelle Gesundheitsreform erschüttert das deutsche Gesundheitssystem in seinen Grundfesten. Auch private Krankenversicherer und ihre Kunden sind betroffen. Die Struktur der über 200 gesetzlichen Krankenkassen (GKV) wird komplett umgekrempelt. Die politischen Reformbestrebungen fordern aber auch den 48 privatwirtschaftlich aufgestellten Gesellschaften im Verband der privaten Krankenversicherung (PKV) einschneidende Veränderungen ab. Die Karten für Kunden der privaten Krankenversicherer werden mit einem künftigen Wechselrecht neu gemischt. Alte Denke gilt nicht mehrDas Denkschema “Wer einmal eine private Krankenversicherung abgeschlossen hat, bindet sich ,für alle Ewigkeit’ an dieses Assekuranzunternehmen, um finanzielle Nachteile und möglicherweise im Alter drastisch steigende Beitragserhöhungen abzumildern oder auszuschließen” wird mit der Gesundheitsreform ausgehebelt. Durch ein vom 1. Januar bis 30. Juni 2009 gültiges neuartiges Wechselrecht können privat Versicherte günstiger als bisher zu einem anderen PKV-Unternehmen wechseln. Ob sich das wirklich rechnet, bezweifeln die Fachleute, auch wenn kurzfristig günstigere Beiträge winken. Gesetzlich krankenversichert oder Privatpatient? Das scheint nicht nur eine Frage der Einkommenshöhe zu sein. Denn unter den insgesamt mehr als 70 Millionen Mitgliedern in den gesetzlichen Krankenkassen hierzulande befinden sich rund 7,5 Millionen Bundesbürger, deren Bruttoeinkommen längst über der Pflichtversicherungsgrenze von derzeit 48 150 Euro liegt. Angesichts der maroden finanziellen Situation in der GKV mit zunehmend drastischen Einschränkungen und Leistungskürzungen fragen sich nun viele der freiwillig in gesetzlichen Kassen Verbliebenen, ob es für sie noch sinnvoll ist, der GKV die Treue zu halten. das noch Sinn ergibt. Niedrigere Beiträge (für eine Einzelperson) und komfortablere Leistungen der privaten Krankenversicherer scheinen verlockend. Aus der maroden Finanzlage der gesetzlichen Kassen soll die Gesundheitsreform mit dem “GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz” (WSG) führen. Doch die Experten warnen vor der schon heute teuren und bürokratisch überaus aufwendigen Umwälzung des gesamten deutschen Gesundheitssystems. Wer glaubt, die Gesundheitsreform betreffe “nur” die GKV, irrt gewaltig. Durch die Reihen der privaten Krankenversicherer geht angesichts der auch für sie einschneidenden Veränderungen ein Aufschrei, der zuletzt in der Klage von inzwischen 30 privaten Krankenversicherern beim Bundesverfassungsgericht gipfelte (s. Textkasten links “Verfassungsbeschwerde der privaten Versicherer”). Begründete AblehnungDie Ablehnung aus PKV-Kreisen ist begründet. Die 8,6 Millionen Bundesbürger, die eine sogenannte Krankheitskosten-Vollversicherung bei einem privaten Krankenversicherer abgeschlossen haben, müssen mit deutlich steigenden Beiträgen von bis zu 15 % rechnen, wenn die PKV-Unternehmen alle Forderungen der Gesundheitsreform erfüllen müssen. In diesem Zusammenhang sprechen die privaten Krankenversicherer inzwischen von der “alten” und der “neuen” Tarifwelt. Am 1. Januar 2009 startet die “neue” Welt. “Die neue PKV-Welt ab 2009 ist noch nicht geregelt”, heißt es in der Branche. Es lasse sich nicht sagen, welche Tarife überhaupt in der neuen PKV-Welt angeboten werden. Die PKV-Unternehmen müssen für 2009 neue Tarife entwickeln, deren Berechnungsgrundlage bis heute nicht detailliert feststeht. Das Gerede um die Gesundheitsreform sorgt für große Verunsicherung – ganz besonders auch bei den Verbrauchern, für die die Reform mit mehr Wettbewerb und mehr Transparenz gedacht war, wie ein Beispiel zeigt: Der Manager Alexander Padberg (40), der über ein Jahreseinkommen von 200 000 Euro verfügt, möchte sich jetzt erstmals privat krankenversichern. Der Familienvater ist bisher Mitglied einer gesetzlichen Krankenkasse, wo auch seine Ehefrau und die beiden Kinder als Familienmitglieder unentgeltlich mitversichert waren. Das war bisher unterm Strich für alle Beteiligten preiswerter. Jetzt nach der Scheidung will er allein stehend neu – und auch mit einer privaten Krankenversicherung – durchstarten. Lohnt sich der Wechsel?Verunsichert durch die anhaltend kontroversen Diskussionen um die Gesundheitsreform fragt sich der Gutverdiener Padberg, ob er wirklich wechseln soll. Die Antwort kommt von den privaten Krankenversicherern. “Wer schon in diesem Jahr zu einem privaten Krankenversicherer wechseln kann und möchte, sollte das auch tun”, sagt Ulrich Knemeyer, Vorstand der Alten Oldenburger Krankenversicherung. Knemeyer verweist darauf, dass nur noch 2008 die Möglichkeit besteht, dauerhaft in den günstigeren Tarifen der alten PKV-Welt ohne Mitgabe der Alterungsrückstellung zu verbleiben. Je früher der Kunde einen privaten Krankenversicherer wählt, desto niedriger ist sein Einstiegsbeitrag und umso problemloser fällt die Risiko-(Gesundheits-)Prüfung aus. Auch der Aufbau der Altersrückstellung beginnt dann unverzüglich, was sich günstig auf die Beitragshöhe des Versicherten im Alter auswirkt. Neuer StandardtarifSeit dem vergangenen Jahr müssen private Krankenversicherer nun zusätzlich einen sogenannten modifizierten Standardtarif anbieten, dessen Leistungen und Beitragshöhe mit GKV-Tarifen vergleichbar sind. Im modifizierten Standardtarif finden solche Personen Aufnahme, die bisher ohne Versicherungsschutz sind (in früherer Zeit aber Mitglied in einer privaten Krankenversicherung waren). Die privatwirtschaftliche Versicherungsbranche hat seit Öffnung des Tarifs rund 3 700 Personen aufgenommen, der Gesetzgeber war von mehr als 300 000 ausgegangen. “Offensichtlich werden der modifizierte Standardtarif und der Basistarif hier und da als vorteilhafte Alternative dargestellt. Die Folge ist, dass auch Kunden diesen Tarif nachfragen, für die es im klassischen Tarifangebot weitaus bessere Lösungen gibt – Tarife mit Leistungen weit über dem Niveau des Standard- bzw. Basistarifs und dabei preisgünstiger. Natürlich beraten wir diese Kunden dann im Sinne der kundenfreundlicheren Alternative”, erklärt Markus Homann, Leiter Unternehmensentwicklung der Axa Krankenversicherung. Der modifizierte Standardtarif ist quasi die Vorstufe des Basistarifs, den alle privaten Krankenversicherer ab Januar anbieten müssen. Definitive Informationen und Berechnungen zum Basistarif will der PKV-Verband Mitte Juni 2008 vorlegen. Zum jetzigen Zeitpunkt kann keiner der Versicherer Zahlen und Bedingungen nennen.So groß die Unsicherheit bei den Verbrauchern ist, so ungenau sind die Angaben vieler Versicherer über das, was in Sachen Tarifgestaltung kommen wird. Um Kunden und solche die es werden könnten, bei der Stange zu halten, bieten zahlreiche private Krankenversicherer sogenannte Optionstarife für 2009 an. Damit können die Wechselwilligen und Interessenten schon heute ihren Gesundheitszustand mit Blick auf die obligatorische Gesundheitsprüfung beim Abschluss einer Versicherung eines PKV-Unternehmens “konservieren”.Für Rolf Bauer, Chef der Continentale Krankenversicherung in Dortmund, sind die Optionstarife “sinnlos”, denn zentrale Punkte hierfür seien noch nicht geklärt. Er verweist auf die geringe Schutzbedürftigkeit: “Normale Optionstarife sichern Kunden Rechte über viele Jahre.” Beim jetzt angedachten Wechselzeitraum (1. Januar bis 30. Juni 2009) seien nur wenige Monate abzudecken; das Schutzbedürfnis sei gering. Viele Vorteile der PKV”Nach wie vor bleibt nur die private Krankenversicherung das Krankenversicherungssystem der Zukunft. Sie bietet viele Wahlmöglichkeiten, hohe medizinische Leistungen sowie einen umfangreichen und lebenslangen Versicherungsschutz. Die private Krankenversicherung hat keine Schulden, und sie belastet die nachfolgenden Generationen nicht mit Kosten, die sie nicht verursacht hat. Die privaten Krankenversicherer verfügen über ein Finanzierungssystem, das diese demografische Entwicklung berücksichtigt”, sagt Axel Kampmann, Vorstandsvorsitzender des öffentlich-rechtlichen Krankenversicherers UKV. DKV-Chef Günter Dibbern kritisiert: “Die ersten Auswirkungen der Neuausrichtung des deutschen Gesundheitswesens werden irreführenderweise als ‘GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz’ (WSG) verabschiedet. Die ganze Tragweite dieses Gesetzeswerks wird erst 2009 voll durchschlagen.”